Der fette Jack O′Neill stierte ihnen hinter her. Er sprach kein Wort. Ricky bückte sich nach der Tüte mit den Bagels und gab sie ihm. „Danke, Jack.‟
Eine Zeitlang stand er neben dem Dicken. Gemeinsam beobachteten sie, wie die Pirelli-Gang die 4th Avenue überquerte. Auf der anderen Straßenseite verschwanden sie in einem chinesischen Imbiss.
„Verfluchter Hund!‟ Rickys leise Stimme zitterte. „Wir gehen zu dir und holen die Kamera.‟
„Ja‟, sagte Jack, „die Zeit ist reif.‟
Sechs oder sieben Minuten später schloss er die Tür zum Apartment seiner Eltern auf.
„Jacky, du hast dein Frühstück stehen lassen!‟, begrüßte seine Mutter sie. Eine korpulente Frau, älter als Rickys Mutter. Sie war sehr blass. Ihr angegrautes Haar hing ihr strähnig auf die Schultern. Sie trug eine fleckige Schürze und rauchte mit Zigarettenspitze. Jedes Mal, wenn Ricky ihre schlampige Erscheinung bestaunte, fragte er sich, unter welcher Krankheit oder welchem Kummer Jacks Mutter litt.
Er setzte sich zu Jack an den Tisch im Esszimmer. Jacks Vater brummte einen Gruß. Nicht ganz so fett wie Jack bot er doch das Bild eines hünenhaften, massigen Manns. Er hatte eine Glatze. Von seinem Ohrensessel mitten im Esszimmer aus verfolgte er die Wiederholung eines Boxkampfes im Fernsehen.
Sein blauer Jogginganzug sah aus, als wäre er in diesem Jahr noch nie mit Wasser und Waschpulver in Berührung gekommen. Ricky begegnete ihm selten. Doch immer wenn er Mr. O′Neill sah, konnte er seinen Blick kaum von dessen riesigen Händen abwenden. Sie waren schrundig und voller Schürfwunden. Schwarze Ränder zierten die viel zu langen Fingernägel.
Jacks Vater betrieb eine Abrissfirma in Brooklyn. Auch er rauchte mit Zigarettenspitze. Neben ihm, auf einem Beistelltisch standen eine Whiskyflasche, halbvoll, und zwei leere Gläser.
Ricky wartete, bis Jack sein Frühstück hinunter geschlungen hatte – gebratene Eier mit Speck, drei Käsesandwichs und eine Schüssel Salat. „Mach den Fernseher leiser‟, sagte er irgendwann mit vollem Mund. Sein Vater griff zur Fernbedienung und stellte leiser.
Nach dem Frühstück pflanzte Jack sich breitbeinig vor seinem Dad auf. So dass er ihm den Blick auf das TV-Gerät verstellte. „Ich brauch Geld.‟ O′Neill senior kramte zwei Fünf-Dollar-Noten aus der Hosentasche und reichte sie Jack. „Mehr.‟ Jacks Vater schob noch einmal zehn Dollar hinterher. „Und den Autoschlüssel.‟ Auch den Schlüssel fand O′Neill senior in den Taschen seines Jogginganzuges. Er reichte ihn Jack, ohne den Jungen anzusehen.
Er blieb die ganze Zeit stumm, während er den Wünschen seines Sohnes nachkam – oder eigentlich waren es keine Wünsche, sondern Anweisungen. Seine Bewegungen wirkten verlangsamt, wie in Zeitlupe. Ricky begriff, dass der Mann betrunken war.
Jack holte die Kamera aus seinem Zimmer. Ricky wartete an der Wohnungstür. Er beobachtete, wie Mrs. O′Neill aus der Küche ins Esszimmer wankte und die beiden Gläser auf dem Beistelltisch mit Whisky füllte.
„Wo gehst du denn hin, Jacky?‟, erkundigte sie sich, als Jack die Apartmenttür aufzog.
„Ins Kino oder so, mal sehen.‟
„Bist du zum Essen heute Abend zurück? Ich koch’ was Leckeres.‟
„Okay.‟ Er warf die Tür zu. Hinter Jack her ging Ricky das Treppenhaus hinunter. Sein Herz klopfte. In seinem Bauch glühte wieder der heiße Knoten.
„Es wird nicht einfach‟, sagte Jack. Bei jedem seiner schaukelnden Schritte pendelte die Kamera hin und her. „Wir müssen sorgfältig planen.‟
17
Am späten Vormittag kam Jonathan McKee persönlich an den Tatort. Er besichtigte das Trümmerfeld vor der Villa und ließ sich von George Bridger die ersten Ergebnisse vortragen. Danach versammelten wir uns an der mobilen Einsatzzentrale, einem mit Elektronik vollgestopften GM-Van.
Sieben Agenten waren nach Brooklyn gekommen. Darunter ein Anti-Terror-Spezialist aus Washington. Er hieß Percy Roman, ein kahlgeschorener Afroamerikaner in meinem Alter.
„Wir gehen also davon aus, dass es wieder diese Verrückten waren. Den Impulszünder haben sie benutzt, um ganz sicher zu gehen: Glendale sollte sterben. Mord also, eiskalter Mord. Meine Theorie, ich sag’s einfach mal so.‟
„Fragt sich nur, warum sie diesen Schuldirektor im Visier hatten‟, sagte ich. „War er linksliberal? War er schwul, oder gehört er einer jüdischen Organisation an?‟
„Finden wir’s heraus.‟ Unser Chef wirkte bedrückt an diesem Tag. Bombenattentate in New York City – ein Albtraum für jeden verantwortlichen Ermittler. Wir konnten nicht damit rechnen, zum letzten Mal am Explosionsort einer Bombe zu stehen.
„Sie werden ein Bekennerschreiben in die Welt schicken‟, sagte Milo. „Aber den Gefallen, es noch einmal am Terminal der Butler Library zu tun, werden sie uns nicht erweisen.‟
„Kaum.‟ Percy Roman verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Fahrertür des Vans. „Aber wir können ziemlich sicher sein, dass sie Kontakt zur Universität haben. Wahrscheinlich studieren einige von ihnen dort.‟
Wir hatten den Studenten ermittelt, mit dessen Codenummer das Bekenner-E-Mail über den Universitäts-Server versandt worden war. Drei Tage hatten wir Mann in die Mangel genommen. Seine Alibis waren hieb- und stichfest. Wir mussten ihn vorläufig auf freien Fuß setzen.
Wie der Absender an die Codenummer des Studenten gekommen war, konnten wir noch nicht klären. Allerdings sprach vieles dafür, dass er Zugang zu allen Einrichtungen der Columbia University haben musste.
„An der Uni stehen zahllose Rechner‟, sagte George Bridger. „Hoffnungslos.‟
„In der Amsterdam Avenue, nicht weit von der Universität entfernt, gibt es ein Internet Café.‟ Ich kannte das Café, weil ich dort schon dringende E-Mails versandt hatte. „Wenn nun der Server an der Uni zusammenbrechen würde ...‟
Alle sahen sie mich an. „... sie würden mit einiger Wahrscheinlichkeit dorthin gehen.‟ Jonathan McKee verstand sofort. „Ich rufe die Universitätsleitung an.‟
Auf dem Bürgersteig unter den Platanen liefen zwei Cops auf uns zu. Sie schienen es eilig zu haben. Einer von ihnen war der Captain des Reviers von Benson Hurst. Die Cops klapperten seit zwei Stunden die Nachbarschaft der Glendale-Villa ab und befragten die Anwohner.
„’Tschuldigung, Sir.‟ Er wandte sich an Jonathan McKee. „Nachbarn haben gegen viertel nach neun einen dunkelblauen Pick-up wegfahren sehen. Einen Toyota. Angeblich stand er die halbe Nacht in einer Parallelstraße.‟
Er deutete auf das Nachbargrundstück. „Der Besitzer dieses Hauses, ein gewisser McMillan, glaubt, den Pick-up an seinem Grundstück vorbeifahren gesehen zu haben. Kurz vor der Explosion.‟
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