Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
1
Die Brandung rauschte und zischte aus der Dunkelheit wie Atemstöße eines schlafenden Riesen. Der raue Wind beugte das Dünengras bis in den Sand hinab. Die Neumondsichel verschwamm im Himmelsdunst über Coney Island. Die Herbstluft war feucht, und die Kälte kroch Larry unter den Hosenaufschlägen über Waden und Knie in die Oberschenkel.
Er spürte es kaum. Das Haus und seine Umgebung fesselten seine Aufmerksamkeit. An diesem Sonntag war es bewohnt. Durch sein Nachtglas sah er die Reifenspuren im Kies vor der Garage, sah das hochgezogene Fenster, sah Spaten und Harke neben dem kleinen Werkzeugschuppen. Sah alles, was sich seit gestern verändert hatte.
„Na, prächtig‟, murmelte er und setzte das Nachtglas ab. Er griff in die Jackentasche und spannte den Hahn seines Revolvers. „Dann wollen wir mal ...‟
Der Sand unter seinen Schuhen gab nach, als er mit großen Schritten die Düne hinunterlief. Über einen serpentinenartigen Trampelpfand schlich er zu dem Haus hinauf. Von fast jedem der Wochenendhäuser hier am Strand führte so ein Pfad in die Dünen hinunter. Larry kannte sich aus.
Er musste sich auskennen – es war gewissermaßen sein Job, mit der Umgebung von Wochenendhäusern vertraut zu sein. Es war sein Job zu erkennen, ob Wochenendhäuser leer standen oder bewohnt waren. Und dieses war bewohnt, okay, das wusste er jetzt.
Was ihn ein wenig irritierte: Hinter keinem der Fenster brannte Licht. Dabei war es erst kurz nach zehn. Das konnte bedeuten, dass die Leute zu einem nächtlichen Spaziergang am Strand unterwegs waren. Das konnte aber genauso gut bedeuten, dass sie Frühaufsteher und schon zu Bett gegangen waren. Larry vermutete ersteres. Aber konnte man das so genau wissen?
Egal. Seine Rechte fuhr in die Jackentasche und umschloss die hölzernen Griffschalen seines zuverlässigsten Komplizen: Ein Llama Comanche, ein .357er Magnum. Ziemlich schweres Teil, aber Larry stand auf die spanische Ballermänner.
Der Weg stieg steil an. Umrisse von Ginsterbüschen säumten seinen Rand. Das Röhren eines Jets schwoll an und verlor sich dann Richtung John F. Kennedy International Airport. Larry hörte es nicht. Er hörte aber sein Herz in den Schläfen pochen. Und zwar um so lauter und schneller, je näher er dem unbeleuchteten Anwesen kam. Auch sein Atem ging nun schneller.
Das lag nicht an dem steilen Weg, ganz sicher nicht – Larry war erst Ende zwanzig und gut durchtrainiert obendrein. Sich fit zu halten war er seinem Job schuldig. Nein – beschleunigter Atem, beschleunigter Puls: Nichts Besonderes für Larry. Er nannte es „Jagdfieber‟. Gehörte einfach dazu.
Das Gelände wurde flacher, der Weg breiter und weniger steil. Bald schälten sich die Konturen des Wochenendhauses aus der Dunkelheit.
Larry verließ den Weg und huschte zwischen die Ginsterbüsche. Vorsichtshalber. Nicht, dass irgendwer am dunklen Fenster stand und der Brandung oder dem Heulen des Herbstwindes lauschte. Manhatties, die Tag für Tag nur Verkehrslärm, Stimmen aus dem Fernseher und Polizeisirenen hörten, waren solche Anfälle von Naturromantik durchaus zuzutrauen. Larry kannte sich aus.
Bald konnte er die Latten des etwa hüfthohen Holzzaunes voneinander unterscheiden, der das kleine Anwesen umgab. Hinter die Ginstersträucher geduckt schlich er ein paar Schritte vom Zaun entfernt am Grundstück entlang, bis er den kleinen Werkzeugschuppen erreichte. In dessen Deckung pirschte er sich an den Zaun heran.
Noch einmal setzte er das Nachtglas an die Augen. Sein Blick glitt über die Hausfassade. Und blieb am offenen Fenster hängen.
Wenn er es recht bedachte, passte es nicht zu einem Manhattie, das Fenster zu öffnen, bevor er das Haus zu einem Nachtspaziergang verließ. Es könnten ja böse Menschen auf die Idee kommen, in das Haus einzusteigen und wer weiß was anzustellen. Menschen wie Larry zum Beispiel.
Nein, nein, dachte Larry, hinter dem offenem Fenster liegt irgend so ein Frischluftfanatiker in den Federn.
Ein Paar, vermutete er. Es waren meistens Paare, die an den Wochenenden hier herauskamen. Merkwürdig, dass sie erst heute, am Sonntag, aus Manhattan nach Coney Island gefahren waren. Lohnte sich doch kaum. Aber Larry sollte es Recht sein.
„Hoffen wir, dass ihr einen tiefen Schlaf habt‟, murmelte er. „Hoffen wir’s für mich und für euch.‟ Er stieg über den Zaun und zog den Llama-Revolver aus der Jackentasche.
2
Der Wagen stieß rückwärts in eine Parklücke. „Ein blauer Mercury‟, sagte Milo. „Das ist er.‟
Ich griff zum Mikro. „Trevellian an Zentrale, kommen.‟
Auf der anderen Straßenseite stieg ein bärtiger Mann mit schwarzem Haarzopf aus dem Mercury. Er zog sich die Kapuze seines Parkas über den Kopf. Im Schein der Straßenbeleuchtung studierte er irgendeinen Zettel. Danach steuerte er den Eingang des Spielsalons an.
„Zentrale hört.‟ Clives Stimme aus dem Funkgerät.
„Curseley ist da. Er geht ins Tivoli.‟
„Okay. Wir sagen Orry Bescheid. Ende.‟
Kollege Medina war schon vor zwei Stunden in dem Spielsalon verschwunden. Er beschattete Curseleys Kontaktmann, einen ägyptischen Staatsbürger, dem wir allerhand Übles zutrauten. Zum Beispiel das Bombenattentat auf die Yacht eines Börsenmaklers, das zwei Wochen zuvor Schlagzeilen im Big Apple gemacht hatte.
Das Schiff war an einem der Piers am Hudson-Hafen gesunken. Sein Besitzer war jüdischen Glaubens und unterhielt gute Kontakte zur israelischen Botschaft in Washington.
Die Explosion hatte sich mitten in der Nacht ereignet. Verletzt wurde niemand, nur war es nicht die erste Bombe, die in jenem Oktober in New York City explodierte.
„Gehen wir ’rein.‟ Ich zog den Zündschlüssel ab. Wir stiegen aus meinem Sportwagen und überquerten die Mott Street.