Thomas West

Sammelband 3 Thriller: Neue Morde und alte Leichen


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Nebeneinander schlenderten wir am Gartenzaun entlang.

      „Ein Mann dringt in ein Haus ein‟, dachte mein Partner laut. „Er schießt auf den Besitzer und sprengt sich anschließend selbst in die Luft – das kannst du von mir aus den Pressegeiern von der New York Post erzählen, aber nicht mir.‟

      „Hab ich das getan?‟ Ich versenkte die Hände in den Hosentaschen und blickte über den Gartenzaun zu der Hausruine. „Ich glaub’s doch selbst nicht. Der Zufall ist zwar ein mächtiger Regisseur – nur fällt es mir schwer zu glauben, dass eine Bombe ausgerechnet in dem Augenblick ein Haus in Schutt und Asche legt, in dem ein Einbrecher einsteigt und der Besitzer es fluchtartig verlässt. Wenn Hershel je wieder auf die Beine kommt, wird er sich eine Menge Fragen gefallen lassen müssen.‟

      „Auf das Bein.‟

      „Wie bitte?‟

      „Wenn er wieder auf das Bein kommt, wird er sich eine Menge Fragen gefallen lassen müssen.‟ Milo war ziemlich bissig an diesem Montagvormittag. Der nervenaufreibende Einsatz am Abend zuvor hatte uns zwar zwei beachtliche Fische ins Netz gehen lassen – der Ägypter hatte sich als Mitglied einer islamistischen Terrorgruppe entpuppt, und der Sprengstoffspezialist Curseley würde die nächsten Jahre keinen Verbrecher mehr mit explosiver Ware versorgen – aber in dem Fall, an dem wir eigentlich arbeiteten, waren wir keinen Schritt weiter gekommen.

      „Erst die Telefonzelle in der 18th Straße, dann der Eisstand in der Lower East Side, dann der Wagen am Tompkins Square, dann die Yacht, und jetzt vielleicht noch ein Wochenendhaus ...‟ Ich lehnte mich gegen meinen Sportwagen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Kannst du da irgendeine Systematik erkennen?‟

      „Nitroglycerin. Sonst fällt mir nichts ein.‟ Mit einer Kopfbewegung deutete Milo auf die Ruine. „Mit was das schöne Häuschen in die Luft gesprengt wurde, wissen wir noch nicht.‟

      Wir erfuhren es eine halbe Stunde später. George Bridger, der Chef unserer Spurensicherung, kam aus der Hausruine.

      „Ich hab was für euch.‟ Er reichte uns eine Plastiktüte. Erst auf den zweiten Blick konnte ich mit den winzigen Trümmerstücken etwas anfangen: Verschmorte Drähte, Reste eines analogen Weckers, verkohlte Plastiksplitter.

      „Du bist der Experte, George.‟ Ich gab ihm die Tüte zurück. „Erzähl uns was.‟

      „Der Sprengsatz ist in der Nähe des Kamins explodiert. Vielleicht wollte Hershel ihn im Kamin deponieren ...‟

      „Oder sonst jemand‟, sagte Milo.

      „Egal wer.‟ George hob den Cellophanbeutel gegen die Vormittagssonne. „Was ich hier sehe, interpretiere ich als Überreste eines Zeitzünders. Und die schwarzen Kunststoffsplitter waren mal ein Kanister.‟

      „Was für ein Sprengstoff?‟ Ich saß auf Kohlen.

      „Letzte Sicherheit kann nur die genaue Analyse im Labor bringen. Aber wenn ihr mich fragt ...‟

      „Wir fragen dich‟, drängte Milo.

      „Nitroglycerin!‟

      6

      So kerzengerade lief er die Treppe zur Butler Library hinauf, als hätte er vor Jahren die Messlatte verschluckt, mit der sein Kinderarzt einst die Fortschritte seines Wachstums kontrollierte.

      Mit seinem blonden Oberlippenbärtchen und dem schütteren, in der Mitte gescheiteltem Haar, schätzten ihn die meisten Kommilitonen in der Regel fünf bis acht Jahre älter ein, als er tatsächlich war.

      Wenn sie überhaupt dazu kamen, eine Schätzung abzugeben – Ronald A. Lighthouse unterhielt nicht viele Kontakte zu Studenten der Columbia University. Und die wenigen, die er pflegte, hatte er unter sehr strengen Gesichtspunkten ausgesucht.

      Ronald A. Lighthouse war siebenundzwanzig Jahre alt.

      Am Haupteingang der Bibliothek gaben sich die Studenten die Türgriffe der großen Glastüren in die Hand. Das ging den ganzen Tag so – ein einziges Kommen und Gehen bis zum späten Abend, wenn die Hauptbibliothek der Columbia University ihr Pforten schloss.

      Ronald A. Lighthouse sah nicht nach rechts und nicht nach links, während er die Treppe hinaufstieg. Kaum jemand beachtete ihn. Hin und wieder warf ihm eine der älteren Studentinnen einen verstohlenen Blick zu. Vermutlich, weil er seriös wirkte und korrekt gekleidet war, ein wenig nostalgisch fast.

      Lighthouse trug einen Zweireiher aus sandfarbenem Cord mit Lederknöpfen, einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Cordhose mit akkuraten Bügelfalten.

      Ein paar Schritte vor der mittleren Tür standen zwei farbige Studenten und plauderten mit einem weißen Mädchen. Die Bibliotheksbesucher strömten an ihnen vorbei und betraten das Foyer durch die Mitteltür, ohne sich um die kleine Gruppe zu kümmern. Nicht so Lighthouse – obwohl er direkt auf die mittlere Tür zugegangen war, schlug er einen Bogen um die farbigen Studenten und benutzte die rechte Tür.

      Die beiden Afros waren die einzigen Studenten, denen er einen Blick gönnte, bevor er hinter der Tür verschwand. Einen kalten, geringschätzigen Blick.

      Vor den Schwarzen Brettern im Bibliotheks-Foyer drängten sich Menschentrauben und studierten die zahllosen Zettel und Plakate auf den Tafeln. Veranstaltungen, Bücher-, Job-, Auto- und Zimmerangebote oder -gesuche. Die Schwarzen Bretter im Vorraum der Butler Library dienten als Börse für alles Mögliche.

      Ronald A. Lighthouse interessierte sich nicht dafür. Noch nie war er vor einer der Tafeln stehen geblieben. Schon deswegen nicht, weil er verabscheute, sich in größeren Menschenansammlungen aufzuhalten.

      Mit raschen Schritten steuerte er die Bibliotheksräume an. Wie ein Mann, der ein Ziel hatte.

      Wie meistens um diese Zeit – es war kurz nach der Mittagspause – war die Butler Library, gelinde gesagt, gut besucht. Hunderte von Studenten tummelten sich zwischen den Bücherregalen, an den Lesetischen auf den Emporen, und vor den langen Tresen der Ausgabestellen.

      Lighthouse ging zu den Stehpulten mit den Terminals, an denen man die Bestände der Butler Library nach benötigten Büchern durchsuchen konnte. Er hatte Titel und Autoren der beiden Bücher, die er für seine Doktorarbeit brauchte, im Kopf. Er gab die Daten ein, erhielt die Standortnummern, notierte sie, und machte sich auf den Weg ins Regal-Labyrinth.

      Ein paar Minuten später fand er die Bücher: Ein neueres Werk über die Indianerkriege und einen Doppelband über die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ronald A. Lighthouse studierte europäische Geschichte und Deutsch.

      Mit den drei Wälzern unter dem Arm stieg er die Empore hinauf. Dort standen die Computer-Terminals, an denen man online recherchieren konnte. Er sah sich kurz um, bevor er sich vor einen freien Bildschirm setzte. Die Bücher legte er mit dem Buchdeckel nach unten neben die Tastatur.

      Er gab eine Codenummer ein – nicht seine eigene – und rief die E-Mail-Software auf. In die Empfängerzeile tippte er die E-Mail-Adresse der New York Times, in die Zeile für die Kopieempfänger die Adressen der New York Post und der Daily News. Sämtliche Adressen hatte er im Kopf.

      Auch den Text, den er an die Zeitungsredaktionen schicken wollte, hatte er sorgfältig auswendig gelernt. Trotzdem zögerte er einen Augenblick, bevor er ihn in die Tastatur hämmerte. Wieder