Heinrich Thies

Die verbannte Prinzessin


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      »Georg Ludwig und Friedrich August?«

      »So schnell waren sie auch wieder nicht. Erst einmal haben sie die Erzieher der beiden bezirzt, du …«

      Eleonore von dem Knesebeck unterbrach sich. Denn in diesem Moment betrat eine Zofe den Salon, von der es hieß, dass sie ihre Augen und Ohren bisweilen in den Dienst der Gräfin von Platen stellte. Vorsicht war daher in Gegenwart der höflichen, ja fast unterwürfigen Person geboten, höchste Vorsicht.

      »Darf ich den beiden Damen noch eine heiße Schokolade bringen?«

      Sophie Dorothea schüttelte den Kopf und ließ Eleonore antworten. »Nein, danke vielmals, Elisabeth. Wir haben genug genascht. Wir freuen uns auf den Wein, aber damit wollen wir noch warten.«

      Mit einem Knicks und aufgesetztem Lächeln verabschiedete sich die Zofe.

      »Gut, dass die Türen hier so dick sind«, sagte Eleonore. »Sonst müsste man fürchten, dass das Täubchen dahinter steht. Es könnte sich für sie lohnen.«

      Sophie Dorothea seufzte. »Ja, es ist furchtbar. In diesem Schloss haben auch die Wände Ohren.«

      »Und das hat vor allem mit den beiden Damen zu tun, über die wir gerade gesprochen haben.« Gedankenverloren strich Eleonore ihr Haar zurück. »Wo waren wir stehen geblieben?«

      »Beim Schäferspiel.«

      »Richtig. Bei diesem Schäferspiel also haben die Meysenburg-Schwestern die Erzieher von Georg Ludwig und Friedrich August eingefangen. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis Klara Elisabeth den ehrwürdigen Herrn Franz Ernst von Platen zum Traualtar geführt hat. Bei ihrer Schwester war es komplizierter. Die ist bei dem Bruder des Prinzenerziehers hängen geblieben. Maria hat sich, wie Ihr wisst, mit Johann von dem Bussche vermählt. Aber diese Eheschließung war für die beiden Damen eben nur der Ausgangspunkt neuer Affären. Sie verstanden es trefflich, den Familienanschluss zu nutzen. Und als die Herzogsfamilie in ihre neue Residenz nach Hannover übersiedelte, schlossen sich die holden Schwestern dem Umzug selbstredend an.«

      Sophie Dorothea trank den letzten Schluck ihrer Schokolade.

      »Mir scheint, dass Klara Elisabeth ihrer Schwester Maria bei alldem an Raffinesse und Durchtriebenheit weit überlegen ist.«

      Eleonore nickte. »Wohl wahr. Die hat Haare auf den Zähnen. Sie hat nie ihr Hessisch abgelegt, und ihre Bildung soll sich auch in Grenzen halten. Aber sie ist gerissen wie keine Zweite. Was sie sich in den Kopf setzt, erreicht sie. Und natürlich konnte sie sich nicht mit dem kleinen Oberhofmeister von Platen begnügen. Sie hat es von Anbeginn an darauf angelegt, das Herz des Fürsten zu gewinnen. Und wie wir wissen, waren ihre Bemühungen erfolgreich.«

      Sophie Dorothea strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie ihren Gedanken eine andere Richtung geben. »Schon traurig, dass unser Fürst sich von einer solchen Dame einwickeln lässt. Er scheint ihr ja wirklich jeden Wunsch von den Augen abzulesen.«

      »Manche sagen darum ja auch, dass sie eine Hexe ist«, erwidert Eleonore. »Und das ist sicher nicht ganz falsch: Die Platen hat Ernst August verhext. Bestimmt wäre ihr Mann sonst nicht so schnell beim Fürsten aufgestiegen – vom Prinzenerzieher zum Geheimen Rat und Ersten Minister. Ich möchte nicht wissen, welchen Rang dieses Männchen ohne seine Gemahlin bekleiden würde.«

      »Und sie hat ja nicht nur für ihren Gemahl gesorgt, sondern auch für sich selbst. Mir scheint, einer ihrer erfolgreichsten Schachzüge war es, sich als Ehrendame in den Hofstaat unserer Fürstin einzuschleichen. Das muss man sich mal vorstellen: Sie hat ein Verhältnis mit dem Ehemann, und plaudert mit der betrogenen Gattin, als wäre sie ihre allerbeste Freundin.«

      »Ach, ich glaube, Ihre Durchlaucht Sophie sieht das alles mit großer Gelassenheit, solange ihr der gebührende Respekt erwiesen wird.«

      »Mit philosophischer Gelassenheit«, ergänzte Sophie Dorothea. »Sie hält sich an diesen Leibniz und amüsiert sich mit geistvollen Plaudereien über Gott und die Welt. Das Wichtigste für sie ist die Karriere ihrer Kinder. In ihren ersten Ehejahren soll sie ja mit ihrem Mann noch zusammen Musik gemacht haben, die Laute und Pandurine sollen sie gezupft haben, ganz allerliebst, wie erzählt wird. So schön harmoniert es vermutlich schon lange nicht mehr zwischen den beiden. Aber wen stört es? Da lässt sich Ernst August eben nicht mehr von seiner Sophie streicheln, sondern von Klara Elisabeth.«

      »Und die tut’s gern, denn es lohnt sich für sie. Mir ist zu Ohren gekommen, dass der Fürst dabei ist, ihr Schlösschen in Linden zu einem wahren Palast zu machen. Dabei ist der Schuldenberg jetzt schon so hoch, dass die Minister aus dem Jammern nicht mehr herauskommen. Aber vielleicht verleiht unser Herzog ja wieder ein paar Tausend Landeskinder. Der Bedarf an Soldaten ist groß, ob in Wien oder Venedig. Und es lohnt sich, wie man hört.«

      Sophie Dorothea gähnte. »Das ist Politik, liebe Eleonore. Davon verstehen wir nichts. Und es fehlt mir auch der Ehrgeiz, mehr darüber zu wissen. Das Leben ist so schon schwer genug. Aber fest steht: Wer beim Herzog etwas erreichen will, hält sich an Klara Elisabeth von Platen.«

      Und die begnügte sich nicht mit dem Einfluss auf den Fürsten, sie bezog auch dessen ältesten Sohn Georg Ludwig in ihre Ränke ein. So war ihr das Kunststück gelungen, den verschlossenen jungen Mann mit ihrer jüngeren Schwester Katharina Maria zu verkuppeln.

      Dennoch war die Macht der Platen nicht unbegrenzt. Wenn sie auch auf die Prinzessin aus Celle herabblickte, so hatte sie doch allen Grund, die junge Dame im Leineschloss ernst zu nehmen. Denn mit dem Einzug Sophie Dorotheas kündigte sich für die Mätresse etwas an, das zu einer ernsthaften Gefahr werden konnte. Die demütigende Behandlung, die bereits ihrer Schwester Maria widerfuhr, war ein Alarmsignal. Es wehte ganz offenkundig ein neuer Wind. Sophie, die bisher so abgeklärt und gnädig die Augen vor dem Schattenreich ihrer Nebenbuhlerin verschlossen hatte, schien aufgewacht zu sein – aufgeweckt von Eleonore d’Olbreuse, die im Interesse ihrer Tochter Anstoß an den Zuständen in Hannover nahm. Und Klara Elisabeth von Platen konnte sich neuerdings nicht einmal mehr ihres Geliebten sicher sein. Mit Argwohn beobachtete sie, dass Ernst August von seiner schönen Schwiegertochter schwärmte und dieser Sophie Dorothea allerlei Aufmerksamkeiten zuteil werden ließ. In solchen Momenten spürte sie schmerzlich, dass sie älter wurde. Ihre Schönheit war nur noch durch zeitaufwändige Schminkkünste aufrecht zu erhalten.

      Ihr gesamtes Renommee war bedroht. Emsig spielte sie daher die Rolle der »Wohltäterin«. Dabei gab sie es als »Wohltätigkeit« aus, die Milch, in der sie zuvor ihre Schönheitsbäder genommen hatte, an die Armen zu verschenken. Doch es war unübersehbar: Vieles war im Wandel begriffen. Knisternde Nervosität breitete sich aus in den Luxusgemächern von »Monplaisir«.

      Große Schneeflocken schwebten hinterm Schlossfenster zur Erde herab. Es schneite ohne Unterlass. Die Laute, die von außen in das Gemach der Prinzessin drangen, klangen gedämpft: das Gebell der Hunde, die Rufe der Wachen, das Rollen der Kutschen. Nur die Kirchglocken durchbrachen machtvoll die weiße Stille.

      Sophie Dorothea war es, als käme das Läuten aus einer anderen Welt. Das Kerzenlicht der Kandelaber verbreitete ein schummriges Licht in ihrem Schlafgemach. Es hätte die passende Stimmung zum Träumen sein können, aber die Prinzessin langweilte sich nur, weit entfernt, sich von dem Schneien verzaubern zu lassen. Sie wusste, dass die großen, schweren Flocken bald tauten und Schlamm und Schmutz hinterließen. Schlamm und Schmutz.

      Es ging bereits auf elf Uhr zu. Sophie Dorothea lag immer noch auf ihrem Bett. Sie gähnte, unschlüssig, was sie mit diesem Februartag anfangen sollte. Eleonore hatte ihr vor einer halben Stunde den neuesten Gesellschaftsklatsch aus dem »Mercure galant« vorgelesen. Das war amüsant, aber nichts, was sie wirklich interessierte.

      Anfangs hatte sie sich noch die Freiheit genommen, mit ihrem Edelfräulein durch die Stadt zu flanieren. Aber das sah die Fürstin nicht gern. Die Etikette, die sich am Wiener Vorbild orientierte, gestattete nur Ausfahrten in der vergoldeten, von sechs Pferden gezogenen Staatskarosse. Und solche Kutschfahrten ermüdeten sie. Leer und niedergeschlagen kehrte sie daraufhin immer ins