Thomas West

Sammelband 3 Thriller: Neue Morde und alte Leichen


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schon etwas in den Briefkasten werfen?

      Er lauschte in die Dunkelheit hinaus. Von fern das Rauschen des Verkehrs auf dem Kings Highway. In einem der Nachbargärten zwitscherte ein Nachtfink. Auch Katzen hörte Paul schreien. Klar – Anfang Oktober: Paarungszeit.

      Paarungszeit, dachte er wehmütig. Die prickelnde Erregung aus seinem Traum perlte wieder durch seine Glieder.

      „Da ist nichts, Darling.‟ Paul ließ den Lampenstrahl noch über die schulterhohe Hecke wandern und hinüber in die Nachbargrundstücke. Dort standen ähnlich wuchtige Jugendstilvillen, wie Paul und Esther und ihre beiden halbwüchsigen Söhne eine bewohnten. „Wirklich, Darling – da ist nichts.‟

      „Ganz sicher?‟ Die Decke bis an den Hals gezogen lehnte Esther gegen die Kopfleiste des Bettes.

      „Ganz sicher, Darling.‟

      „Ich hab’s doch rascheln gehört, ich hab doch sogar Schritte gehört. Und später fuhr ein Auto weg.‟

      „Vor unserem Haus?‟ Er betrachtete sie und fand sie begehrenswert. Merkwürdig eigentlich, dass man sogar seine eigene Frau schöner findet, wenn man Hunger nach ihr hat.

      „Nein‟, gab Esther zu. „In einer Nachbarstraße.‟

      Paul zuckte mit den Schultern. „Na siehst du.‟ Er stellte die Lampe vor Esthers Schminkspiegel. „In den letzten drei Jahren ist in unserer Straße kein einziges Mal eingebrochen worden. Unter den Ganoven hat es sich längst ’rumgesprochen, dass hier jedes Haus über eine gute Alarmanlage verfügt.‟ Er zog sich den Morgenmantel aus.

      „Aber das Außenlicht ging an.‟ Die Hartnäckigkeit – das war auch so ein Zug an Esther.

      „Der Bewegungsmelder reagiert auch auf Katzen und Eichkater. Sogar auf Vögel. Wahrscheinlich waren es Katzen.‟ Während er Anstalten machte, seine Decke zurückzuschlagen, grinste er seine Frau an. „Es ist Paarungszeit, Darling.‟

      „Bitte, Paul. Schau auch im Garten nach. Und an der Kellertreppe. Und an der Garage.‟

      „Also gut‟, seufzte Paul, „weil du es bist, Darling.‟ Und weil Paarungszeit ist, fügte er in Gedanken hinzu.

      Er streifte sich den Morgenmantel also wieder über, bewaffnete sich erneut mit der Stablampe, und machte sich auf zu den anderen drei Seiten seines großen Hauses.

      Er öffnete die Fenster zum Grundstück der McMillans, leuchtete die Umgebung der Garage aus, öffnete ein Fenster zum Grundstück der Hastings und leuchtete die Steinplatten vor der Garage ab.

      Hinter einem Fenster im Erdgeschoss der Hastings brannte Licht. Paul sah das bläuliche Geflimmer des TV-Gerätes. Er fragte sich, welche Sendung sein Nachbar um die Zeit noch anschaute.

      Zum Schluss ging er auf den Balkon an der Rückfront des Hauses und leuchtete in den Garten hinein. Die Schatten dreier Katzen huschten durch die Blumenbeete. Ansonsten nichts.

      Paul schlurfte zurück ins Schlafzimmer. Unterwegs mutmaßte er, dass der alte Hastings mal wieder vor der Mattscheibe eingeschlafen war. Oder gab es da nicht einen Boxkampf in Europa? Richtig, in den Niederlanden, in Köln. Oder liegt Köln in Österreich? Keine Ahnung – jedenfalls sieht der alte Hastings sich einen Boxkampf an.

      „Nichts Darling, wirklich. Alles in Ordnung.‟ Die Taschenlampe auf den Schminktisch, herunter mit dem Morgenmantel, ab ins Bett. Bevor Esther noch auf die Idee kam, ihn in den Keller, oder gar auf die Straße zu schicken.

      „Hast du auch die Fenster wieder zugemacht?‟

      „Hab ich, Darling, hab ich ...‟ Er streckte beide Arme nach ihr aus. „Komm her, Angsthäschen, ich beschütze dich.‟

      Er sagte das einfach so – vielleicht hatte sein Traum ihn in Stimmung gebracht, vielleicht die balzenden Katzen. Und die Verwunderung aus seinem Traum setzte sich unverhofft fort – ohne Wenn und Aber kuschelte Esther sich an ihn.

      Die Wärme ihres Körpers, die Wölbungen ihrer Brüste an seinen Rippen, ihr Duft – sein Blut geriet in Wallung. Er streichelte ihr Haar, er küsste ihre Stirn, er küsste ihr den Träger des Nachthemdes von der Schulter, und dann küsste er ihre Brüste. Und zwar, ohne sie um Erlaubnis zu fragen

      Esther reagierte, als wartete sie seit Wochen auf so eine Gelegenheit: Sie räkelte sich in seinen Armen und begann nun wirklich ihn zu streicheln. Brust und Bauch und tiefer. „Mehr, mehr‟, hauchte sie.

      Paul nahm sich vor, den Katzen, die durch den Bereich des Bewegungsmelders gelaufen waren und Esther geweckt hatten, eine Schale Milch auf die Treppe zu stellen. Vielleicht kamen sie dann öfter.

      10

      „Glaubt mir, es gibt eine Menge Leute in den Vereinigten Staaten, die so denken wie wir!‟ Ronald A. Lighthouse beugte sich über den Tisch. Nacheinander sah er seine Gesinnungsgenossen an. „Menschen, die ein sauberes Amerika wollen. Menschen, die genug haben von Bettlern, verhüllten Frauen, Jugendgangs, Kaftanen und Saris, Schwarzen und Homosexuellen, und was man nicht alles anschauen muss, wenn man durch die Straßen unserer Großstädte geht.‟

      Sie waren zu sechst. Alles Männer. Nur einer von ihnen war jünger als Lighthouse selbst. Ein Trucker aus Staten Island. Die anderen waren alle über dreißig. Einer sogar fast fünfzig. Und trotzdem akzeptierten sie den Studenten als ihren Führer.

      „Menschen, die von einem starken Amerika träumen. Einem Amerika, das seine hehren Ideen und seine starke Moral in der ganzen Welt verbreitet ...‟

      Wie schon so oft seit dem Sommer, hatten sie sich in Jersey City getroffen. Im Industriegebiet am Hafen, im Büro einer kleinen Speditionsfirma.

      Das Unternehmen gehörte dem ältesten unter den Männern. Er hieß Humphrey Perlman. Wie die anderen auch war er Gründungsmitglied des „Weißen Widerstandes zur Befreiung von Gottes eigenem Land‟.

      „Wir müssen Kontakt zu den Kampfgenossen aufnehmen. Das Internet bietet ungeahnte Möglichkeiten. Ihr glaubt gar nicht, wie viele von uns sich dort zu Wort melden.‟

      Bierdose an Bierdose reihte sich auf dem Schreibtisch. Drei Aschenbecher quollen über. Ein Schleier aus Rauchschwaden hing unter den Neonröhren.

      Gestern, am späten Abend hatten sie sich getroffen. Zu zweit zunächst, dann zu dritt und zu viert. Die letzten beiden waren erst vor einer Stunde zu der Versammlung gestoßen. Ganz vollzählig waren sie nicht. Drei Männer aus Brooklyn und der Bronx – ebenfalls Gründungsmitglieder – hatten zu tun in dieser Nacht. Es war kurz vor fünf Uhr morgens.

      Die Gruppe war noch jung. Aufbruchsstimmung herrschte. Nach den Erfolgen der letzten Zeit sowieso. Die ganze Nacht hatten sie diskutiert, wie sie weitermachen wollten.

      „Wir werden eine Homepage einrichten. Natürlich unter einem anderen Namen. Den Weißen Widerstand zur Befreiung von Gottes eigenem Land kennt ja inzwischen ganz Amerika.‟ Ronald A. Lighthouse deutete ein Lächeln an. „Und jede Polizeidienststelle und jedes FBI-Büro. Wir haben gute Kontakte nach Indianapolis, nach Texas und nach Florida ...‟

      Motorengeräusch näherte sich. Perlman stand auf und ging zur Tür, wo der Lichtschalter war. Er legte ihn um. Es wurde dunkel. Stumm blickten sie durch die Fensterfront in den Speditionshof hinaus.

      Das