Karin Kaiser

Fettnäpfchenführer Indien


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...«, stammelt sie, schaut vom einen zum anderen, von der ausgestreckten Hand des Fahrers in die düstere Miene des Verschlafenen. Blitzschnell wird ihr klar: Je eher sie die Tür ihres Zimmers hinter sich verriegeln kann, desto besser. Während sie hastig die Scheine auf den Tresen legt, schickt sie im Stillen ein Dankeschön an ihren Kollegen, der ihr die Rupien zugesteckt hat – für alle Fälle. Und »alle Fälle« haben sich auf alle Fälle gerade materialisiert.

      Endlich in ihrem Zimmer, den Riegel sorgfältig zugeklinkt, sinkt Alma wie vor den Kopf geschlagen aufs Bett, ein Brett auf Stützen, darauf eine klumpige, gräuliche Matratze. Das blau milchige, zittrige Licht der Neonröhre an der Decke beleuchtet abgeblätterte Wände und einen löchrigen Zementfußboden. Da, wo vorher ein Ventilator gehangen haben muss, ragen zerfranste Kabel aus einer Höhlung. Keine Hoffnung auf ein wenig Kühlung in der Hitze der Nacht. Alma versucht, einen klaren Gedanken zu fassen, doch all die Eindrücke, die sie seit ihrer Ankunft überrollt haben, wirbeln wild in ihrem Kopf herum. Die überstandene Angst macht ihre Glieder schwer, sie wünscht sich, endlich schlafen zu können. Ach ja, und waschen würde sie sich auch gerne. Ihre Kleidung klebt wie eine zweite Haut am Körper, ihre Hände fühlen sich dreckig an. Hinter einer halben Zwischenwand entdeckt sie ein rostiges Waschbecken. Als Alma den Hahn aufdreht – wie? Nach rechts? – stößt dieser bloß ein heiseres Röcheln aus und spuckt ein paar braune Tropfen ins Waschbecken. Ende. Enttäuscht schaut sie sich um, tritt näher an das Loch im Boden in der Ecke heran – und würgt: die Toilette. Und was hat es mit dem Plastikeimer und dem kleinen Kännchen daneben auf sich? So gerne sie sich frisch machen würde, sie traut dem Wasser im Eimer nicht.

      Nachdem Alma trotz ihres Ekels widerstrebend die Toilette benutzt hat, ist ihr völlig klar, dass Yoga aus Indien stammen muss. Um die nötige hockend-schwebende Haltung einnehmen zu können, sollte man gut trainiert sein und kein Knieproblem haben! Klopapier? Natürlich Fehlanzeige, damit hat sie schon gerechnet. No problem – sie hat ja glücklicherweise Papiertaschentücher dabei. Jetzt findet sie es doch sehr praktisch, dass der Wassereimer daneben steht. Mit Schwung kippt sie eine Ladung Wasser das Loch hinunter. Und gleich noch den Rest hinterher. Geschafft! Gerade als sie sich wieder zum Zimmer wenden will, passiert es. Ein tiefes gurgelndes Geräusch lässt sie herumfahren. Hilfe! Aus dem Loch im Boden quillt eine dunkle Brühe, die sich sekundenschnell ausbreitet. Alma macht einen Satz hinter die Zwischenwand.

      »Shit! Shit! Shit!«, zischt sie durch die Zähne – und fast hätte sie gelacht, als ihr klar wird, wie treffend sie die Situation damit beschrieben hat. Ratlos lehnt sie an der Wand, atmet krampfhaft durch den Mund, um den Gestank abzuwehren. Was tun? Soll sie nach unten gehen, dem Typen am Tresen Bescheid sagen, Radau schlagen wegen dieser Schrottbude?

       What’s the problem?

      »Hai bhagwan!« (Oh, mein Gott!) Was für ein Desaster!«, ächzt Friedrich.

      Doch zuerst die gute Nachricht: Es war klug und richtig von Alma, sich so schnell wie möglich aus der angespannten, unklaren Situation im Hotelfoyer zurückzuziehen. Kein Streiten, Rechthaben, keine Konfrontation, das bringt nur eine Verschärfung der Lage. Alma ist in dieser Situation tatsächlich ausgeliefert, es gibt niemanden, bei dem sie sich Hilfe holen könnte.

      Die Polizei? Vergessen Sie’s. Ein guter, very suuuper Rat für Indien: Meiden Sie immer und unter allen Umständen die Polizei. Damit ersparen Sie sich möglicherweise unangenehme, demütigende Erfahrungen und Verwicklungen. Sie wissen nie, mit wem der Polizist Ihnen gegenüber gerade unter einer Decke steckt, von wem er geschmiert wird. Polizisten sind unterbezahlt, schlecht ausgebildet, die werden keinen Finger für Sie krumm machen, auf jeden Fall nicht ohne kräftig abzukassieren. Eher werden sie ihre Macht gegen Sie ausspielen – wer weiß, in welchem Schlamassel Sie dann landen. Sollten Sie wirklich Unterstützung und Hilfe brauchen, ist es ratsam, sich an die Deutsche Botschaft in Delhi oder die Konsulate in den anderen indischen Großstädten zu wenden.

       SPEED MONEY – KORRUPTION

      Für viele Inder gehört die Bestechung korrupter Beamter zum Alltag. Fast jede staatliche Dienstleistung wird nur durch Zugabe eines extra Obolus gewährt. Üblich ist, dass Justizbeamte, Polizisten und Verwaltungsmitarbeiter speed money fordern, Geld, das Anträge beschleunigt oder bewirkt, dass sie überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Schätzungen von Wirtschaftsexperten gehen von mehr als 50 Milliarden Dollar aus, die jährlich für Bestechung aufgebracht werden. Mittellose Menschen sind durch den Zwang der Extraausgaben am härtesten betroffen, da diese ihre kargen Einkünfte, die meist unter dem Existenzminimum liegen, völlig erschöpfen und somit ihre Armut drastisch vergrößern. Seit Anfang 2011 gewinnt jedoch eine Anti-Korruptionsbewegung an Macht, deren Vorkämpfer Anna Hazare, ein bekannter indischer Bürgerrechtler, die Regierung durch einen öffentlichen Hungerstreik zu der Zusage genötigt hat, ein Anti-Korruptionskomitee einzusetzen. Die Kongresspartei, die seit 1947 fast ohne Unterbrechung die Regierung gebildet hatte, verlor 2014 unter anderem deshalb die Wahl, weil sie immer wieder vermieden hat, gegen die grassierende Korruption einzuschreiten.

      Was ist wirklich schiefgelaufen? Welches Fettnäpfchen hat Alma im wahrsten Sinne des Wortes zum Überlaufen gebracht? Tja, die Toilettenkatastrophe hat sie selbst verschuldet. Mag das Hotel auch lausig und abbruchreif sein, das Röhrensystem der indischen Toiletten ist nicht für Toilettenpapier ausgelegt; es genügt wenig davon, um eine Verstopfung hervorzurufen.

       No problem – relax!

      Gemäß der Redewendung »When in Rome, do as the Romans do« verhalten Sie sich in Indien in vielen Situationen am besten so wie die Inder. Obwohl das WC (als Western Style Toilet ausgewiesen) inzwischen in den besseren Hotels und Restaurants Standard ist, werden Sie immer wieder sogenannte Hocktoiletten (einfach toilet) antreffen. Verwenden Sie für die Reinigung nach dem Toilettengang das Wasser aus dem Eimer und benutzen Sie das Schöpfkännchen, bei der luxuriöseren Ausführung die kleine Handbrause. Die linke Hand leitet den Wasserstrahl an die zu säubernde Stelle, und dann funktioniert alles wie bei einem Bidet: spülen, spülen – nur eben im Handbetrieb. Am Schluss wird der Rest des Wassers aus dem Eimer in das Loch gekippt.

      So befremdlich diese Toilettenkultur auch anmuten mag, hat sie doch bei korrekter Anwendung – und ausreichend Wasser – hygienische Vorteile: Gerade an öffentlichen Orten ist es angenehm, nicht in Körperkontakt mit einem Toilettenbecken zu geraten, und das Säubern mit Wasser ist tatsächlich reinlicher als nur mit Papier. Allerdings bedarf es einiger Übung und Geschicklichkeit, um das Ganze mit einigermaßen trockener Kleidung zu überstehen. Anfänglich ist es vielleicht keine schlechte Idee, alles Störende auszuziehen. Lassen Sie sich Zeit! Relax!

       DAS INDISCHE ÖRTCHEN

      Wie ein Bericht der Vereinten Nationen darlegt, haben in Indien nur 31 Prozent der Gesamtbevölkerung, also etwa 400 Millionen Menschen Zugang zu einer privaten Toilette. (Die Zahl der angemeldeten Mobiltelefone liegt mit fast 800 Millionen weit darüber.) Dieser Mangel zwingt unzählige Menschen, öffentliches Gelände wie z. B. Bahndämme, Flussufer, Strände und Grünanlagen zu nutzen. Die Folgen sind unhaltbare hygienische Zustände an vielen Orten. Schon Gandhi empfahl, dass jeder Inder einen kleinen Klappspaten bei sich tragen sollte, um die Exkremente wenigstens sofort in der Erde zu vergraben – ohne Erfolg. Frauen haben es in diesem Zusammenhang, wie so oft in Indien, schwerer. Aus Gründen des Anstands ist es ihnen nur erlaubt, im Dunkeln auszutreten. Sie werden schon von klein an darauf trainiert, den Stuhlgang tagsüber zu verhalten.

      Nun gibt es Hoffnung auf Verbesserung der Lage, denn der indische Soziologe Bindeshwar Pathak hat eine Toilette neuer Art entwickelt. Diese besteht aus einem System von Filtern, das die Ausscheidungen in Biogas und sauberes Wasser umwandelt. Das System ist preiswert und durch seine einfache Bauweise kann es in Eigenarbeit von den Bewohnern in Slums und Dörfern leicht selbst installiert werden. Mit einem Sichtschutz versehen kann diese Örtlichkeit auch am Tage benutzt werden, wodurch sich die Situation der Frauen in diesem Punkt erheblich verbessert.

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