Luca Caioli

Ronaldo


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aber er ist auch nicht gerade ein Bücherwurm – er ist froh, wenn er irgendwie versetzt wird.

      Eine seiner ehemaligen Klassenlehrerinnen, Maria dos Santos, hat ihren ehemaligen Schüler als „artig“, „witzig“ und als „einen guten Freund seiner Klassenkameraden“ in Erinnerung. Fragt man sie nach seiner Lieblingsfreizeitbeschäftigung, so sagt sie: „Von dem Tag an, als er durch die Tür kam, war Fußball sein Lieblingssport. Er hat sich auch an anderen Aktivitäten beteiligt, Lieder gelernt und seine Arbeit erledigt, aber er hatte gerne Zeit für sich selbst, Zeit für den Fußball. Wenn gerade kein Ball in der Nähe war – und oft war keiner da –, dann konnte er sich einen aus Socken machen. Er fand immer einen Weg, auf dem Schulhof Fußball zu spielen. Ich habe keine Ahnung, wie er das hinbekommen hat.“

      Fußball auf dem Schulhof und Fußball auf der Straße also. „Wenn er von der Schule nach Hause kam, habe ich ihm immer gesagt, dass er auf sein Zimmer gehen und seine Hausaufgaben machen soll“, sagt Dolores. „Er hat mir dann immer erzählt, dass er keine aufbekommen habe. Also ging ich wieder und fing mit dem Kochen an, und er versuchte sein Glück. Er kletterte aus dem Fenster, schnappte sich einen Joghurt oder ein Stück Obst und rannte mit dem Ball unter dem Arm davon. Er war dann draußen und spielte bis halb zehn Uhr abends.“

      Als wenn das nicht genug wäre, fängt er auch an, den Unterricht zu schwänzen, um hinauszugehen und zu spielen. „Seine Lehrer meinten zu mir, dass ich ihn bestrafen müsse, aber das habe ich nie getan. Er musste ja so viel wie möglich üben, um ein Fußballstar zu werden.“ Auch ihr Sohn bestätigte später einmal: „Ich habe immer Fußball mit meinen Freunden gespielt. Damit habe ich meine Zeit verbracht.“

      Er spielt auf der Straße, weil es in der Nachbarschaft keinen Fußballplatz gibt. Eine Straße, die Quinta do Falcão, erweist sich als besondere Herausforderung, wenn Busse, Autos und Motorräder hindurch wollen. Man muss jedes Mal die Steine wegnehmen, die die Torpfosten markieren, und mit dem Wiederbeginn des Spiels warten, bis der Verkehr durchgefahren ist. Die ausgetragenen Partien sind heiß umkämpfte Schlachten zwischen bestimmten Hausgemeinschaften oder Kinderbanden. Es sind Spiele, die niemals aufhören. Eine Atempause gibt es nur, wenn der Ball in einem der Gärten der Nachbarn landet – und wenn es der Garten vom alten Senhor Agostinho ist, droht er jedes Mal damit, ein Loch in den Ball zu stechen und Dolores und den anderen Müttern zu sagen, dass sie ihre Kinder besser im Zaum halten sollen.

      Und dann ist da noch eine Senke, in der Cristiano über Stunden alleine den Ball gegen die Mauer schießt. Die Senke und die Straße sind seine ersten Trainingsplätze. Genau hier, zwischen Bürgersteig, Asphalt und Autos und beim Spiel gegen jüngere wie ältere Kinder, lernt Ronaldo jene Tricks und Techniken, die ihn groß werden lassen und zu seinem unverkennbaren Stil werden sollen. „Er ist immer den ganzen Tag draußen auf der Straße unterwegs gewesen und hat echte Tricks mit dem Ball gemacht. Es war, als wenn er an seinem Fuß klebte“, erinnert sich Adelino Andrade, der in der Nähe der Familie Aveiro wohnte. „Was Fußball angeht, war er wirklich begabt“, meint auch Cristianos Schwester Elma. „Aber wir haben uns nie träumen lassen, dass er mal dort hinkommen würde, wo er heute ist.“

      Im Alter von sechs Jahren unternimmt Cristiano seinen ersten Ausflug in die Welt des Fußballs. Sein Cousin Nuno spielt für Andorinha, und Cristiano war bereits häufiger gemeinsam mit seinem Vater auf der Anlage. Nuno lädt ihn ein, vorbeizukommen und ihn spielen zu sehen, und fragt ihn, ob er sich nicht einer der Mannschaften anschließen wolle. Cristiano trainiert mit und beschließt, seine Chance zu nutzen. Dolores und Dinis freuen sich über die Entscheidung ihres jüngsten Sohnes – sie haben Fußball immer gerne gemocht. Dinis und sein älterer Sohn Hugo sind Fans von Benfica, während Dolores Luís Figo und Sporting Lissabon verehrt.

      In der Saison 1994/95 bekommt der neunjährige Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro vom Fußballverband von Funchal seinen ersten Spielerpass mit der Nummer 17.182. Er trägt nun das hellblaue Trikot von Andorinha. Andorinha ist ein örtlicher Verein mit einer langen Geschichte. Er wurde am 6. Mai 1925 gegründet. Der Name Andorinha ist der portugiesische Begriff für Schwalbe und geht der Legende nach auf den fantastischen Schuss eines bestimmten Spielers zurück, dem dann der Flug einer Schwalbe folgte.

      Der Grundschullehrer Francisco Afonso, der Cristianos Schwester Cátia unterrichtete, war 25 Jahre lang Trainer in den Jugendligen Madeiras. Er war auch Ronaldos erster Trainer und hat nie vergessen, wie er ihn im Alter von sieben Jahren zum ersten Mal bei Andorinha auf dem Platz sah. „Fußball war das, wofür Cristiano lebte“, sagt er. „Er war schnell, er war technisch brillant, und er spielte mit seinem linken und seinem rechten Fuß gleich gut. Er war dünn, dafür aber einen Kopf größer als die anderen Kinder in seinem Alter. Ganz ohne Frage war er extrem talentiert – er hatte ein natürliches Talent, das in den Genen lag. Er jagte immer dem Ball nach und wollte derjenige sein, der das Spiel entschied. Er war sehr konzentriert und hat unabhängig davon, wo auf dem Platz er sich befand, gleich hart gearbeitet. Und wann immer er nicht spielen konnte oder ein Spiel verpasste, war er am Boden zerstört.“

      Vereinspräsident Rui Santos erzählt eine nette Anekdote von einem Spiel während der Saison 1993/94. Andorinha trat gegen Camacha an, das damals zu den stärksten Teams auf der Insel gehörte. Zur Halbzeit lag Andorinha 2:0 hinten, und „Ronaldo war so verzweifelt, dass er wie ein Kind schluchzte, dem man das Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. In der zweiten Hälfte kam er aufs Feld und schoss zwei Tore, mit denen er die Mannschaft zu einem 3:2-Sieg führte. Er konnte es definitiv nicht ab, zu verlieren. Er wollte jedes Mal gewinnen, und wenn sie verloren, dann hat er geweint.“

      „Deshalb wurde er auch Heulsuse genannt“, erklärt Dolores. Er brach leicht in Tränen aus oder wurde wütend – wenn ihm ein Mannschaftskamerad den Ball nicht zuspielte, wenn er oder jemand anderes das Tor nicht traf oder einen Pass nicht bekam oder wenn die Mannschaft nicht so spielte, wie er wollte. Der andere Spitzname, den er bekam, war Abelinha, die ‚kleine Biene‘, weil er wie eine geschäftige Biene immer kreuz und quer über den Platz lief. In Madrid sollte Cristiano viele Jahre später seinen Yorkshireterrier auf den gleichen Namen taufen.

      „Ein Fußballspieler wie Ronaldo kommt nicht jeden Tag daher“, fügt Rui Santos hinzu. „Und wenn er es plötzlich tut, dann wird einem klar, dass er ein Superstar ist – anders als all die anderen Kinder, die man hat spielen sehen.“ Doch leider gehörte Andorinha zu den schwächsten Teams in der Liga, und wenn sie sich Größen wie Marítimo, Camara de Lobos oder Machino gegenübersahen, wurden die Spiele zu einer Art Stahlbad. Ronaldo wollte eigentlich nicht hin, weil er schon wusste, dass sie verlieren würden. Doch dann kam sein Vater nach Hause, munterte ihn auf und überzeugte ihn schließlich, Dress und Schuhe anzuziehen und zur Mannschaft auf dem Feld zu stoßen. Nur die Schwachen geben auf, pflegte er zu sagen – und das war eine Lektion, die der kleine Ronaldo niemals vergessen würde.

      Innerhalb weniger Jahre ist sein Name auf der gesamten Insel bekannt. Die beiden großen Vereine der Insel, Nacional de Madeira und Marítimo Funchal, fangen an, sich für die kleine Biene zu interessieren. Die Geschichten über das Kind, das weiß, wie man mit dem Ball umgeht, erreichen auch die Ohren von Cristianos Patenonkel Fernão Sousa. Er trainiert eine Nachwuchsmannschaft von Nacional de Madeira. „Ich war hocherfreut, als ich mitbekam, dass man da über meinen Patensohn redete“, sagt er. „Ich wusste, dass er Fußball spielte, aber ich hatte keine Ahnung, dass er so gut war. Er war den anderen um Meilen voraus. Er ging wundervoll mit dem Ball um und hatte mit Sicherheit eine glänzende Zukunft vor sich. Mir war sofort klar, dass dieses Kind ein Geschenk des Himmels für seine Familie sein konnte.“ Ohne auch nur ein bisschen zu zögern, will er ihn zu Nacional holen. „Ich sprach mit seiner Mutter. Ich erklärte ihr, dass es das Beste für ihn sein würde, und wir kamen dann auch zu einer Einigung mit Andorinha.“

      Doch es ist nicht ganz so einfach, wie Sousa es darstellt. Dinis sähe es lieber, wenn sein Sohn zu Marítimo ginge. Die geschichtsträchtige, ehemalige Spielstätte „Almirante Reis“ liegt ganz in der Nähe des Hauses der Familie. Außerdem hat der Junge grün-rotes Blut – sein Herz schlägt für Marítimo. Man kann sich nicht einigen, und deshalb arrangiert Rui Santos eine Zusammenkunft mit beiden Vereinen, um sich über mögliche Offerten auszutauschen. Doch der Trainer der Nachwuchsmannschaft von Marítimo erscheint nicht zu dem Treffen mit dem Präsidenten von Andorinha.