Weil ein kleiner Irrtum im Anfang, nach dem Philosophen, im ersten Buch Über Himmel und Erde, einen großen am Ende bedeutet, Seiendes und Wesen aber das sind, was zuerst vom Erkenntnisvermögen erfasst wird, wie Avicenna in der Metaphysik sagt, darum muss zuerst, damit wir nicht durch Unkenntnis dieser in Irrtum verfallen, um ihre Schwierigkeit aufzudecken, gesagt werden, was mit dem Wort Wesen und Seiendes bezeichnet wird, wie sie sich in den verschiedenen Dingen finden und wie sie sich zu den logischen Intentionen verhalten, nämlich zu den Gattungen, Arten und unterscheidenden Merkmalen.
(2) Wir müssen nämlich von den zusammengesetzten Dingen aus die Erkenntnis der einfachen erlangen und von den späteren zu den früheren fortschreiten, damit wir mit dem Leichteren anfangen und so den Lernstoff zuträglicher gestalten. Deshalb gilt es, von der Bedeutung des Seienden zur Bedeutung von Wesen voranzuschreiten.*
*)Der Absatz 2 fehlt in Edith Steins Übersetzung und wurde von mir ergänzt; B.K.
CAPITULUM PRIMUM
(3) Sciendum est igitur quod, sicut in V Metaphysicae Philosophus dicit, ens per se duplicitur dicitur, uno modo quod dividitur per decem genera, alio modo quod significat propositionum veritatem. Horum autem differentia est quia secundo modo potest dici ens omne illud, de quo affirmativa propositio formari potest, etiam si illud in re nihil ponat. Per quem modum privationes et negationes entia dicuntur dicimus enim, quod affirmatio est opposita negationi et quod caecitas est in oculo. Sed primo modo non potest dici ens nisi quod aliquid in re ponit. Unde primo modo caecitas et huius modi non sunt entia.
(4) Nomen igitur essentiae non sumitur ab ente secundo modo dicto, aliqua enim hoc modo dicuntur entia, quae essentiam non habent, ut patet in privationibus; sed sumitur essentia ab ente primo modo dicto. Unde Commentator in eodem loco dicit quod ens primo modo dictum est »quod significat essentiam rei«. Et quia, ut dictum est ens hoc modo dictum dividitur per decem genera, opportet, quod essentia significet aliquid commune omnibus naturis, per quas diversa entia in diversis generibus et speciebus colocantur, sicut humanitas est essentia hominis, et sic de aliis.
(5) Et quia illud, per quod res constituitur in proprio genere vel specie, est hoc quod significatur per definitionem indicantem quid est res, inde est quod nomen essentiae a philosophis in nomen quidititas mutatur. Et hoc est quod Philosophus frequenter nominat »quod quid erat esse«, id est hoc, per quod aliquid habet esse quid. Dicitur etiam forma secundum quod per formam significatur certitudo uniuscuiusque rei, ut dicit Avicenna in II Metaphysicae suae. Hoc etiam alio nomine natura dicitur accipiendo naturam secundum primum modum illorum quattour, quos Boethius in libro De duabus naturis assignat, secundum scilicet quod natura dicitur omne illud quod »intellectu quoque modo capi potest«. Non enim res et intelligibilis nisi per definitionem et essentiam suam. Et sic etiam Philosophus dicit in V Metaphysicae quod omnis substantia est natura. Tamen nomen naturae hoc modo sumpto videtur significare essentiam rei, secundum quod habet ordinem ad propriam operationem rei, cum nulla res propria operatione destituatur. Quiditatis vero nomen sumitur ex hoc, quod per definitionem significatur. Sed essentia dicitur secundum quod per eam et in ea ens habet esse.
(6) Sed quia ens absolute et per prius dicitur de substantiis et per posterius et quasi secundum quid de accidentibus, inde est quod essentia proprie et vere est in substantiis, sed in accidentibus est quodammodo et secundum quid.
(7) Substantiarum vero quaedam sunt simplices et quaedam compositae, et in utrisque est essentia, sed in simplicibus veriori et nobiliori modo, secundum quod etiam esse nobilius habent. Sunt enim causa eorum quae composita sunt, ad minus substantia prima simplex, quae Deus est. Sed quia illarum substantiarum essentiae sunt nobis magis occultae, ideo ab essentiis substantiarium compositarum incipiendum est, ut a facilioribus convenientior fiat disciplina.
ERSTES KAPITEL
Die Bedeutung der Worte »Seiendes« und »Wesen«. Die verschiedenen Bezeichnungen für das Wesen.
(3) Man muss wissen, dass, wie der Philosoph* im fünften Buch der Metaphysik sagt, »Seiendes« von ihm in doppeltem Sinn gebraucht wird: In einem Sinn ist es das, was durch die zehn Kategorien eingeteilt wird. Im anderen das, was die Wahrheit von Sätzen bezeichnet. Der Unterschied zwischen beiden ist der, dass im zweiten Sinn seiend alles das genannt werden kann, worüber eine affirmative Aussage möglich ist, auch wenn dadurch nichts an sich Bestehendes gesetzt wird: In diesem Sinne werden auch Mängel und Verneinungen seiend genannt; denn wir sagen, die Bejahung ist der Verneinung entgegengesetzt und die Blindheit ist im Auge. Aber im ersten Sinn kann nur etwas seiend genannt werden, womit etwas an sich Bestehendes gesetzt wird. In diesem ersten Sinn also ist Blindheit und dergleichen nichts Seiendes.
(4) Die Bezeichnung Wesen wird demnach nicht von dem Seienden im zweiten Sinn hergenommen; denn in diesem Sinn wird manches seiend genannt, was kein Wesen hat, wie es bei den Privationen offenbar ist; sondern Wesen wird von dem Seienden im ersten Sinn hergenommen. Darum sagt der Kommentator* an derselben Stelle: Seiend im ersten Sinn wird genannt, was das Wesen eines Dinges bezeichnet. Und weil, wie gesagt, das Seiende in diesem Sinn durch die zehn Kategorien eingeteilt wird, muss das Wesen etwas allen Naturen, durch die die Mannigfaltigkeit des Seienden in verschiedenen Gattungen und Arten gesammelt wird, Gemeinsames sein, wie die Menschlichkeit das Wesen des Menschen ist: und so bei anderen.
(5) Und weil das, wodurch ein Ding in seiner eigentümlichen Gattung oder Art konstituiert wird, das ist, was wir durch die Definition bezeichnen, die angibt, was das Ding ist; daher kommt es, dass die Bezeichnung Wesen von dem Philosophen in die Bezeichnung Washeit umgewandelt wird. Und das ist es, was der Philosoph im siebten Buch der Metaphysik** häufig nennt »was es war (zu) sein«, das heißt das, wodurch etwas ein Wassein hat. Es wird auch Form genannt, sofern durch die Form die Vollkommenheit oder die Bestimmtheit einer Sache bezeichnet wird, wie Avicenna im zweiten Buch seiner Metaphysik sagt. Dies wird auch mit einem anderen Namen als Natur bezeichnet, wenn man Natur in der ersten von jenen vier Bedeutungen nimmt, die Boethius (in der Schrift) Über die beiden Naturen aufstellt, in dem Sinn nämlich, wonach Natur genannt wird, was auf irgendeine Weise mit dem Erkenntnisvermögen erfasst werden kann: Denn erkennbar ist ein Ding nur durch seine Definition und sein Wesen. Und so sagt auch der Philosoph im fünften Buch der Metaphysik, dass jede Substanz eine Natur ist. Das Wort Natur aber, in diesem Sinne genommen, scheint das Wesen des Dinges zu bezeichnen, sofern es eine gesetzliche Beziehung und Hinordnung auf das eigentümliche Wirken des Dinges hat, da kein Ding ohne eigentümliches Wirken ist. Das Wort »Quiddität« aber ist von dem hergenommen, was durch die Definition bezeichnet wird: das Wesen jedoch daher, dass durch es und in ihm das Ding ein Sein hat.
Den Substanzen kommt das Wesen im eigentlichen Sinne zu, den Akzidentien nur in gewisser Hinsicht. Die Wesen der einfachen Substanzen sind höheren Ranges als die der zusammengesetzten. Verschiedene Beweisgründe dafür, dass das Wesen der zusammengesetzten Substanz nicht Materie, nicht Form noch irgendeine gedachte Beziehung zwischen ihnen oder ein zu dem Zusammengesetzten Hinzukommendes, sondern das Zusammengesetzte selbst ist.
(6) Weil aber das Sein absolut und in erster Linie von den Substanzen ausgesagt wird und erst in zweiter Linie und in gewisser Hinsicht von den Akzidentien, daher kommt es, dass das Wesen in eigentlichem Sinn und wahrhaft in den Substanzen ist: in den Akzidentien aber in gewisser Weise und in gewisser Hinsicht.
(7) Von den Substanzen aber sind einige einfach und einige zusammengesetzt, und in beiden ist ein Wesen: in den einfachen aber auf wahrere und höhere Weise, darum weil sie ein höheres Sein haben und auch die Ursache des Zusammengesetzten sind, zum Mindesten die erste und einfache Substanz, welche Gott ist. Doch weil die Wesen dieser Substanzen uns verborgener sind, darum wollen wir mit den Wesen der zusammengesetzten