Kahlenberg vor Wien, schwebte auf einer Wolke des Stolzes. In dieser Stimmung sah der Erbprinz jetzt auch seine Gemahlin in einem anderen Licht. Sie war nicht mehr der verwöhnte Bastard aus Celle, nicht mehr das Püppchen, sondern die Mutter seines Sohnes, und plötzlich begriff er, warum alle so von ihr schwärmten: Sophie Dorothea war eine schöne Frau. Und er verwöhnte sie mit Geschenken und Gunstbezeugungen, die ihm niemand zugetraut hätte. Es war, als habe ihn ein geheimer Zauber aus seiner hölzernen Schale befreit und den wahren Kern freigelegt.
Möglicherweise lag das jedoch nicht nur an der Geburt seines Sohnes. Seine Mätresse Maria, der er noch kurz zuvor ewige Treue zugesichert hatte, war nämlich mittlerweile aus seinem Gesichtskreis entfernt worden. Seine Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie auch »Monplaisir«, das Lustschlösschen in Linden, räumen musste.
Auch die Fürstin verhielt sich Sophie Dorothea gegenüber rücksichtsvoller. Mochte ihre Abstammung noch so zweifelhaft, ihr Geblüt noch so fragwürdig sein: Jetzt war Sophie Dorothea die Gattin des Erbprinzen und die Mutter eines Sohnes. Alles andere hatte dahinter zurückzustehen.
Die Geburt des kleinen Prinzen wurde auch in Celle begeistert kommentiert. Viel häufiger als zuvor machten sich jetzt Herzog Georg Wilhelm und seine Frau Eleonore auf den Weg nach Hannover, um ihre Tochter und den kleinen Stammhalter zu besuchen.
Sophie Dorothea war selig: stolz auf ihren Sohn, erleichtert, von ihrem Mann endlich mit Wertschätzung bedacht zu werden, und glücklich, ihre Eltern wieder häufiger zu sehen.
Doch dieses Glück währte nicht lange. Ihr kleiner Sohn wurde, der Etikette entsprechend, unter der Regie der Schwiegermutter in die Obhut einer Amme gegeben. Sophie Dorothea sah ihn nur noch selten. Georg Ludwig kehrte zurück ins Feldlager und übernahm erneut Führungsaufgaben im Krieg gegen die Türken. Und auch die Besuche der Herzogin von Celle wurden bald wieder seltener. Die hohe Politik war dafür verantwortlich.
Der französische König Ludwig XIV. hatte am 18. Oktober 1685 das Edikt von Nantes aufgehoben, das seinen Untertanen bis dahin noch eine gewisse Religionsfreiheit gewährte. Unter der Parole »Ein König, ein Glaube, ein Gesetz« hatte man die Hugenotten zwar zuvor schon gedrängt, zur katholischen Kirche überzutreten. Doch nun verbot der König den Reformierten die Gottesdienste, ordnete die Zerstörung ihrer Kirchen an und untersagte die Auswanderung. Wer auf der Flucht ergriffen wurde, musste fürchten, sein Leben als Sträfling auf einer Galeere zu beschließen.
In Celle bangte Eleonore d’Olbreuse um ihren Bruder und die übrigen Familienangehörigen, die noch in Frankreich geblieben waren, um hugenottischen Flüchtlingen auf ihrem Schloss in Poitou Unterschlupf zu gewähren. Unterdessen strömten immer mehr Hugenotten, die aus Frankreich geflüchtet waren, in das gastfreundliche Herzogtum Celle. Die Schlossherrin stand im Zentrum der Hilfsaktionen und konnte sich daher nicht mehr so viel Zeit für ihre Tochter nehmen.
So fühlte sich Sophie Dorothea bisweilen einsam im Leineschloss. Die langen Spaziergänge, auf denen sie ihre Schwiegermutter in den Gärten von Herrenhausen begleiten musste, waren für sie kein Ersatz für die Plaudereien mit ihrer Mutter. Sie schämte sich für ihre Unwissenheit, wenn die Fürstin ihr Vorträge über die Lehren ihres Freundes Leibniz hielt. Dabei erschien auch ihr manches einleuchtend und klug – vor allem die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen, die Leibniz propagierte. Doch sie konnte kaum mehr dazu sagen als »Oh, gewiss«. Und im Grunde genommen wusste sie auch gar nicht, wozu sie sich anstrengen sollte. Denn die hannoversche Herzogin, so war sie überzeugt, interessierte sich sowieso nicht für ihre Meinung.
Zu ihrem Leidwesen musste Sophie Dorothea auch auf die aufmunternden Sprüche und vergnüglichen Einladungen ihres Schutzpatrons verzichten. Ernst August war oft für längere Zeit außer Landes – allein im Jahre 1685 weilte er acht Monate in Venedig. Wie gern wäre sie mitgefahren. Venedig – dieses Paradies an der Adria, von dem ihr Vater einst schon geschwärmt hatte, wurde für sie zum Inbegriff der Sehnsucht.
Zu Beginn des Jahres 1686 aber erfüllte Herzog Ernst August ihr endlich den Traum, die Lagunenstadt mit eigenen Sinnen zu erleben.
Karneval in Venedig
Dunstschleier hingen über dem Canal Grande. Die Rufe der Gondolieri klangen gedämpft, ein lauwarmer Wind trug an diesem späten Vormittag Gesang und Gelächter über das Wasser, an dessen Ufern sich prächtige Paläste erhoben: Palazzo Pisani, Palazzo Dandolo, Palazzo Grassi, Palazzo degli Orfei, Palazzo Balbi, Palazzo Giustinian … Die Namen klangen Sophie Dorothea wie Musik in den Ohren, sie schwirrten ihr im Kopf herum wie Liedfetzen, die sich zu einem chaotischen Choral verbanden. Und unermüdlich nannte ihr Schwiegervater die Namen weiterer Paläste, zeigte auf die prunkvollen Fensterfronten und Portale, die sich zittrig im Wasser spiegelten. Zu jedem Haus erzählte er eine Geschichte – von Bällen und Soupers, von schönen Damen, von Kaufleuten, die ein Vermögen mit dem Handel von Seide oder Gewürzen gemacht hatten, von den mächtigen Dogen, von Nobili, die Tausende von Dukaten in einer Nacht verspielten …
Sophie Dorothea meinte zu träumen, während sie mit dem alten Fürsten und ihrer Hofdame Eleonore in der schwarz lackierten Gondel durch die Kanäle fuhr. Tag und Nacht schienen ineinander überzufließen. Kreischende Möwen, gurrende Tauben. Aus anderen Booten winkten Menschen herüber, die gerade erst von einem Ball zu kommen schienen, der bis zum Morgen gedauert hatte, allesamt märchenhaft verkleidet – als Sultane und Haremsdamen aus dem Orient, als königliche Hoheiten mit Gewändern in Purpur und golddurchwirktem Brokat, als Harlekine mit weißen Porzellangesichtern, als Abenteurer und Kavaliere mit Degen und schwarzen Augenmasken aus Samt. Und bisweilen konnte es auch geschehen, dass einem unter dem schwarzen Umhang eines Bootspassagiers der Tod angrinste. Aber wenn schon!
Es war Karnevalszeit in Venedig. Und wenn die Lagunenstadt seine Besucher schon in normalen Zeiten verwirrte, so war sie im Karneval noch viel verwirrender. Wie sollte man wissen, wer sich unter den Masken verbarg? Der Mummenschanz zog auch zwielichtige Gestalten auf die Lagune: Betrüger, leichte Damen, Schwerverbrecher mit Dreispitz und Schnallenschuh, die aus der Zeit der fröhlichen Verwirrung Kapital zu schlagen hofften. Vorsicht war geboten. Ernst August ermahnte seine Schwiegertochter immer wieder, auf Schmuck und Geld zu achten, den Komplimenten der Nobili zu misstrauen. Doch hatte sie sich mit ihm erst in den Trubel einer Maskerade gestürzt, erwiesen sich solche Ermahnungen als sinnlos, dann lösten sich alle Ratschläge auf in Wein und Musik, verflüchtigten sich bei Geplauder und Tanz. Sophie Dorothea genoss es, wenn diese Märchengestalten sie anhimmelten. »Dem Himmel sei Dank, dass er uns ein göttergleiches Wesen wie Euch geschickt hat, meine allergnädigste Verehrung, die Dame …« So tönten sie, so schwärmten sie. Was sollte man dazu sagen? Lange, allzu lange hatte sie auf solch unbeschwerte Vergnügen verzichten müssen, die sie als junges Mädchen in Celle erlebt hatte. Die strenge Etikette am hannoverschen Hof reglementierte ja selbst noch die Verkleidung beim Karneval.
In Venedig war alles anders. Hier zählten Witz, Charme und Schönheit mehr als Rang und Etikette. Der Fürst verwöhnte Sophie Dorothea, wo es nur ging. An diesem späten Vormittag hatte er sie zu einem kleinen Ausflug auf dem Canal Grande eingeladen. Die Gondel stand zu seiner dauerhaften Verfügung, Gondoliere inklusive. Das einem eingebogenen Palmenblatt gleichende Gefährt war denn auch mit einem schwarzen Tuch ausgeschlagen, dem das hannoversche Wappen eingeprägt war.
Musik scholl aus einem der Paläste am Ufer, feierliche Geigen-, Oboen- und Flötenklänge. Nicht weit davon entfernt wurde aber auch gearbeitet. Am Fondaco dei Turchi legte ein Frachtschiff an, Segel wurden eingezogen, Rufe kündeten von geschäftigem Treiben. Vor einem Kornspeicher wuchteten Männer in grauer Arbeitskluft Getreidesäcke von einem Lastkahn. Einer der Arbeiter warf der Gondel des Fürsten einen kurzen Blick zu. Sophie Dorothea schien es, als würde der Mann ihr zuwinken. Sie winkte zurück. Daraufhin aber wandte sich der Mann abrupt ab, und griff nach einem neuen Kornsack. Sophie Dorothea atmete tief durch. Nein, diese schwitzenden Männer passten nicht in ihr Venedig-Bild.
Drei Wochen war sie nun schon in der Stadt. Schwiegervater Ernst August, der bereits am 16. Dezember 1685 in Hannover aufgebrochen war, hatte sie Anfang Januar nachholen lassen. Sie hatte keinen Moment gezögert, sofort war sie »über den Berg« gefahren – im Gepäck ihre schönsten Roben, Samt- und Seidenschuhe, Diamanthalsbänder und Smaragdohrringe. Der