in die Höhe. Es ist des Höchsten nicht so viel über die Erde zerstreut, dass heute ein Volk sagen könnte, wir genügen uns vollständig, oder auch nur: wir bevorzugen das Einheimische, hält man es doch nicht einmal wegen der Industrieprodukte so, sondern greift bei gleicher Qualität, Zoll und Transport mitberechnet, einfach nach dem Wohlfeileren oder bei gleichen Preisen nach dem Besseren. Im geistigen Gebiet muss man einfach nach dem Höheren und Höchsten greifen, das man erreichen kann.
Das wahrste Studium der vaterländischen Geschichte wird dasjenige sein, welches die Heimat in Parallele und Zusammenhang mit dem Weltgeschichtlichen und seinen Gesetzen betrachtet, als Teil des großen Weltganzen, bestrahlt von denselben Gestirnen, die auch anderen Zeiten und Völkern geleuchtet haben, und bedroht von denselben Abgründen und einst heimfallend derselben ewigen Nacht und demselben Fortleben in der großen allgemeinen Überlieferung. Schließlich wird durch das Streben nach reiner Erkenntnis auch die Eliminierung oder Beschränkung der Begriffe Glück und Unglück für die Weltgeschichte notwendig. Die Darlegung, weshalb dies zu geschehen hat, möge dem letzten Kapitel dieses Kursus vorbehalten bleiben; hier aber möge nun zunächst auch von der diesen Mängeln und Gefahren gegenüberstehenden speziellen Befähigung unserer Zeit zum Studium des Geschichtlichen gesprochen werden.
2. Die Befähigung des 19. Jahrhunderts für das historische Studium
Ob wir eine spezifisch höhere geschichtliche Erkenntnis besitzen, lässt sich fragen.
Lasaulx (S. 10) meint sogar, »dass von dem Leben der heutigen Völker Europas bereits so viel abgelaufen sei, dass die nach einem Ziel konvergierenden Direktionslinien erkannt werden, ja Schlüsse auf die Zukunft gezogen werden können.«
Aber so wenig wie im Leben des Einzelnen ist es für das Leben der Menschheit wünschenswert, die Zukunft zu wissen. Und unsere astrologische Ungeduld danach ist wahrhaft töricht.
Ob wir uns das Bild eines Einzelnen vorstellen, der z. B. seinen Todestag und die Lage, in der er sich dann befinden würde, vorauswüsste, oder das Bild eines Volkes, welches das Jahrhundert seines Untergangs vorauskennte, beide Bilder müssten als notwendige Folge eine Verwirrung alles Wollens und Strebens zeigen, welches sich nur dann völlig entwickelt, wenn es »blind«, d. h. um unsrer selbst willen, den eigenen inneren Kräften folgend, lebt und handelt. Die Zukunft bildet sich ja nur, indem dies geschieht, und wenn es nicht geschähe, so würden auch Fortgang und Ende des Menschen oder Volkes sich anders gestalten. Eine vorausgewusste Zukunft ist ein Widersinn.
Abgesehen von der Nichtwünschbarkeit ist das Voraussehen des Künftigen für uns aber auch nicht wahrscheinlich. Vor allem stehen ihm die Irrungen der Erkenntnis durch unser Wünschen, Hoffen und Fürchten im Wege, sodann unsere Unkenntnis alles dessen, was man latente Kräfte, materielle wie geistige, nennt, und das Unberechenbare geistiger Kontagien, welche plötzlich die Welt umgestalten können. Ferner kommt hier auch die große akustische Täuschung in Betracht, in der wir leben, insofern seit vierhundert Jahren die Reflexion und ihr Räsonnement, durch die Presse bis zu völliger Ubiquität verstärkt, mit ihrem Lärm alles übertönt und scheinbar auch die materiellen Kräfte völlig von sich abhängig hält, und doch sind diese vielleicht ganz nahe an einer großen siegreichen Entfaltung anderer Art, oder es wartet eine ganz entgegengesetzte geistige Strömung vor der Tür. Siegt dann diese, so nimmt sie die Reflexion samt deren Trompeten in ihren Dienst, bis wiederum auf ein Weiteres. Endlich mögen wir uns, auch was die Zukunft betrifft, unserer geringen Kenntnis der Völkerbiologie von der physiologischen Seite bewusst sein.
Wohl aber ist unsere Zeit zur Erkenntnis der Vergangenheit besser ausgerüstet als eine frühere.
Als äußere Förderungen hat sie hierbei die Zugänglichkeit aller Literaturen durch das viele Reisen und Sprachenlernen der neueren Welt und durch die große Ausbreitung der Philologie, ferner die Zugänglichkeit der Archive, die dem Reisen verdankte Zugänglichkeit der Denkmäler vermittelst der Abbildungen, zumal der Fotografien, die massenhaften Quellenpublikationen durch Regierungen und Vereine, die jedenfalls vielseitiger und mehr auf das Geschichtliche als solches gerichtet sind, als dies bei der Kongregation von St. Maur und bei Muratori der Fall war.
Dazu kommen innere Förderungen, und zwar zunächst negativer Art.
Dazu gehört vor allem die Indifferenz der meisten Staaten gegen die Resultate der Forschung, von welcher sie für ihren Bestand nichts fürchten, während ihre dermalige zeitliche Form (die Monarchie) unendlich viel nähere und gefährlichere Feinde hat, als jene je werden kann, überhaupt die allgemeine Praxis des laisser aller et laisser dire, weil man noch ganz anderes aus der täglichen Gegenwart in jeder Zeitung passieren lassen muss. (Und doch ließe sich behaupten, dass Frankreich die Sache zu leicht genommen hat. Der radikale Zweig seiner Historiographie hat eine große Einwirkung auf die seitherigen Tatsachen geübt6).
Sodann ist hier auch auf die Machtlosigkeit der bestehenden Religionen und Konfessionen gegenüber jeder Erörterung ihrer Vergangenheit und ihrer jetzigen Lage hinzuweisen. Eine gewaltige Forschung hat sich der Betrachtung jener Zeiten, Völker und Zustände zugewandt, wo sich die ursprünglichen Vorstellungen bildeten, von welchen die Religionen mitbestimmt oder geschaffen worden sind. Eine große vergleichende Mythologie, Religions- und Dogmengeschichte ist auf die Länge nicht auszuschließen gewesen.
Und nun die Förderungen positiver Art: Vor allem haben die gewaltigen Änderungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts etwas in sich, was zur Betrachtung und Erforschung des Früheren und des Seitherigen gebieterisch zwingt, selbst abgesehen von aller Rechtfertigung oder Anklage. Eine bewegte Periode wie diese dreiundachtzig Jahre Revolutionszeitalter, wenn sie nicht alle Besinnung verlieren soll, muss sich ein solches Gegengewicht schaffen.
Nur aus der Betrachtung der Vergangenheit gewinnen wir einen Maßstab der Geschwindigkeit und Kraft der Bewegung, in welcher wir selber leben.
Sodann gewöhnte das Schauspiel der Französischen Revolution und ihre Begründung in dem, was vorhergegangen, den Blick an die Erforschung nicht bloß materieller, sondern vorzugsweise geistiger Kausalitäten und an deren sichtbares Umschlagen in materielle Folgen. Die ganze Weltgeschichte, soweit die Quellen reichlicher fließen, könnte eben dasselbe lehren, allein diese Zeit lehrt es am unmittelbarsten und deutlichsten. Es ist also ein Vorteil für die geschichtliche Betrachtung heutiger Zeit, dass der Pragmatismus viel höher und weiter gefasst wird als früher. Die Geschichte in Auffassung und Darstellung ist unendlich interessanter geworden.
Dazu haben sich durch den Austausch der Literaturen und durch den kosmopolitischen Verkehr des 19. Jahrhunderts überhaupt die Gesichtspunkte unendlich vervielfacht. Das Entfernte wird genähert; statt eines einzelnen Wissens um Kuriosa entlegener Zeiten und Länder tritt das Postulat eines Totalbildes der Menschheit auf.
Endlich kommen hierzu die starken Bewegungen in der neueren Philosophie, bedeutend an sich und beständig verbunden mit allgemeinen weltgeschichtlichen Anschauungen. So haben die Studien des 19. Jahrhunderts eine Universalität gewinnen können wie die früheren nie.
3. Winke für das historische Studium
Was aber ist nun unsere Aufgabe bei der Enormität des geschichtlichen Studiums, das sich über die ganze sichtbare und geistige Welt erstreckt, mit weiter Überschreitung jedes früheren Begriffs von »Geschichte«?
Zur vollständigen Bewältigung würden tausend Menschenleben mit vorausgesetzter höchster Begabung und Anstrengung lange nicht ausreichen.
Denn tatsächlich herrscht die stärkste Spezialisierung bis in Monographien über die kleinsten Einzelheiten hinein. Wobei auch sehr wohlmeinenden Leuten bisweilen jeder Maßstab abhandenkommt, indem sie vergessen, welche Quote seines Erdenlebens ein Leser (der nicht ein bestimmtes persönliches Interesse am Gegenstand hat) auf ein solches Werk wenden kann. Man sollte bei Abfassung einer Monographie jedes Mal Tacitus’ Agricola neben sich haben und sich sagen: je weitläufiger, desto vergänglicher.
Schon jedes Handbuch über eine einzelne Epoche oder über einen einzelnen Zweig des geschichtlichen Wissens weist in eine Unendlichkeit von ermittelten Tatsachen hinein. Ein verzweiflungsvoller