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blinzelte zu dem Wecker herunter, der neben seinem Bett auf dem Teppichboden stand. Viertel nach elf. Kamen sie jetzt erst nach Hause? Hatten sie so lange gearbeitet?

      Je lauter sein Dad „Sexbomb‟ grölte, desto aufgekratzter kicherte seine Mom.

      Dann wurde es still. Sie bemühten sich, leise zu sein. Aber Ricky hörte doch, wie sie sich an seine Zimmertür heranschlichen. Er zog die Decke über den Kopf und kniff die Augen zusammen.

      Die Tür wurde geöffnet. Dann wieder einen Augenblick Stille. Bis Ricky die Flüsterstimme seiner Mutter sagen hörte: „Er schläft.‟ Und wieder knarrte die Klinke seiner Tür.

      Ricky wartete, bis sie im Bad fertig waren. Erst als er hörte, wie sich die Schlafzimmertür schloss, stand er auf. Kurz vor halb zwölf zeigte der Wecker. Es wird Mittag, und sie gehen schlafen, dachte er. Oder sie vögeln ...

      Er stand auf. Während er in seine Kleider stieg, fuhr er den PC hoch. Er lud das E-Mail-Programm und rief seine Mails vom Server. Es gab nur eine, eine Nachricht von Jack: „Bring drei Bagels mit Frischkäse mit.‟ Mehr nicht. Genug für Ricky, um zu begreifen. Sein Herz klopfte.

      Wie ein Fremder fühlte er sich, als er auf leisen Sohlen an der Schlafzimmertür seiner Eltern vorbei schlich. Seine Mutter kicherte noch immer, aber nicht mehr wie ein Teenie, sondern wie eine Frau, die gekitzelt wurde und nicht genug kriegen konnte. Und sein Vater sang nicht mehr „Sexbomb‟ - er knurrte wie ein Wolf, der seinen Hunger stillte.

      In der Küche trank er ein Glas Cola und griff sich ein Sandwich vom Vortag. Den Griff der Apartmenttür schon in der Hand, lauschte er noch einmal. Das Kichern seiner Mutter war jetzt in Stöhnen übergegangen. Von seinem Vater war kein Ton mehr zu hören.

      Ricky fühlte sich plötzlich allein. Ihr kennt mich nicht, dachte er, o nein – ihr wisst nicht, wer ich bin ...

      Unten, auf dem Bürgersteig der 13th Straße, begriff er, dass es ein Fehler gewesen war, sich schlafend zu stellen: Heute war sein monatliches Taschengeld fällig. Er hatte nur noch drei Dollar und ein paar Cents in der Tasche. Zu spät. Jetzt konnte er seine Eltern nicht mehr stören. Nun gut – für Jacks Bagels würde es noch reichen.

      Jack wohnte am Südrand des East Village, in der Lafayette Street. Keine zwanzig Minuten Fußweg vom Thompson-Apartment entfernt. In einem Imbiss kaufte Ricky drei Bagels mit Frischkäse. Nicht einmal ein Dollar blieb ihm jetzt fürs Wochenende. Aber es gab wichtigere Dinge.

      Normalerweise mied Ricky die südliche Gegend der East Village. Die Lafayette Street führe schon fast nach Little Italy hinein. Und in Little Italy wohnte der schlimmste seine Feinde: Lester Pirellis Vater hatte ein Hotel in der Kenmare Street.

      Ricky nahm ein paar Umwege. Und lief der Pirelli-Gang direkt in die Arme. In dem kleinen Park, bei dem die 3rd und die 4th Avenue sich vereinigen und in die Bowery münden. War es Zufall, oder hatten sie ihm aufgelauert?

      Sie belagerten eine Bank am Verbindungsweg zwischen 3rd und 4th Avenue. Ricky sah die Zigaretten zwischen ihren Fingern. Pirelli stand auf. Breitbeinig versperrte er ihm den Weg.

      „Hi, Kurzer!‟, feixte er. „Verlaufen? Oder was treibst du hier?‟ Es war klar, was jetzt kommen würde.

      „Hi.‟ Die Brüchigkeit seiner eigenen Stimme konfrontierte Ricky mit seiner ganzen Ohnmacht. Sie trieb ihn zur Verzweiflung, diese Ohnmacht. Er trat vom Weg auf den Rasen, um einen Bogen um die fünf Jungens zu schlagen. Sie grinsten böse.

      „Gut, dass wir dich treffen, Thompson. Schutzgeld ist fällig und die Ablöse für deine geilen Schuhe!‟ Ricky beschleunigte seinen Schritt. Er sah nicht, wie sie aufstanden, aber er fühlte es. „Du hast es für das Wochenende versprochen, also raus mit dem Zaster!‟

      Ricky rannte los. Er hörte ihre Schritte hinter sich. Im Laufen griff er nach seinem Handy und drückte den Code für Jacks Nummer, die Eins. Die Tüte mit den Bagels glitt ihm aus der Hand. Er rannte weiter. Endlich Jacks Stimme. „Jack O′Neill?‟

      „Am Cooper Square, schnell!‟ Ricky keuchte es in sein Handy hinein. Jemand packte ihn am Arm. Natürlich Joseph, er war der schnellste von allen. Ricky schlug um sich. Das Handy fiel ins Gras. Er rannte weiter. Zwischen den Büschen sah er den Verkehr auf der 4th Avenue vorbeigleiten.

      Jemand sprang ihn von hinten an. Ricky stürzte bäuchlings ins Gras. Eine Hand vergrub sich in seinen Locken, hielt seinen Kopf fest und drückte ihn in den kühlen Grasboden.

      „Du bist das letzte mal abgehauen, du Stück Zwergenscheiße!‟ Josephs Stimme. „Wenn wir mit dir zu reden haben, haust du nicht ab! Kapiert?!‟ Der afroamerikanische Junge hockte auf Rickys Rücken.

      Die anderen vier umringten ihn. Joseph stand auf. Ricky hob den Kopf. Der heiße Knoten in seinen Gedärmen schmerzte. Ich zeig’s euch allen ... ich bring euch alle um ... ihr wisst ja nicht, wer ich bin!

      Irgendwie gelang es ihm, die Tränen zu unterdrücken. Lester Pirelli ging vor ihm in die Hocke. Er hielt die Tüte mit den Bagels in der Rechten. „Her mit dem Zaster.‟

      Ricky setzte sich auf, kramte seine letzten Münzen aus der Hosentasche und gab sie Pirelli.

      Der starrte sie an, als hätte Ricky ihm in die Handfläche gespuckt. „Fünfundachtzig Cents? Willst du mich verarschen?!‟ Mit dem Handrücken schlug er Ricky ins Gesicht. Nicht fest, aber Ricky wusste, dass es nur eine Aufwärmübung war. „Elf Dollar Schutzgeld und fünfzehn Dollar für die Schuh! Macht sechsundzwanzig Dollar! Her damit!‟

      „Bitte ...‟ Ricky schluckte. „Ich hab’s nicht, ehrlich nicht ...‟ Er hasste sich selbst für seine Unterwürfigkeit. „Ich hab noch kein Taschengeld gekriegt.‟

      Der nächste Schlag traf ihn mit solcher Wucht, dass er nach hinten ins Gras kippte. Pirelli steigerte sich.

      Amoz Levington durchsuchte Rickys Hosentaschen. Er fand nichts, worauf Lester Pirelli Ricky in die Rippen trat. „Es ist leichtsinnig, ohne Geld aus dem Haus zu gehen, wenn man der Pirelli-Gang sechsundzwanzig Dollar schuldet.‟

      Er begann, den am Boden liegenden Ricky zu umkreisen. „Was heißt hier leichtsinnig – eine Provokation ist das! Du nimmst uns nicht ernst!‟ Erneut trat er nach Ricky. Im letzten Moment brachte der seinen Kopf aus dem Aktionsradius von Pirellis Schuhspitze. „Du weißt, was es dafür gibt, Kurzer? Aufs Maul gibt’s dafür!‟

      „Aufs Maul! Kapiert?‟ Amoz Levington trat zu und traf Ricky in der Nierengegend.

      Blitzschnell bückte Lester Pirelli sich. An den Armen riss er Ricky hoch und hielt ihn von hinten fest. Ricky starrte in vier hämisch grinsende Gesichter. „Los!‟, sagte Pirelli. „Macht ihn fertig!‟

      Amoz Levington schlug als erster zu. Er traf Ricky nur an der Schulter. Joseph holte aus und rammte seine Faust in Rickys Magengrube.

      15

      Ein Löschzug aus vier Feuerwehrwagen stand mitten auf der Straße. Hundert Meter davor die Absperrung. Dutzende von Menschen drängten sich dort. Milo stieg aus und hob das Trassierband hoch. Im Schritttempo bohrte ich mich durch die Menge der Schaulustigen und fuhr unter dem gelben Band durch.

      An anderen Tagen hätte ich gesagt: Was für eine idyllische Straße, was für eine schöne