Buckingham, der nun die Vorstellungen seines Landsmannes um weitere Elemente in Richtung des „Fußball total“ weiterentwickelt: kollektiven Ballbesitz, Kurzpass, schnelle Weitergabe des Balles. Mit kurzen und nach der Ballannahme sofort gespielten Pässen soll das Mittelfeld schnell überbrückt und am Gegner vorbeigespielt werden. Nach der Ballabgabe hat der Spieler in einen neuen Raum hineinzulaufen, um erneut anspielbar zu sein.
Von den langen Bällen, die in seiner Heimat üblicherweise gespielt werden, hält Buckingham nichts. Denn lange Bälle landen häufig beim Gegner und kommen somit zurück. Buckingham 1993 in einem Interview mit David Winner: „Lange Bälle sind zu riskant. Meistens zahlt sich intelligente Technik aus. Wenn man den Ball hat, soll man ihn behalten. Dann kann der Gegner kein Tor erzielen…“ (Für Johan Cruyff wird das später – zumal als Trainer – zur Maxime. Und eines der bekanntesten Cruyff-Zitate lautet: „Wenn wir den Ball haben, können die anderen kein Tor schießen.“)
Auch Vic Buckingham profitiert davon, dass den Niederländern das „Gewinnen um jeden Preis“ eher fremd ist: „Der holländische Fußball war gut, nicht diese grobe Gewinnen-müssen-Mentalität. Sie hatten eine andere Technik, einen anderen Intellekt, sie spielten richtig Fußball. Das hatten sie nicht von mir, es war schon vorhanden und wartete nur darauf, geweckt zu werden. (…) Es ging lediglich darum, ihnen zu erklären, dass sie den Ball mehr in den eigenen Reihen halten sollten. Ich war schon immer der Ansicht, dass Ballbesitz neun Zehntel des Spiels ausmacht, und Ajax’ Spiel war auf Ballbesitz angelegt. (…) Ich habe sie beeinflusst, aber dann sind sie weitergegangen und haben von sich aus Sachen gemacht, die mich entzückt haben. So bewegten sie sich etwa als Pärchen auf der linken Außenbahn vorwärts, passten den Ball hin und her – einfach peng-peng (gemeint ist wohl, was man heute „one touch“-Fußball nennt, Anm. d. Autors) – über 30 Meter, spielten zu zweit drei Verteidiger aus und schufen einen riesigen freien Raum.“
Auf Buckingham folgt 1961 mit Keith Spurgeon ein weiterer Engländer. Bei Ajax wechseln nun die Trainer jährlich. Spurgeon wird vom Österreicher Joseph Gruber beerbt, der wiederum vom Engländer Jack Rowley abgelöst wird, bevor noch einmal Buckingham die Verantwortung übernimmt. Dieser hat nach seinem ersten Ajax-Engagement u. a. Sheffield Wednesday trainiert, kehrt aber der Heimat frustriert den Rücken, nachdem drei seiner Spieler der Spielmanipulation überführt wurden.
Buckinghams zweite Amtszeit bei Ajax endet im Januar 1965, dann wird er vom Niederländer Rinus Michels abgelöst. Buckingham findet sofort eine neue Beschäftigung beim FC Fulham.
Buckingham, der als eigentlicher Entdecker von Johan Cruyff gelten kann, ist heute in England weitgehend vergessen. Auf dem Kontinent coachte der Engländer nicht nur Ajax, sondern in der Saison 1970/71 auch den FC Barcelona, wo sein Nachfolger erneut Rinus Michels heißt.
Karel Lotsy und seine Amateure
Wer in den Niederlanden mit dem Fußball seinen Lebensunterhalt bestreiten wollte, musste bis in die 1950er ins Ausland wechseln. Ähnlich wie das Nachbarland Deutschland frönten die Niederlande einem ideologisch hoffnungslos überladenen Amateurismus.
Was in Deutschland Felix Linnemann war, der dem DFB von 1925 bis 1945 vorstand und in diesen Jahren eine heftige Jagd auf tatsächliche und vermeintliche Profis betrieb, war in den Niederlanden Karel Lotsy. 1942, zwei Jahre nach dem deutschen Überfall auf das Nachbarland, wird Lotsy Vorsitzender des KNVB. Zuvor hat er dem Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete als Berater der Hauptabteilung Erziehung, Wissenschaft und Kulturpflege gedient. Lotsy steht der Nazi-Ideologie nahe und sorgt nun dafür, dass die Juden aus dem niederländischen Fußball entfernt werden. So ist von ihm der Satz überliefert: „Die Chance ist zum Greifen nahe, dass der neue Geist sich durchsetzen wird.“
Wie Felix Linnemann ist auch Lotsy ein glühender Verfechter des Amateurgedankens. 1941 beschreibt er sein Ideal vom Nationalspieler: „Der Spieler, der in die Nationalmannschaft berufen wird und der diesem Ruf folgt, übernimmt damit die Pflicht, sich mit Hilfe aller bekannten Mittel vollständig einzubringen. Sobald er auf seinem Gebiet Gesandter seines Landes geworden ist, hat sein Sport für ihn den Charakter des ‚Spieles‘ verloren; sein Sport ist dann für ihn eine Sache des heiligen Ernstes, eine Mission.“
Nach der Befreiung und dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Lotsy sogar zunächst noch mächtiger, denn seine Rolle als Kollaborateur wird erst nach seinem Tod im Jahr 1959 thematisiert. Während sich in vielen Ländern Westeuropas der Profifußball weiter durchsetzt, hält Lotsy noch eiserner als seine Freunde in der DFB-Spitze am „edlen und wahren Geist“ des Amateurwesens fest. Die im Ausland kickenden niederländischen Profis müssen wüste Beschimpfungen ertragen. So ist von „dreckigen Profis“, „Geldwölfen“ und „Vaterlandsverrätern“ die Rede.
Erst als eine neue Generation von Spielern das Fußballfeld betritt, findet Lotsy zusehends weniger Gehör. Kees Rijvers, der von 1946 bis 1960 das Nationaltrikot trägt: „Lotsy hatte mit seinen Donnerreden über Volk, Flagge und Vaterland in den dreißiger Jahren viel Erfolg gehabt, aber in den Vierzigern hatte sich die Welt verändert. Sie bedeuteten uns nichts mehr. Die meisten Spieler schwätzten miteinander, wenn Lotsy das Wort ergriffen hatte.“
Seine letzte Missetat datiert aus dem Jahr 1956, als er einer hochkarätigen FIFA-Kommission vorsitzt, die sich mit der Südafrika-Problematik befasst. Im Abschlussbericht spricht sich Lotsy dafür aus, nicht die „multirassische“ South African Soccer Federation in die FIFA aufzunehmen, sondern die konkurrierende South African Football Association, die die Apartheidpolitik unterstützt.
Inzwischen ist Lotsys Ruf ein anderer. 1997 wird die Amsterdamer Karel Lotsylaan aufgrund seiner Rolle während der Besatzungszeit umbenannt. Seither heißt die Straße nach dem aus einer jüdischen Familie stammenden österreichischen Komponisten Gustav Mahlerlaan.
Der erste Legionär: „The Flying Dutchman“
Als erster hochklassiger Kicker war bereits 1930 Gerard Pieter (Gerrit) Keizer ins Ausland gegangen. Allerdings zog es den Ajax-Keeper nicht als Fußballer nach England, vielmehr wollte er seine englischen Sprachkenntnisse verbessern. Seinen Lebensunterhalt verdiente Keizer in einem Gemüse- und Obstladen am Covent Garden in London, doch Fußball spielte er auch: In Margate, Grafschaft Kent, hütete er den Kasten eines Amateurklubs, der Arsenal London zuarbeitete. Als Herbert Chapman, der legendäre Coach der Gunners, Keizer eines Tages zusah, war er so angetan, dass er ihn nach London holte und gleich in die 1. Mannschaft steckte.
Sein Debüt als Profi-Torwart feierte Keizer am 30. August 1930 gegen Blackpool. Auch in den folgenden elf Meisterschaftsspielen blieb er die Nr. 1 und war zudem dabei, als Arsenal 1930 gegen Sheffield Wednesday das Charity Shield gewann, das alljährliche Kräftemessen zwischen dem englischen Meister und dem FA-Cup-Sieger. Keizer pendelte nun zwischen London und Amsterdam. Samstags spielte er für Arsenal, sonntags lief er für das Ajax-Reserveteam auf, weshalb ihn in England Presse und Mitspieler „The Flying Dutchman“ tauften.
Aber Keizers Spielstil war für den eher defensiv orientierten Chapman zu flamboyant. Der Niederländer behielt nie eine „weiße Weste“ in der 1. Mannschat der Gunners, weshalb er gegenüber den anderen Arsenal-Keepern, Bill Harper und Charlie Preedy, bald den Kürzeren zog. Bereits im Oktober 1930 musste Keizer seinen Platz im Arsenal-Tor wieder räumen. Im Juli 1931 heuerte er bei Charlton Athletic an und spielte später noch für Queens Park Rangers. Er gilt als einer der ersten Nicht-Engländer im englischen Profifußball, der nicht aus Großbritannien oder Irland kam. Zur Saison 1933/34 kehrte Keizer nach Amsterdam zurück, wo er nun bis zum Ende der Saison 1947/48 die Nr. 1 bei Ajax war.
Als Ajax nach dem Krieg finanzielle Probleme plagten, flog Keizer nach London und bat Arsenal um Hilfe. Die Gunners spendeten einen Trikotsatz und einige Fußbälle. So bestritt Ajax seine ersten Nachkriegsspiele in Arsenal-Trikots, die aber mit den eigenen von der Farbe und dem Design her nahezu identisch sind. Nur das Wappen der Gunners hatte man entfernt.
Der zweite Auslandslegionär der Niederlande war Elisa Hendrik Bakhuijs, besser bekannt als Beb Bakhuys, der bis zur Ankunft von Johan Cruyff als bester Stürmer der niederländischen Fußballgeschichte galt. Die