Thomas von Aquin

Über das Seiende und das Wesen


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der Städte und des Geldwesens, sondern auch die Etablierung der Intelligenz als einer relativ eigenständigen gesellschaftlichen Kraft durch die Universitäten. Für die Laufbahn des Thomas waren zwei denkwürdige Begegnungen entscheidend: In Neapel kam der Student der »freien Künste« mit dem Bettelorden der »Predigerbrüder« (Dominikaner) in Kontakt. Der spanische Kanoniker Dominikus Guzmán (1170 / 71–1221) hatte als Reaktion auf die unerbittliche Verfolgung der Katharer durch die Kirche diese Ordensgemeinschaft gegründet, die – wie die zeitgleich entstandenen Franziskaner – ein evangeliumsgemäßes Leben ohne Besitz anstrebte. Der kirchlichen Verfolgung häretischer Bewegungen setzten die Dominikaner allerdings die intellektuelle Auseinandersetzung entgegen. Bewusst gingen sie an die jungen Universitäten jener Zeit, um ihren Beitrag zu einer denkerischen Durchdringung des christlichen Glaubens zu leisten. Gegen den heftigen Widerstand seiner Familie schloss sich Thomas dem »Ordo praedicatorum« an, wo er bald zum überragenden Theologen seiner Zeit aufsteigen sollte.

      Die zweite denkwürdige Begegnung in Neapel war die mit dem großen antiken Philosophen Aristoteles (im Werk des Thomas stets als »Der Philosoph« tituliert). Erst über den Umweg arabischer Intellektueller wurde dem Abendland das Werk des Aristoteles neu erschlossen. Bislang war wenig mehr als die Logik bekannt gewesen. Insbesondere Averroes (Ibn Rushd, 1126 –1198), der eine Reihe von Kommentaren zu den aristotelischen Schriften verfasst hat (und von Thomas schlicht »Der Kommentator« genannt wird), und Avicenna (Ibn Sina, 980 –1037) sind hier zu nennen. Das rationale Weltbild des Aristoteles wurde für eine »fides quaerens intellectum«, eine intellektuelle Glaubensverantwortung jener Tage, zur eigentlichen Herausforderung.

      Bald schon wurde der junge Thomas von seinem Orden nach Paris geschickt, um hier seine akademische Laufbahn zu beginnen. Den Gepflogenheiten der damaligen Zeit entsprechend begann er zuerst als baccalaureus biblicus – heute würde man sagen: als wissenschaftlicher Assistent, der biblische Vorlesungen zu halten hatte –, um sich dann als baccalaureus sententiarum den damals als Kernstück des theologischen Kanons geltenden »Sentenzen« des Petrus Lombardus zu widmen. Die Krönung seiner wissenschaftlichen Laufbahn war schließlich die Ernennung zum »Magister« (was heute einem ordentlichen Universitätsprofessor entspricht) im Jahr 1257.

      De ente et essentia hat Thomas (etwa im Zeitraum von 1252 bis 1254) als »wissenschaftlicher Assistent« verfasst. Es ist also ein Frühwerk. Adressat dieses kleinen Traktats waren seine Mitbrüder im Orden, denen er die philosophischen Grundlagen seiner Theologie darlegte. Freilich setzt De ente et essentia bereits einiges an Kenntnissen voraus, etwa die aristotelische Logik.

      Die Wirkungsgeschichte des Thomas von Aquin ist atemberaubend. Nachdem er im Mittelalter zunächst im Schatten des dominierenden, vor allem in der franziskanischen Schule gepflegten nominalistischen Denkens stand, erlebte er im 16. Jahrhundert durch die großen Theologen des Jesuitenordens eine erstaunliche Renaissance. Papst Leo XIII. (1878–1903) schließlich erklärte den Thomismus zur verbindlichen philosophischen Grundlage des katholischen Glaubens – was allerdings zur Entwicklung eines allzu engstirnigen Thomismus beitrug. Nicht zuletzt Karl Rahners »Transzendentaltheologie« hat diesen Thomismus überwunden und Thomas mit neuzeitlichen philosophischen Denkansätzen (Kant, Maréchal, Heidegger etc.) versöhnt. Er hat damit genau das für die Gegenwart geleistet, was Thomas für seine eigene Zeit intendiert hatte.

      Ein Zeugnis für eine davon völlig unabhängige Aneignung des thomasischen Denkens im 20. Jahrhundert gibt nicht zuletzt die an der Phänomenologie Edmund Husserls geschulte Philosophin Edith Stein. Der deutsche Text ist hier in ihrer ebenso sprachlich eleganten wie präzisen Übersetzung wiedergegeben. Neben De ente et essentia hat Edith Stein eine bis heute unübertroffene Übersetzung der Quaestiones disputatae de veritate (s. Anm. 12) vorgelegt. Steins Beschäftigung mit diesem kleinen Traktat des Thomas findet ihren Niederschlag im philosophischen Hauptwerk der Märtyrerphilosophin aus dem Karmeliterorden, Endliches und ewiges Sein. Sie legt nicht zuletzt im Anschluss an Thomas‘ kleine Schrift das Sein im Sinne der Analogielehre ihres jesuitischen Mentors Erich Przywara aus. Die Aktualität des Thomas von Aquin für heutiges philosophisches und theologisches Nachdenken könnte kaum besser dokumentiert werden.

      Bruno Kern

      PROOEMIUM

      (1) Quia parvus error in principio magnus est in fine, secundum Philosophum in I Caeli et mundi, ens autem et essentia sunt quae primo intellectu concipiuntur, ut dicit Avicenna in principio suae Metaphysicae, ideo ne ex eorum ignorantia errare contingat, ad horum difficultatem aperiendam dicendum est quid nomine essentiae et entis significetur et quomodo in diversis inveniatur et quomodo se habeat ad intentiones logicas, scilicet genus, speciem et differentiam.

      (2) Quia vero ex compositis simplicium cognitionem accipere debemus et ex posterioribus in priora devenire, ut, a facilioribus incipientes, convenientior fiat disciplina, ideo ex significatione entis ad significationem essentiae procedendum est.

      EINLEITUNG

      Nutzen und Notwendigkeit dessen, was gesagt werden soll: seine Schwierigkeit und die Ordnung