Heinrich Thies

Die verbannte Prinzessin


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schnell wie möglich zu verlassen.

      Noch einsilbiger, noch frostiger trat er in den nächsten Tagen seiner Frau gegenüber. Sophie Dorothea fragte ihn ängstlich nach dem Grund seiner schlechten Laune. Doch er beteuerte, dass es ihm gut gehe und hüllte sich weiter in eisiges Schweigen.

      Ein Ereignis riss ihn jedoch heraus aus seiner Teilnahmslosigkeit, ein Erlebnis, das ihn zeitlebens beschäftigen sollte. Als er mit seinem Pagen über den Markusplatz schlenderte, fiel sein Blick auf die alten Weiber, die dort auf Tischen hockten und sich anboten, den Flanierenden die Zukunft vorherzusagen. Obwohl er darüber zu scherzen pflegte, hatten ihn Wahrsagerinnen immer schon angezogen. Verstohlen, aber gleichwohl fasziniert sah er, wie die alten Frauen geheimnisvolle Kugeln anstarrten oder über Sternbilder grübelten, um dann ihre Erkenntnisse mitzuteilen. Sie flüsterten sie in ein Eisenrohr, das sich die Kunden ans Ohr halten mussten.

      Wenn Georg Ludwig mit Sophie Dorothea hier gewesen war, hatte er es nicht gewagt, sich auf diese Gaukelei einzulassen. Doch nun war niemand in seiner Nähe, der ihn auslachen würde, und vor seinem Pagen musste er sich nicht schämen.

      Kaum hatte er eine der Wahrsagerinnen ins Visier genommen, winkte sie ihn auch schon zu sich. Tiefe Furchen zerklüfteten das braungebrannte Gesicht, auch die schlohweißen Haare deuteten auf ein hohes Alter. Doch in den Augen leuchtete ein wildes Feuer. Georg Ludwig konnte sich diesem Blick nicht entziehen und ließ sich willenlos zu dem Stuhl dirigieren, der vor dem Tisch der Alten stand. »Bitte setzen, mein Herr.«

      Zu seiner Überraschung sprach die Frau französisch, so dass er keine Probleme hatte, sie zu verstehen.

      »Mein Herr«, raunte sie, »ich spüre, dass eine große Zukunft vor Euch liegt, ich spüre es in meinem Blut.«

      Und dann hielt sie ihm ihr Eisenrohr hin und forderte ihn auf, es sich ans Ohr zu legen.

      »Wann geboren?«, fragte sie. »Ihr müsst mir den Tag Eurer Geburt nennen.«

      »Ich, äh, bin am 28. März 1660 geboren«, sagte Georg Ludwig. Genauso gehorsam beantwortete er auch die übrigen Fragen, die ihm das Weib stellte – nach seiner Herkunft, seiner Ausbildung und Tätigkeit, seiner Familie.

      Bisweilen nickte die Frau oder sagte in ernstem Ton: »Ich sehe.« Schließlich forderte sie Georg Ludwig auf, ihr seine rechte Hand zu reichen. Sie fuhr seine Handlinien nach und murmelte Unverständliches.

      Bevor sie mit der Auswertung begann, verlangte sie ihren Lohn: »Drei Dukaten, der Herr.«

      Georg Ludwig zahlte ungeduldig. Was ihn störte, war, dass sich ein Pulk von Neugierigen um ihn gebildet hatte – Gaffer, die der Zeremonie mit abschätzigem Grinsen folgten und Witze rissen. Doch die Wahrsagerin nutzte den werbewirksamen Auflauf und nahm sich Zeit. »Geduld, ich muss den Himmel und die Sterne befragen«, raunte sie, bevor sie in ihre Glaskugel sah und etwas mit einem Gänsekiel auf ein Papier schrieb.

      Schließlich bedeutete sie ihrem Gegenüber, das Eisenrohr noch einmal an sein Ohr zu legen. »Ich habe mich nicht getäuscht, mein Herr«, begann sie. »Eine große Zukunft liegt vor Euch. Ihr werdet eine Krone tragen und ein Weltreich regieren. Eure Soldaten werden Siege erringen, Eure Schiffe werden über die Weltmeere segeln. Ihr werdet in Palästen wohnen, die noch kein Auge gesehen hat …«

      Gebannt hörte Georg Ludwig zu. Er schloss die Augen, als wollte er die Großartigkeit der Prophezeiung vor der Banalität dieses schäbigen Ortes bewahren. Doch plötzlich erhob die Wahrsagerin ihre Stimme. »Euer Leben wird sein Glanz und Gloria. Aber achtet das Leben Eurer Gemahlin. Wenn die Gemahlin stirbt, dann neigt sich auch Euer Leben dem Ende zu – kein Jahr wird Euch danach mehr vergönnt sein, kein Jahr.«

      Er erschrak.

      »Gehet nun hin in Frieden«, fuhr die Wahrsagerin fort. »Der Allmächtige leite Eure Schritte.«

      Verstört gab er der Alten das Eisenrohr zurück. Er erhob sich, als erwache er aus einem Traum und forderte seinen Pagen auf, ihm den Weg durch die Gaffer zu bahnen.

      Er bereute es, auf den faulen Zauber hereingefallen zu sein. Gleichwohl begann die Prophezeiung, Besitz von ihm zu ergreifen. Er genoss die Aussicht auf seine großartige Zukunft. Was ihn störte, war die Rolle, die seine Frau in seinem Leben spielen sollte. Nein, Sophie Dorothea war ihm durch die Wahrsagerin nicht näher gekommen. Im Gegenteil. Jetzt war sie ihm fast unheimlich. »Kein Jahr wird Euch nach ihrem Tod mehr vergönnt sein, kein Jahr« – die Worte ließen ihn nicht los.

      Statt das Bett mit Sophie Dorothea zu teilen, suchte er nun wie sein Vater in den Nächten Kurtisanen auf. Und als Fürst Ernst August mit der Gräfin von Platen und Sophie Dorothea zu einer Kurzreise nach Rom aufbrach, kehrte er zurück zu seinen Truppen in Ungarn.

      Selbstverständlich sorgte die Mätresse des Herzogs nach der Heimkehr in Hannover dafür, die Kunde von der Verstimmung unter den Eheleuten am Hof zu verbreiten. Und Marquis de Lassay war so stolz auf die ihm angedichtete Affäre, dass er den Gerüchten bereitwillig Nahrung gab.

      Das Gerede rückte Sophie Dorothea in ein schiefes Licht. Ihr Schwiegervater nahm sie in Schutz, führte die Unbekümmertheit ihrer Jugend ins Feld, mühte sich, ihre Tändelei als harmlos darzustellen. Aber er kam gegen seine einflussreiche Mätresse nicht an.

      Später sollten Sophie Dorotheas Widersacher in der venezianischen Affäre das Vorspiel zu jener Ehetragödie erblicken, die sich einige Jahre danach ereignete. Wieder war es Liselotte von der Pfalz, die Nichte der Fürstin, die sich im Chor der Lästerzungen hervortat. »Wäre sie nur allzeit von vielen Mannsleuten umgeben gewesen, hätte sie nichts Böses tun können. Aber nur einen allein zu sehen, ist gefährlich, wie es sich ausgewiesen hat«, kommentierte sie in einem Brief an die hannoversche Tante. »Mich deucht, sie war zu jung, allein zu reisen, man hätte besser daran getan, sie bei Euer Liebden zu lassen, als sie nach Venedig zu führen.« In einem anderen Brief stichelte sie: »Ich kann nicht begreifen, wie oncle (Ernst August) sie nicht gleich nach der italienischen Reise hat einsperren lassen, denn sie hat es ja damals schon verdient.«

      Ein Liebesbrief stürzte Sophie Dorothea zu Beginn des Jahres 1687 zusätzlich in Verwirrung. Friedrich August, ihr ältester Schwager, hatte ihr am Neujahrstag aus Ungarn geschrieben, wo er im Sold des Kaisers gegen die Türken kämpfte. Im Unterschied zu seinem älteren Bruder Georg Ludwig, der die hannoverschen Truppen führte, bekleidete der verstoßene Herzogssohn nur einen niederen Rang. Doch er tat vor der Schwägerin, als sei er Alexander der Große. »Glaube mir, ich werde Dir eine Welt erobern, ich werde Dir den Orient zu Füßen legen«, schrieb er. »Du begleitest mich in all meinen Gedanken.«

      Doch er verhehlte der Angebeteten auch nicht seine Enttäuschung über deren beharrliches Schweigen. Und er spöttelte über seinen Bruder Georg Ludwig, der an der Seite seiner Gemahlin das süße Leben Venedigs genossen habe, während er selbst in Ungarn die Nöte des Frontsoldaten auszustehen hatte. Sophie Dorothea spürte die Eifersucht sehr wohl.

      »Was mach ich nur?«, fragte sie ihre Vertraute.

      »Am besten gar nichts«, antwortete Eleonore. »Ihr wisst, was der Herzog über Friedrich August denkt. Ihr bringt euch nur in Gefahr, wenn Ihr Euch zwischen Vater und Sohn stellt. Zerreißt den Brief, verbrennt ihn, dass ihn niemand lesen kann. Aber seid nicht so dumm, ihn zu beantworten.«

      Eleonore wusste, dass der alte Fürst sich in Venedig über seinen zweitältesten Sohn geärgert hatte, der immer noch nicht bereit war, seine Erbschaftsentscheidung anzuerkennen. Als Friedrich August angeblich ausstehende »Alimentationsgelder« von seinem Vater angemahnt hatte, war ihm durch Minister Grote geantwortet worden, dass der Herzog unter keinen Umständen bereit sei, seinem »widerspenstigen und ungehorsamen Sohn« auch nur den geringsten »Vorschuss« zu gewähren, so lange der nicht zur Vernunft komme.

      Sophie Dorothea entschied sich, ihrem Schwager in höflichen Worten zu antworten. Sie bedankte sich für die freundlichen Zeilen, versicherte ihm ihre Zuneigung, erwähnte aber gleichzeitig ihre ehelichen Pflichten und empfahl dem Schwager dringend, sich mit seinem Vater auszusöhnen.

      Doch dazu kam es