Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz


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politischer und wirtschaftlicher Art, die die Nationalsozialisten in Thüringen durchsetzen konnten, experimentierten sie hier erstmals mit der Manipulation von Demokratie; denn sie betrachteten sich durchaus zu Recht als die Sieger in einem verfassungsmäßig einwandfreien Wahlvorgang. Das machte sie allerdings nur gefährlicher, weil sie unter dem Deckmantel der Legalität umso unheilvoller wirken konnten. Für die Weimarer Kultur der Moderne lief das auf Zerstörung hinaus. Hans Severus Ziegler, zunächst Ministerialreferent für Theater und Kunst im thüringischen Volksbildungsministerium, wusste seine Befugnisse zu nutzen. 1933 wurde er gar zum Staatskommissar für die Landestheater und zum Generalintendanten des Nationaltheaters Weimar ernannt. Die Inszenierung moderner Stücke war nun ebenso verboten wie die Aufführung von Jazz und atonaler Musik oder der Besuch von Kabaretts und gewagten Varieté-Darbietungen. Als Schultze-Naumburg das, was vom Bauhaus noch übrig war, übernahm, ließ er Wandgemälde und Fresken Oskar Schlemmers im und am Dessauer Werkstattgebäude zerstören. Siebzig expressionistische Gemälde, darunter Werke von Kandinsky und Klee, wurden aus den Ausstellungsräumen des herzoglichen Museums entfernt. Filme wurden vor ihrer Aufführung sämtlich zensiert, insbesondere solche, die auch nur einen Hauch von Erotik enthielten.20

      Wer nicht der »Bewegung« angehörte, dem missfielen die Störaktionen und Schändungen durch NSDAP-Anhänger, die sich angesichts wachsender Arbeitslosigkeit in den späten zwanziger Jahren um die Partei scharten und zunehmend radikalisierten. Insbesondere, wer der Moderne aufgeschlossen gegenüberstand und zum Beispiel die Filme von Fritz Lang oder einen klugen Kommentar in einer bürgerlich-liberalen Zeitung schätzte, rümpfte die Nase. Vermutlich wären die nationalsozialistischen Kulturvermittler erfolgreicher gewesen, wenn sie nicht nihilistische Zerstörung betrieben, sondern in Kunst und Kultur Neues hervorgebracht hätten, auf einer Linie mit ihrer Ideologie und unleugbar originell sowie leicht zu konsumieren. Aber das gelang ihnen von Anfang an nicht: Zeugnisse einer eigenen NS-Kultur waren rar gesät und zudem von armseliger Qualität. So gab es keinen von einer NS-nahen Filmgesellschaft produzierten Streifen, der das Heldentum brauner Straßenkämpfer gefeiert hätte, und nur wenige, gegen Ende der Weimarer Republik erschienene Romane schilderten das Erstarken der Partei während dieser Zeit.21 Stattdessen sahen die Nationalsozialisten sich gezwungen, auf traditionelle Kulturprodukte zurückzugreifen. Diese seien, erklärten sie, ungerechtfertigterweise vernachlässigt worden und müssten nun endlich die verdiente Beachtung finden. Verwendbares Material entdeckten sie in der konventionellen deutschen Kunst zumeist des 19. Jahrhunderts, in der Wohlfühlarchitektur à la Schultze-Naumburg und Romanen über deutsche Idole des Ersten Weltkriegs. Da die Nationalsozialisten davon nur wenig als Eigenprodukt ausgeben konnten, behaupteten sie eben, dass jede neue politische Bewegung Vorläufer brauche und dass in ihrem Fall der inhärente Zweck dieser früheren Kulturgüter darin liege, NS-eigenen Hervorbringungen den Weg zu ebnen. Tatsächlich waren die meisten späteren Produkte synkretisch und gründeten auf einer gegenständliche Darstellungsweisen bevorzugenden, reaktionären Kultur.

      Für seine anfänglich zumeist aus der konservativen Bildungsschicht stammenden Anhänger stellte der Kampfbund nach und nach ein konventionelles Kulturprogramm auf die Beine. In seiner Zeitschrift, der Deutschen Kultur-Wacht, wurde die Leserschaft mit »einer Mischung aus ernsthaften Beiträgen zum Thema Kultur und völkischen Traktaten« unterhalten.22 Schultze-Naumburg forderte eine »rassische Erneuerung« der Kunst mittels Rückkehr zu völkischen Quellen und organisierte Ausstellungen mit Bildern deutscher Künstler aus dem 19. Jahrhundert (u. a. Wilhelm Leibl, Franz Defregger und Hans Thoma), aber auch mit Werken der deutschen Renaissance.23 Besonders eifrig war der Kampfbund, wenn es um die Unterstützung nationalsozialistisch eingestellter Musiker ging, die aus dem einen oder anderen Grund die Moderne ablehnten. Ein Beispiel ist der Geiger Gustav Havemann, der mit dem international bekannten Havemann-Quartett Schönberg und Hindemith gespielt hatte, 1932 jedoch in die NSDAP eintrat und die Leitung des Kampfbund-Orchesters übernahm. Von da an diente er den Nazis treu ergeben, indem er nur noch traditionelle Werke zur Aufführung brachte.24 Andere Musiker, die nun Karriere machten, waren die Komponisten Max Trapp und Paul Graener, eher unbedeutend in der deutschen Musikwelt, aber einflussreich als Lehrer an der Akademie der Künste und am Stern’schen Konservatorium.25

      Streng beobachtet durch die Leiter des Kampfbunds, wo nicht gar durch Hitler und Goebbels selbst, entfalteten sich am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums künstlerische Aktivitäten von Film bis Kunstkritik, aber stets der Tradition verhaftet. So drehte etwa der Südtiroler Luis Trenker, Weltkriegsveteran und Skilehrer mit Naturburschen-Charme, gegen Ende der zwanziger Jahre Filme über die Naturschönheit der Alpen, wenn er sich nicht gerade mit einer jungen, bergbesessenen Schauspielerin namens Leni Riefenstahl zum Rendezvous traf. Trenkers Filme appellierten an das deutsche Nationalgefühl: Sie zeigten die Verwurzelung der Menschen in den Gebirgstälern, feierten die Eroberung von Alpengipfeln und beschworen dabei die grenzüberschreitende Einheit von Bayern, österreichischen Tirolern und den deutschsprachigen Anverwandten im italienischen Alto Adige.26 Hier war bereits ein stark nationalistischer, gar chauvinistischer Subtext am Werk. Gegen Ende der Weimarer Republik wurden mehr kitschige Romane über das Landleben als je zuvor veröffentlicht, in denen Deutschland als Heimat einfacher, aber treu-biederer Bauern geschildert wurde.27 Schultze-Naumburg wagte in riskanten Analysen den Vergleich zwischen Kunstwerken der Moderne und einem deutschen Klassiker, dem Bamberger Reiter, einem bei autoritären Nationalisten besonders beliebten Standbild. Hans Friedrich Blunck pries deutschen Volkstanz und deutsches Volkslied und hoffte auf eine Wiedergeburt teutonischer Stammeswerte und darauf, dass sie unter Hitler in eine angemessene Form gegossen werden würden.28

      Die Weimarer Kultur wird gesäubert

      Ende Februar 1933 erhielt der Schauspieler Hans Otto, zu der Zeit beschäftigt am Preußischen Staatstheater in Berlin, die Mitteilung seiner Kündigung. Nach über 100 Bühnenauftritten in der Spielzeit 1932/33 gab er nun Ende Mai zum letzten Mal den Kaiser in Goethes Faust II. Angebote von Theatern in Wien und Zürich schlug er aus, weil er dem Druck der Nazis nicht weichen wollte. Stattdessen ging er in den Untergrund, wurde aber Mitte November in einem Café am Viktoria-Luise-Platz von SA-Leuten verhaftet, im SA-Quartier, später im Gestapo-Hauptquartier und in der Voßkaserne, dem Sitz der NSDAP-Gauleitung, bis zur Bewusstlosigkeit misshandelt und dann aus dem Fenster gestürzt. Am 23. November starb er in einem Berliner Krankenhaus.29

      Der junge, gut aussehende und enorm populäre Hans Otto war ein typischer Vertreter jener Weimarer Kultur, die die Nationalsozialisten zerstören wollten. Er hatte in klassischen Stücken ebenso geglänzt wie in modernen Schauspielen von Wedekind oder Strindberg. Aber er war auch Mitglied der Kommunistischen Partei. Jan Petersen war ebenfalls Kommunist; er arbeitete von Berlin aus als Journalist. Zu seinem Glück wurde er nicht aufgegriffen und konnte ein Buch über das proletarische Leben in der letzten Phase der Weimarer Republik schreiben, das die Nazis nicht verschonte. Das Manuskript wurde in einen Kuchen eingebacken und von dem als Skitouristen verkleideten Petersen Weihnachten 1934 über die Grenze zur Tschechoslowakei geschmuggelt. Das Buch konnte im Ausland veröffentlicht werden, und Petersen gelang Mitte der dreißiger Jahre die Flucht über die Schweiz nach Großbritannien.30

      Ein weiterer kommunistischer Schauspieler war Wolfgang Langhoff aus Düsseldorf. Der 32-Jährige verbrachte die meiste Zeit des Jahres 1933 in den Konzentrationslagern (KZ) Papenburg-Börgermoor und Lichtenburg. In Papenburg schrieb er mit am Text für das Moorsoldaten-Lied, das mit seinem trotzigen Refrain – Wir sind die Moorsoldaten/und ziehen mit dem Spaten/ins Moor – von vielen zukünftigen KZ-Häftlingen gesungen werden würde. 1934 wurde Langhoff aus der Haft entlassen und floh in die Schweiz, wo der junge Mann mit den, wie Thomas Mann notierte, »ausgeschlagenen Zähnen« in einem Transitlager auf die Familie des Autors traf.31

      Andere in der Weimarer Republik bekannte Künstler konnten Deutschland leichter verlassen, weil sie nicht zur Linken gehörten. Der Dirigent Erich Kleiber zum Beispiel, Österreicher und ein Liebhaber der Musik Alban Bergs, wurde 1935 vertrieben. Dabei war seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus durchaus zwiespältig. Denn zunächst hatte er, zusammen mit Wilhelm Furtwängler, als Mitglied eines NS-Gremiums für Filmzensur Hermann Göring unterstützt. Im Juni/Juli 1934, während des sogenannten Röhm-Putsches, soll Kleiber im engen Freundeskreis auf Sylt die Hoffnung geäußert haben,