und dann hundert Meter bis zur Schule.
Wenn er nicht spurte, verstärkten sie den Druck auf ihn – hingen ihm irgendwelche Verstöße gegen die Schulordnung an, schwärzten ihn bei den Lehrern an, schikanierten ihn vor versammelten Klasse oder verprügelten ihn.
„Okay, nächsten Montag also.‟ Wieder landete ein Schlag auf Rickys Schulter. Diesmal traf Lester Pirellis geballte Faust. Tränen stiegen Ricky in die Augen. „Werden dich hin und wieder dran erinnern.‟
Ihr habt ja keine Ahnung, mit wem ihr euch einlasst, keine Ahnung habt ihr!
Dann endlich die Kreuzung zur 12th Straße. Von weitem sah Ricky Schüler in Gruppen vor dem Schulhof stehen. Der Schulbus fuhr vorbei. Pirelli und seine Vasallen winkten einigen Mädchen im Bus.
„Man sieht sich, Thompson!‟ Ein vorläufig letzter Schlag. Lester Pirelli und die anderen vier spurteten zur Bushaltestelle, wo der Bus stoppte. Pirellis Freundin stieg dort aus.
Ricky wischte sich ein paar Tränen aus den Augen. Wut brannte in seinen Gedärmen, ungeheure Wut. „Schwein ... verfluchter Hund ... der Teufel soll dich holen!‟ Er fluchte in sich hinein, während er sich dem Schulgelände näherte. „Euch alle soll der Teufel holen!‟
Am Eingang des Schulgeländes, zwischen all den Gruppen von plappernden und lachenden Jungen und Mädchen, stand ein unglaublich fetter Bursche und mampfte Bagels aus einer Tüte.
Er trug eine Schildkappe aus Leder, die er sich tief in die Stirn gezogen hatte. Er plauderte mit niemandem, er lachte mit niemandem – er stand allein und schien sich für weiter nichts als für seine Bagels zu interessieren.
Jack O′Neill, seit vier Monaten Rickys einziger Lichtblick.
Ricky beschleunigte seinen Schritt. Er winkte, als er sicher sein konnte, dass Jack ihn wahrgenommen hatte. Jack deutete ein Nicken an und biss von seinem Bagel ab.
Ein Bagel mit Frischkäse. Jack O′Neill verdrückte jeden Morgen drei davon. Gleich nach dem Frühstück auf dem Weg zur Schule. Inzwischen kannte Ricky die Gewohnheiten seines einzigen Verbündeten.
„Alles klar?‟ Ricky blieb vor dem viel größeren und mehr als doppelt so schweren Burschen stehen. Der brummte irgendetwas Zustimmendes.
„Und selbst?‟ Jack war ein Jahr älter als Ricky. Er machte die Zehnte zum zweiten Mal. Auch jetzt behielt er gerade so den Anschluss.
Nicht weil er zu dumm war – o nein: Jack O′Neill war ein Genie. Jedenfalls in Rickys Augen. Nur verbrachte er ganze Tage vor dem PC und mit seinem Hobby. Doch das wusste niemand. Nur Ricky wusste es. „Und selbst?‟, wiederholte Jack.
„Alles Roger.‟ Rickys Stimme klang gepresst. Er wandte den Kopf zur Bushaltestelle. Dort stand Lester Pirelli in der Schar seiner Anhänger und schwang Reden. Eine Menge Mädchen waren dabei. „Nur Pirelli, dieses Stück Scheiße ...‟
Jack stopfte sich den Rest seines Bagels zwischen die Zähne. Wieder ein Nicken. Doch diesmal sah er Ricky an dabei. Seine braunen Augen hatten etwas Starres. Bei aller Gleichgültigkeit, die in ihnen lag, schienen sie dennoch zu lachen. Er sah Ricky an, als wollte er sagen: Auch Pirelli – nur Geduld – auch Pirelli bekommt sein Fett noch ab.
Seite an Seite liefen sie zum Schulportal. „Wann machen wir weiter?‟, wollte Jack wissen.
„Heute Nachmittag.‟
„Okay. Um fünf bin ich bei dir.‟
5
Die Feuerwehr hatte längst das Feld geräumt. Ein halbes Dutzend Fahrzeuge standen auf dem Zufahrtsweg vor der Hausruine – mein Sportwagen, Orrys und Clives Dienstwagen, und vier Fahrzeuge unserer Kollegen vom Erkennungsdienst. Sie suchten das zerstörte Wochenendhaus nach Spuren ab. Der putzige Flachbau war völlig ausgebrannt.
„Sie glauben also, es war ein ganz normaler Einbrecher?‟ Ich lehnte gegen meinen Sportwagen und vernahm den Besitzer des Hauses, einen gewissen Dr. Jerry Richards, Afroamerikaner und Assistenzarzt im Beekman Downtown Hospital.
„Was weiß denn ich?‟ In einer Geste der Ratlosigkeit breitete der Mann die Arme aus.
Das tat er ständig. Und ständig blickte er sich nach seinem ausgebranntem Haus um, seufzte und schüttelte den Kopf.
„Ich sah ihn durch den Garten schleichen. Und plötzlich tauchte er vor dem Fenster auf und stieg ins Zimmer ...‟ Er winkte ab. „Habe ich doch schon erzählt.‟
Wieder blickte er sich nach dem Haus um, wieder seufzte er. „Jesus ... wenn ich es nicht mehr geschafft hätte – wenn ich im Haus geblieben wäre ...‟ Die Haustür, zersplitterte Glasscheiben und angekohlte Bretter lagen im Kies vor dem Haus. Durch die glaslosen Fensterrahmen konnte man die Kollegen bei der Arbeit sehen.
„Es hätte mich auch erwischt, wenn ich drin geblieben wäre. Stellen Sie sich nur mal vor, ich hätte mich im Haus versteckt.‟ Er unterbrach sich. Sein Blick flog zwischen Milo und mir hin und her. „Hat der Kerl überlebt?‟
„Bis jetzt.‟ Ich zuckte mit den Schultern. „Sie haben ihm ein Bein amputiert. Er liegt auf einer chirurgischen Intensivstation in Benson Hurst. Verbrennungen dritten Grades. Wenn er den Montag durchsteht, ist er über dem Berg, sagen die Ärzte.‟
„Arschloch ...‟ Richards schüttelte den Kopf. „... ist doch wahr – warum tut er so was?‟
„Das wüssten wir auch gern, Dr. Richards. Er heißt übrigens Larry Hershel. Haben Sie den Namen je gehört?‟ Dass der gute Hershel über ein atemberaubend langes Vorstrafenregister verfügte, verschwieg ich dem Doktor.
„Hershel, Hershel?‟ Richards schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. „Nie gehört.‟
„Seit wann hielten Sie sich in ihrem Wochenendhaus auf?‟
„Seit gestern Vormittag. Bin gleich nach dem Nachtdienst ’rausgefahren.‟
Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Jesus! Stellen Sie sich vor, meine Familie wäre mitgefahren! Nicht auszudenken ...!‟ Der Mann stand ganz unter dem Eindruck, Glück im Unglück gehabt zu haben. „Ich könnte tot sein, meine ganze Familie könnte tot sein!‟
„Ist Ihnen etwas aufgefallen, als Sie gestern Vormittag ins Haus kamen – ein eingeschlagenes Fenster, Kratzspuren am Türfalz, irgend etwas?‟
„Keine Ahnung – ich hab mich erst mal aufs Ohr gelegt. Und am Nachmittag war ich am Strand. Keine Ahnung, mir ist nichts aufgefallen.‟
Einer der Kollegen von der Spurensicherung trug einen sperrigen Gegenstand in einem durchsichtigen Plastiksack aus dem Hals. Ein verkohltes, rohrartiges Gerät mit geschmolzenem Stativ. Das Ding erinnerte mich an einen Granatwerfer.
„Jesus!‟, brüllte Richards los. Er rannte zu dem Spezialisten. „Mein Teleskop!‟ Er sprang um den Kollegen herum und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Schien ein Chirurg der temperamentvolleren Sorte zu sein.
„Mein schönes Teleskop! Nagelneu! Und die Kamera! Sehen Sie sich die Bescherung an! Achtzehnhundert Dollar im Eimer!‟
„Seien Sie froh, dass wir Sie nicht in so einem Zustand hier ’raustragen müssen!‟ Der Beamte