angerufen und so lange auf ihn eingeredet, bis endlich bereit war, vor Büroschluss nach Hause zu kommen. Es war kurz vor sechs.
Die große Schrift löste sich auf, und das Bild eines Schiffes erschien auf dem Monitor. Eine Hochseeyacht. „Das sind doch die Piers am Hudson‟, sagte Marion.
Henry nickte stumm. Er öffnete ein Fenster und klickte auf Bearbeitete Version. Das Foto verblasste ein wenig und nahm skizzenhafte Linien an. Das Schiff wurde durchsichtig. Im Heck sah man eine schematische Darstellung des Motors. Daneben blinkte ein roter Punkt.
„Was bedeutet das?‟, fragte Marion.
„Keine Ahnung.‟ Henry führte den Cursor auf den blinkenden Punkt. Der Cursor verschwand, dafür sah man nun das Symbol einer Hand über dem roten Punkt.
Henry drückte die rechte Maustaste. Und im gleichen Moment zerriss ein greller Blitz das Heck der Yacht. „Gott im Himmel ...‟, stöhnte Henry, und Marion schlug beide Hände vor den Mund. Der Bug der Yacht hob sich, das Schiff versank neben dem Pier im Fluss.
„So was kann man mit unserer Software doch gar nicht machen.‟ Henrys Finger flogen über die Tastatur. „Sie müssen sie erweitert oder mit einem anderen Programm kombiniert haben ...‟
Er klickte eine Datei namens „Chung‟ an. Wieder der Satz, der Marion frösteln ließ. Und gleich darauf sah man einen roten Volvo Kombi. Schneller als Marion gucken konnte, verwandelte Henry ihn mit ein paar Tastenkombinationen in eine Skizze. Der rote Punkt blinkte diesmal hinter dem rechten Vorderrad. Henry klickte ihn an, und der Wagen explodierte. „Was bedeutet das? Himmel noch mal – was bedeutet das!?‟
„Das sind lauter Jungens aus seiner Klasse, der auch hier.‟ Marion deutete auf eine Datei namens „Richards‟. „So heißt der Arzt am Renwick Triangle‟, sagte Marion. „Und sein Sohn heißt Joseph. Ricky ist nicht gut zu sprechen auf ihn. Ich weiß nicht, warum.‟
Henry öffnete die Datei. „Ihr wisst nicht, wer ich bin...‟, und dann ein kleiner Bungalow, ein typisches Wochenhaus. Ein Klick auf den blinkenden roten Punkt ließ es explodieren.
Die letzte Datei hieß „Pirelli‟. Rickys rätselhafte Erklärung wurde vom Foto einer weißen Hausfassade überblendet. Ein Gebäude aus der Gründerzeit, blaue Balken rahmten Fenster und Türen ein. Auf einem Schild über dem Vordach war „Hotel‟ zu lesen.
Das Geräusch der sich öffnenden Tür hinter ihnen ließ sie überrascht herumfahren. Ricky stand im Türrahmen. Er war allein.
„Was macht ihr in meinem Zimmer?‟ Seine Lider verengten sich, sein Blick bekam etwas Feindseliges. „Was habt ihr an meinem PC zu suchen?!‟, schrie er.
Henry stand auf. „Wie redest du mit deinen Eltern?‟ Langsam ging er auf Ricky zu. „Du bist es, der ein paar Fragen zu beantworten hat.‟
„Was habt ihr an meinem PC zu suchen?!‟ Es war, als würde Ricky seinen Vater überhaupt nicht wahrnehmen, als wären Marion und Henry Luft für ihn. Er stürzte an seinem Dad vorbei, warf sich auf Marion und stieß sie samt des Drehstuhls, auf dem sie saß, vom Schreibtisch weg.
27
Lighthouse hatte seinen Schock schneller überwunden, als uns lieb sein konnte. Percy Roman und Clive verhörten ihn die ganze Nacht lang. Gebetsmühlenartig berief er sich auf sein verfassungsmäßig garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung. Stundenlang ging das so. Am nächsten Morgen, am Dienstag, verlangte nach seinem Anwalt.
Humphrey Perlman, den Spediteur, konnten sich Jay und Leslie erst am Vormittag des neuen Tages vornehmen. Eine Kugel hatte seine Schulter durchschlagen, und er musste die Nacht vom Montag auf den Dienstag im Beekman Downtown Hospital verbringen. Er behauptete, nichts Ungesetzliches getan zu haben und von nichts Ungesetzlichem zu wissen.
Zwei der Männer um Lighthouse waren bei der Verhaftungsaktion ums Leben gekommen. Sie hatten mit Kalaschnikows auf unsere Kollegen geschossen. Es war keine andere Wahl geblieben, als Scharfschützen gegen sie einzusetzen. Einer lag schwerverletzt in der Klinik – Fred Ashley. Drei konnten wir unverletzt verhaften.
Einer davon war ein Geschäftsmann aus dem East Village. Er hieß Edward Ford. Jonathan McKee persönlich verhörte ihn. Er bestand darauf, niemals an Sprengstoffanschlägen beteiligt zu sein. Die Gruppe um Lighthouse sei weiter nichts als eine politische Partei, und eine Partei zu gründen sei von der Verfassung der Vereinigten Staaten schließlich erlaubt.
Am frühen Nachmittag legten wir eine Pause ein. Keiner von uns hatte in der Nacht zuvor auch nur eine Stunde geschlafen. Ich fuhr in mein Apartment in der West Side und legte mich aufs Ohr. Am späten Nachmittag trafen wir uns in der Federal Plaza im Chefzimmer. Jonathan McKee war die ganze Zeit wach geblieben.
„Die Nacht war lang, Gentlemen‟, eröffnete er die Konferenz. „Ich weiß nicht, ob einer von Ihnen dazu kam, die Zeitung zu lesen.‟ Er entfaltete die New York Times. „Die Schlagzeilen gleichen sich in etwa. Die Times schreibt: Spektakulärer Erfolg des FBI.‟ Er las den Untertitel vor. „Rechtsradikale Nostalgiker in Jersey City gefasst. Die Attentäter von Coney Island und Benson Hurst planten neue Anschläge ...‟
Der Chef ließ die Zeitung sinken und sah uns der Reihe nach an. „Das klingt nicht schlecht, Gentlemen, und die Bildung einer terroristischen Vereinigung werden wir diesen Männern vermutlich nachweisen können. Nur – die Hausdurchsuchungen haben keine Spur von Sprengstoff ergeben. Waffen ja, aber kein Nitroglycerin. Und keiner fährt einen blauen Pick-up.‟
„Sie zweifeln doch nicht etwa daran, dass diese Leute Glendale auf dem Gewissen haben, und Richards Wochenendhaus, und die Yacht am Hudson.‟ Unser Mann aus Washington machte eine grimmige Miene. Der kahlköpfige Percy Roman war ziemlich stolz auf unseren Erfolg.
„Nicht direkt, Percy.‟ Jonathan McKee legte die Handflächen zusammen und drückte die Fingerspitzen gegen die Unterlippe. Das tat er häufig, wenn ihm Gedanken durch den Kopf gingen, die er für noch nicht spruchreif hielt. „Wir haben nur keine Beweise.‟
„Noch nicht‟, begehrte Roman auf.
„Noch nicht‟, bestätigte der Chef. „Ford ist zwar weich geworden, aber er behauptet, sie hätten nur die Bekennerbriefe geschrieben, aber keinen einzigen Sprengsatz selbst gelegt.‟
„Trittbrettfahrer?‟ Der Gedanke schockierte mich. Nach all der mühseligen Ermittlungsarbeit, nach dem ersehnten Erfolg, nun doch die Falschen erwischt zu haben – mein Verstand sträubte sich gegen diese Theorie.
„Genau das behauptet Ford‟, sagte der Chef. „Und wenn wir ihm nicht das Gegenteil beweisen, könnte er vor Gericht damit durchkommen. Und Lighthouse und die anderen auch.‟
„Ich würd’s an seiner Stelle auch behaupten‟, sagte Jay.
„Wir müssen sie weiter in die Mangel nehmen.‟ Roman ballte die Fäuste. „Wenn es sein muss, die ganze Nacht.‟
„Das werden wir auch tun.‟ Der Chef wandte sich an Clive. „Was ist mit den Alibis?‟
„Die Teams sind unterwegs, Sir. Jedes Alibi wird auf Herz und Nieren geprüft. Ich denke, morgen wissen wir mehr.‟
Der Chef nickte. Dann wandte er sich an Milo und mich. „Mrs. Glendales Arzt hat angerufen. Sie will eine Aussage machen. Der Arzt wusste