beruhigt er den Deutschen gleich, »ich nehme es dir nicht übel, wenn du meinen Namen falsch aussprichst.«
Peter grinst beschämt zurück und lenkt schnell ab: »Lass uns Wohnungen anschauen!«
Die Enttäuschung ist groß, als Peter vor dem ersten Objekt steht. Es ist zwar ein typisches Pekinger Haus, nämlich sechsstöckig wie das vom Kleinen Li, und hat rote Backsteine. Aber es ist mitnichten ein sìhéyuàn.
»Warum führt die Dame uns hierher«, begehrt er zum Kleinen Li gewandt auf. »Ich hatte doch deutlich gesagt, dass ich in einen sìhéyuàn ziehen will.«
Die Maklerin, Frau Li, bekommt zwangsläufig den Unmut des jungen Ausländers mit, wenn sie auch nicht genau weiß, worum es geht. Vorsichtig trägt der Kleine Li Peters Anliegen vor, peinlich darauf achtend, dass er weder grob noch frech klingt. Er weiß besser als Peter, dass die weitere Zusammenarbeit davon beeinträchtigt werden kann – und nicht unbedingt zum Guten.
Was dann folgt, ist eine lange, ungefähr fünf Minuten dauernde Erklärung seitens der Maklerin Li, von der Peter nicht sehr viel versteht. Als er in einer Sprechpause den Kleinen Li erwartungsvoll anschaut, sagt dieser: »Der Besichtigungstermin für den ersten sìhéyuàn ist erst in einer Stunde, deswegen hat sie uns schon mal hierher geführt.«
Das ist alles für fünf Minuten Gerede? Lost in translation, denkt Peter, fragt aber dennoch nach, worum es die ganze Zeit ging.
»Wir Chinesen haben Probleme mit dem direkten Wort«, beginnt der Kleine Li ein wenig peinlich berührt zu erklären. »Statt zu sagen: ›Tut mir leid, ich habe mich in dem Besuchsplan verguckt‹, hat Frau Li mir gerade erklärt, warum diese Wohnung für dich viel besser wäre. Damit begründet sie ihre Entscheidung, hierher zu kommen, die ja zu deinem Wohle ist. Erst am Ende sagte sie dann den wahren Grund.«
Wohl hin oder her, Peter empfindet es als Zeitverschwendung. Stattdessen hätte er ja noch ein paar Vokabeln pauken können. Von ihrem Chinesisch aus irgendeiner südlichen Provinz versteht er ja kein Wort, es ist also noch nicht mal als Praxisübung anzurechnen. Peters Ungeduld schwingt wie elektrische Spannung in der Luft.
Das Klingeln von Frau Lis Mobiltelefon unterbricht die Gedanken aller, sie geht ein wenig zur Seite und flüstert dem Anrufer etwas zu.
»Ich muss leider gehen, können wir den Termin auf einen anderen Tag verschieben?«, fragt sie, als sie auflegt.
»Natürlich«, sagt der Kleine Li. Und schneller als Peter die Situation verstehen kann, ist sie verschwunden.
»Zum Glück kenne ich noch einen anderen Makler«, bemerkt der Kleine Li trocken.
»Der Termin ist doch nur verschoben«, meint Peter naiv.
»Nein«, widerspricht der Freund, »das war eine Abfuhr auf Chinesisch.« Grinsend greift der Kleine Li zu seinem Telefon und spricht mit einem zweiten Makler. Derweil macht Peter sich Vorwürfe, so unsensibel gewesen zu sein.
Als der Kleine Li schließlich sagt, dass sie in dreißig Minuten erwartet werden, hellt sich seine Miene wieder auf – beim Anblick des Mietobjekts verdunkelt sie sich jedoch gleich wieder. Zwar stehen sie tatsächlich in einem hútòng, einer engen Pekinger Gasse, durch die gerade mal ein Auto passt, doch der sìhéyuàn hat statt eines Hofes nur einen schmalen Streifen Beton, den sich die Nachbarn teilen müssen. Zudem scheint das Badezimmer in der kleinen Küche integriert zu sein, wenn Peter die frei hängende Duschbrause an der Wand richtig interpretiert.
Ihm bietet sich die Möglichkeit, seine Erfahrung der vorherigen Stunde anzuwenden, und er bittet lächelnd den Kleinen Li für ihn zu übersetzen: »Sehr hübsch hier, die Zimmer sind geräumig und hell. Ich hätte aber gerne einen größeren Hof, in dem man im Sommer sitzen kann.«
Der Makler, er heißt – man glaubt es kaum – auch Li, nickt wissend und führt die beiden durch ein paar der schmalen Gassen zum nächsten Häuschen.
MÜLLER, MEIER, UND SCHMIDT AUF CHINESISCH
Zwar gibt es mehrere Tausend Nachnamen in China, allerdings teilen sich 85 Prozent aller Chinesen rund 100 davon. Dass Peter auf so viele Lis trifft, ist somit keine Überraschung. Li ist neben Wang und Zhang einer der häufigsten Nachnamen. Unser ›Otto Normalverbraucher‹ heißt daher auch auf Chinesisch ›lǎobǎixìng‹, hundert alte Namen.
Einige Nachnamen können sogar geografisch zugeordnet werden. In Guangdong kommt z.B. der Name Liang besonders häufig vor, in Sichuan sind es He und Deng. Das liegt daran, dass sich die Klans im alten China an einem Ort niederließen und dort blieben. Durch die steigende Migration heutzutage wird sich die Konzentration der Namen in den einzelnen Provinzen auflockern. Herrn Li oder Frau Wang zu übertreffen, wird allerdings unmöglich bleiben.
Interessiert und schon aufgeregt, bald in so einem Umfeld wohnen zu dürfen, betrachtet Peter seine Umgebung. Trotz der Kälte treffen sie einige Chinesen in Schlafanzügen und Hausschuhen, die schlurfend ihrer Wege gehen. Ein Baby auf dem Arm der Mutter reckt seinen blanken Po durch einen Schlitz in der wattierten Hose. Schulkinder flitzen in Uniformen zwischen den permanent klingelnden Fahrradfahrern hindurch. Verwundert stellt er aber fest, dass die gesamte Häuserfassade einheitlich zugemauert ist.
EIN MAO-ANZUG FÜR PEKINGS ALTE STRASSEN
In einer großangelegten ›Unser-Dorf-soll-schöner-werden-Aktion‹ hat die Pekinger Stadtregierung begonnen, die Häuserfassaden in den hútòng zuzumauern. Damit will sie illegalen Geschäften wie Friseursalons, Restaurants oder Kiosken den Kampf ansagen. Die Anwohner werden mit einem unscheinbaren Zettel an der Tür darüber informiert, dass diese demnächst zugemauert wird. Oft bereits innerhalb weniger Tage. Das offizielle Ziel ist, die Altstadt einheitlich zu gestalten. Dass einige dadurch ihre Existenzgrundlage verlieren, stört niemanden, außer natürlich die Geschäftsinhaber. Die Straßenzüge sollen am Ende eine gleichmäßige Mauer in Grau erhalten und eine Tür pro Haus sowie gleich große Fenster. Proteste helfen nicht, Erfindungsgeist ist gefragt. Und den haben die Chinesen. Wer einen neuen Haarschnitt braucht, wird durch eine Hintertür in den Salon gelotst. Gibt es diese nicht, kann der Kunde über eine Leiter durchs Fenster hineinklettern. Manchmal besteht die Leiter auch nur aus den übrig gebliebenen Steinen, mit denen der Salon zugemauert wurde.
Schließlich treten sie in einen engen Gang und kommen in einem mit kaputten Holzstühlen, wackeligen Schränken und alten Blumentöpfen vollgestellten Hof heraus. Trotz des ganzen Plunders ist noch reichlich Platz für einen Liegestuhl mit Beistelltisch, bemerkt Peter. Und wie es sich gehört, ist der Hof viereckig mit Zimmern an jeder Seite.
Neugierig schaut ein alter Mann aus seinem Fenster zu den Besuchern. Makler Li schließt die Tür eines Zimmers auf, in dem es zur Rechten in ein zweites Zimmer geht und zur Linken in eine Küche, ohne Duschbrause. Von dem abgeblätterten Putz versucht Peter sich nicht abschrecken zu lassen. (Der Kleine Li hatte ihm vorher erzählt, es wäre recht billig, ein paar Handwerker mit Farbe durch die Räume zu schicken.) Trotzdem ist er nicht ganz zufrieden. Er möchte am liebsten ein Häuschen mit eigenem Hof für sich alleine. Nichts gegen die Nachbarn, aber so viel Tuchfühlung ist ihm doch zu eng. Wieder verpackt er die Kritik geschickt mit dem Lob, dass dies ja schon seinen Ansprüchen näher käme, er aber doch etwas mehr Privatsphäre vorzöge.
Nach zwei weiteren Besichtigungen überfällt Peter langsam das schlechte Gewissen, jedes Häuschen abzulehnen. Aber soll er den Makler glücklich machen oder sich? Am besten beide, denkt er und hofft, dass Makler Li noch etwas in petto hat. Langsam müsste ja klar sein, was Peter eigentlich will.
Als sie bei dem nächsten Eingang einen engen Weg zurücklegen müssen, befürchtet Peter, wieder in einem Gemeinschaftshof zu landen, mit der Dusche in der Küche und freiem Blick für die Nachbarn. Dann erst fällt ihm auf, dass in keiner Wohnung eine Toilette war.
»Gibt es auch meistens nicht«, flüstert der Kleine erklärend auf seine Frage. »Dafür gibt es die öffentlichen Toiletten in den hútòng.« (Bitte wundern Sie sich nicht, dass das Plural-s fehlt. Im Chinesischen gibt es keine Mehrzahl,