Anja Obst

Fettnäpfchenführer China


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der Gastgeberin die Geschenke. Ihren peinlich berührten Gesichtsausdruck sieht er gar nicht, er ist schon längst mit dem Ausziehen der Schuhe beschäftigt.

       DASS DIE MUTTER DES KLEINEN LI PEINLICH BERÜHRT IST, ...

      ... hat gleich zwei Gründe: 1. Blumen, und dann auch noch weiße oder gelbe, kommen bei der Gastgeberin nicht an. Frische Sträuße werden in China nur bei Beerdigungen mitgebracht. Insofern symbolisieren sie den Tod. Die einzige Ausnahme: weiße Lilien. Sie stehen für Harmonie. 2. Peter hat ihr die Geschenke flott in die Hand gedrückt. Frau Zhang hatte keine Zeit, die Annahme abzulehnen. Das gehört zum guten Ton, denn sonst wirkt man gierig. Wundern Sie sich auch nicht, wenn der Beschenkte dreimal die Gaben zurückweist. Er wird sie annehmen, und auch gerne, aber erst, wenn er genug bedrängt wurde.

      Glücklicherweise kommt der Kleine Li um die Ecke und begrüßt den ausländischen Gast: »Huānyíng, huānyíng!« Herzlich willkommen!

      Der schmale Flur ist viel zu klein für die Drei, Frau Li weicht in die Küche aus, die direkt an der Haustür ist. Im Vorbeigehen erhascht Peter einen Blick: Auf einer steinernen Ablage steht ein Gasherd mit zwei Feuerstellen, darunter eine Gasflasche und ein kleines Regal mit Wok und Geschirr. Über dem Spülbecken aus Porzellan hängt ein kleiner Durchlauferhitzer, ein hoher, aber schmaler Schrank schließt die Kücheneinrichtung ab. Abgesehen von Frau Li passt also nichts mehr rein.

      »Komm, ich stell dir meinen Vater vor«, unterbricht der Kleine Li Peters Betrachtungen, drei Schritte später stehen sie auch schon im Wohnzimmer. Wie im Treppenhaus, im Flur und in der Küche besteht der Boden aus blankem Beton. Die Wände allerdings sind mit hellgrünem Lack gestrichen, wenn auch nur bis zur Mitte. Darüber befindet sich mittlerweile ergrauter Putz. Immerhin ziert ein Bild die Wand: ein grellbuntes Stillleben einer Obstschale. In der Ecke steht ein Kühlschrank, er fand in der Küche anscheinend keinen Platz mehr, das Sofa ist zu einem Bett umfunktionierbar, ein Wandschrank mit weißem Plastikfurnier beherbergt den Fernseher und ein paar Bücher, und als Letztes gibt es einen ausziehbaren Tisch mit vier Klappstühlen.

      »Das hier ist mein Vater«, stellt der Kleine Li den Großen Li vor, Lao Li. (Übrigens: Zwar bedeutet lǎo alt, aber in diesem Fall, als Namenszusatz, wird es mit ›ehrenwert‹ übersetzt.) Peter reicht ihm die Hand. Mittlerweile weiß er zwar, dass Händeschütteln nicht zum Begrüßungsritual gehört, aber die Gewohnheit zollt mal wieder ihren Tribut.

      »Setzen Sie sich«, fordert der Große Li den Gast auf.

      »Nein, ich will ihm erst noch die Wohnung zeigen«, unterbricht der Kleine Li. Er zieht Peter in das angrenzende Zimmer mit einem Doppelbett und einem Kleiderschrank. »Hier schlafen meine Eltern.«

      »Und du?«, fragt Peter.

      »Ich schlafe im Wohnzimmer auf der Couch. Und wenn ich mal heirate, brauchen wir wohl eine größere.«

      »Wollt ihr dann hier zu viert leben?«

      »Natürlich, meine Frau zieht dann hier mit ein«, sagt der Kleine Li wie selbstverständlich.

       ÜBRIGENS

      Der Kleine Li hat keinen Scherz gemacht. Oft leben in einem Haushalt drei Generationen unter einem Dach. Sie teilen sich zwei Zimmer, Küche und Bad. Ist das Kind noch klein, schläft es bei den Eltern im Bett. Tagsüber, während sie arbeiten, passen die Großeltern auf den Enkel auf. Viele Chinesen, die zur neuen Mittelschicht gehören und es sich leisten können, leben alleine mit ihrer Familie in einer Wohnung. Traditionell bleiben die Familien aber zusammen, nicht nur aus Kostengründen. Großeltern als Babysitter frei Haus zu haben, hat ja auch seine Vorteile.

      Frau Li, also eigentlich ja Frau Zhang, hat schon Essen auf den Tisch gestellt und ruft die beiden. Das Essen ist besonders lecker und reichhaltig. Peter kommt aber nicht umhin, sich zu wundern, dass die Familie in so einer ungemütlichen Wohnung mit Betonfußboden und zusammengestückelten Möbeln lebt. Auch funktionelles Mobiliar kann hübsch sein. Und so teuer ist es sicherlich auch nicht. Das muss ihm der Kleine Li noch mal erklären.

       Das Obdach in der Regierungsobhut

      Die junge Generation der Chinesen legt mittlerweile mehr Wert auf ein gemütliches Zuhause. Wer Geld für diesen Luxus erübrigen kann, gönnt sich einen schönen Holzfußboden, moderne Möbel und schmückt die Wohnung mit passenden Accessoires. Ihre Eltern favorisierten vermutlich noch die Investition in ein Auto, was die Nachbarn besser als das Innere einer Wohnung beneiden konnten, oder in die Ausbildung des Kindes.

       ÜBRIGENS

      Öffentliche Schulen und Universitäten sind in China kostenlos. Private Unis werden aber in der Regel höher angesehen, weil sie den Abgängern später eine bessere Berufschance bieten, müssen aber selbst bezahlt werden. Das Geld dafür sparen sich die Eltern gerne vom Munde bzw. von ihrem Luxus ab. Sie profitieren ja schließlich später auch davon, wenn das Kind ein dickes Gehalt nach Hause bringt.

      Darüber hinaus gibt es erst seit 1998 Eigentumswohnungen, bei denen es sich lohnt, Geld hineinzustecken. Jeder Chinese, ob Angestellter, Arbeiter oder Student, bekam während der Planwirtschaft eine Wohnung zugeteilt. Damit wollte die Regierung verhindern, dass das stetig wachsende Volk obdachlos würde. Die zugewiesene Wohnung gehörte zu den Sozialleistungen, die der Arbeitgeber zu erbringen hatte. Die Mieter mussten auch Miete zahlen. Die war aber so gering, dass es eher an einen Obolus erinnerte. Die Größe richtete sich unter anderem nach Alter und Dienstzugehörigkeit. Erfüllte jemand die Kriterien der Zuweisung nicht, musste er bei den Eltern leben. Daher war es nicht ungewöhnlich, wenn sich drei Generationen den engen Raum teilten.

      Die Wohnungen waren oft nah am oder sogar direkt auf dem Gelände des Arbeitsplatzes. Seit 1998 gibt es einen kommerziellen Wohnungsmarkt, der den Chinesen erlaubt, Wohnungen zu kaufen oder anzumieten. Wenn man denn das nötige Kleingeld dafür hat. Viele bleiben trotzdem bei den Eltern wohnen, um das Geld zu sparen, sich eine Reise zu gönnen oder in anderem Luxus zu schwelgen. Diejenigen, die schon lange in einer zugewiesenen Wohnung lebten, hatten damals die Möglichkeit, diese günstig dem Arbeitgeber abzukaufen. Fast alle haben von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

      Mit den steigenden Immobilienpreisen in den Städten wie Peking, Shanghai oder Shenzhen sitzen viele auf wahren Goldgruben. Selbst wenn sich der Kohl im Treppenhaus stapelt und der Putz von den Wänden auf blanken Betonboden bröselt.

      7

       HǍO SHÌ DUŌ MÓ

      好事多磨

      Nachdem Peter ein paar Wochen im Wohnheim gewohnt hat, ist er bereit, auf eigenen Füßen beziehungsweise in einer eigenen Wohnung zu stehen. Er hat auch schon eine spezielle Vorstellung: Er möchte in einem sìhéyuàn, einem Pekinger Hofhaus, wohnen. Der Kleine Li hat schon einen Wohnungsmakler angerufen, und sie treffen die Dame am Eingang der Straße zum ersten Objekt.

       ÜBRIGENS

      Ein sìhéyuàn ist ein traditionelles, einstöckiges Haus in Peking, das in der Mitte einen Hof hat. Dass dem allerdings nicht immer so ist, wird Peter bald merken. Mehr zu diesen typischen Häusern und ihrer Bedeutung können Sie im Kapitel 8 ›Xiá Bù Yǎn Yú?‹ nachlesen.

      »Das ist Frau Li«, stellt der Kleine Li vor.

      Peter lacht. »Ihr seid aber nicht verwandt?«, fragt er.

      »Nein, nein«, versichert der Kleine Li, »ihr Name wird ganz anders geschrieben und außerdem im vierten Ton gesprochen. Mein Name ist im dritten Ton.« Der chinesische Freund kichert. »Ihren Namen wirst du auf jeden Fall richtig aussprechen«, fügt er hinzu.

      Als