ist als um die ganze Stadt. Im Moment besteht nur wenig Gefahr, Dreek.“
„Mr. Calhoun, die Fahrt nach Shelton Falls dauert vier Tage!“
„Ich weiß. Aber jeder hier in der Stadt wird froh sein, wenn wir mit dem Geld in Shelton Falls sind.“
In diesem Moment kam Lola Starr aus dem Saloon, Über ihrem Arm hing ein geflochtener Korb. Leichtfüßig überquerte sie die Straße.
„Wie ich sehe, haben Sie sich die Sache nicht noch einmal überlegt“, sagte Tom Calhoun, als die Frau vor ihm stehenblieb.
Lola Starr trug einen geteilten Wildlederrock, zu dem die bunte Kattunbluse gut passte. Beinahe machte sie den Eindruck einer Ranchersfrau. Sie blickte auf und lächelte Tom Calhoun an.
„Ich überlege mir eine Sache nur einmal“, sagte sie herb. „Wissen Sie, was ich glaube? John Monk wird froh darüber sein, dass er entkommen konnte.“
„Tut mir leid, Miss Starr. Aber ich weiß, dass es nicht so ist. Sie hätten die Schüsse in der Nacht auch hören müssen.“
„Na und? Darum kümmere ich mich schon lange nicht mehr. Schüsse in der Nacht sind hier keine Seltenheit.“
„Monk hat im Office etwas Bestimmtes gesucht. Ich weiß, dass er es nicht gefunden hat.“
.Ach?“
„Und noch etwas. Er ist nicht geflohen. Er wird in der Nähe sein, um feststellen zu können, was mit dem Geld passiert. Sie sollten darüber noch einmal nachdenken.“
Sein Blick ruhte forschend auf ihrem schmalen Gesicht. Er sah die grauen Strähnen in ihrem Haar und machte die Feststellung, dass sie älter aussah, als sie mit ihren einunddreißig Jahren war.
Dann wandte er sich ab und ging schnell zum Office hinüber. An der Tür zum Office angekommen, hörte er abermals das Knarren der Schwingtür des Saloons. Er blieb stehen und drehte sich um. Als er den Spieler Sam Cory auf den Vorbau treten sah, ging er zurück und griff nach dem Pfosten, der das Dach trug. Cory hatte eine schwarze Reisetasche in der einen und eine Springfield in der anderen Hand.
Cory war stehengeblieben und grinste zu ihm herüber. Dann ging er weiter auf die Fahrbahn hinunter.
„Für ein Gewehr mehr haben Sie doch sicher Verwendung“, sagte der Mann.
„Schon möglich, Cory“, erwiderte Tom. „Doch in diesem besonderen Fall möchte ich darauf ganz gern verzichten.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Wirklich nicht? Achtzehntausend Dollar sind nun mal eine Menge Geld. Doch das brauche ich Ihnen bestimmt nicht erst zu sagen, Cory.“ Tom Calhoun wandte sich ab und ging in das Office.
*
Der alte Deputy stand am Tisch und war gerade dabei, sich den Stern anzustecken.
„Sie können wieder nach Hause gehen, Weaver“, sagte Tom Calhoun leise.
„Wieso?“
„Weil ich allein fahren werde.“
„Das ist doch nicht Ihr Ernst.“
„Doch. Allem Anschein nach wird es eine Höllenfahrt werden.“
Der Mann nahm Patronen aus einer Schachtel und begann, sie sorgfältig zu putzen.
„Dann werden Sie mich sicher brauchen“, erklärte er. „Die Hölle kann für uns beide nicht groß genug sein. Ich komme mit."
Tom war ans Fenster getreten. Er sah den Fahrer, der soeben den Korb des Mädchens und die Tasche des Spielers unter der Plane hinter dem Fahrgastraum der Kutsche verstaute. Cory reichte dem Mädchen den Arm und half ihr beim Einsteigen. Tom sah, dass sich beide unterhielten. Cory lachte. Wieder musste Tom daran denken, dass Cory von allen Kartenhaien, die er bisher kennengelernt hatte, der schlechteste war. Er stellte sich die Frage, wovon dieser Mann leben mochte. Auch der Schreiner hatte erzählt, dass er vor zwei Tagen mehr als einhundert Dollar von Cory gewonnen hatte. Der Spieler hatte dem nicht widersprochen.
Tom wandte sich um. Der Deputy schob die letzten Patronen in die Schlaufen seines Waffengurtes. Er füllte auch den Repetierverschluss der Winchester und legte sie auf den Tisch.
Tom Calhoun griff nach dem Jailschlüssel, ging zu der Gittertür und öffnete sie.
Ben Warthon saß auf der primitiven Pritsche und blickte ihm entgegen. Sein weißes Gesicht leuchtete wie ein heller Klecks im fahlen Halbdunkel der Zelle. Langsam erhob er sich und ging mit hölzernen Schritten an Tom vorbei.
„Legen Sie ihm Handschellen an“ sagte Tom. „Dann haben wir eine Gewähr, dass ihn niemand befreien kann.“
Der alte Deputy holte ein Paai Handschellen hervor und schloss sie um Ben Warthons Gelenke. Tom Calhoun verließ das Office, um die Satteltasche mit dem Geld zu holen. Hinter ihm kam Ben Warthon, den der alte Mann förmlich vor sich her schob.
„Los, beeilt euch!“, knurrte Tom Calhoun.
Ben Warthon blickte sich nach dem alten Mann um und ging dann an Tom vorbei und auf den Fahrer zu, der den Schlag der Kutsche geöffnet hatte.
„Sie wissen, dass ich auf dieser Linie keinen Gunman habe?“, brummte der Kutscher.
„Natürlich“, erwiderte Tom Calhoun.
„Dann werde ich den Gunman machen, Dreek“, erklärte Weaver. „Dadurch kann ich auch das Gelände besser übersehen. Im übrigen ist es auf dem Bock nicht so drückend heiß wie in der Kutsche.“
Der alte Mann stieg über das Rad auf den Bock und legte sich das Gewehr auf die Knie.
„Er sieht noch sehr gut“, sagte Tom. „Besser als die meisten Männer. Ich glaube, Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Dreek. Können wir nun fahren?“
Warthon war bereits eingestiegen und hatte sich neben dem Fenster auf die hintere Bank gesetzt. Sein Blick glitt zu dem Mädchen hinüber. Er schaute aber schnell hinaus, als sich ihre Blicke kreuzten.
Auf der anderen Straßenseite sah er eine alte Frau vor einem Haus stehen, die drohend einen Schirm erhoben hatte und etwas rief, das er nicht verstand.
*
Tom Calhoun kletterte als letzter in die Kutsche und zog den Schlag hinter sich zu. Ben Warthon gegenüber setzte er sich auf die Bank und klemmte das Gewehr zwischen die Beine. Neben ihm saß der Spieler, aber zwischen ihnen war genug Platz, so dass er die Tasche ablegen konnte.
Der Spieler lachte dunkel.
„Sind wir nicht eine nette Gesellschaft, Mr. Calhoun?“, fragte er.
„Das wird sich erst noch zeigen müssen“, erwiderte Tom. „Und zwar, wenn wir Shelton Falls näher sind als jetzt.“
„Was soll das heißen?“
„Das ist im Moment nicht wichtig, Cory. Aber es ist möglich, dass ich später noch einmal darauf zurückkommen werde, dann werde ich es Ihnen erklären.“
„Ich glaube, er traut uns nicht“, sagte Lola Starr und blickte Tom Calhoun an.
Cory grinste spöttisch.
„Er hat bestimmt noch niemals auf soviel Geld aufpassen müssen. Um diesen Job beneide ich Sie bestimmt nicht, Calhoun.“
„Aber ich könnte Sie beneiden, Cory.“
„Mich?“
„Ja. Sie haben beneidenswert viel Mut, mit dieser Kutsche zu fahren, die einem rollenden Pulverfass gleicht. Und dazu fahren Sie noch ohne einen zwingenden Grund.“