begann ein neuer Lebensabschnitt, denn er wußte, daß er für Michelle alles zu tun bereit war.
Von Carlos hatten sie nur gehört, daß sein Zustand unverändert kritisch sei, aber er hatte inzwischen auch von Michelles schwerer Erkrankung erfahren. Es war bezeichnend für seinen Charakter, daß er sogleich sagte, daß sie ihn wohl angesteckt hätte, obwohl beide Krankheiten wahrhaftig nicht vergleichbar waren. Aber er war vergrämt und unzufrieden, weil sich niemand um ihn kümmerte und er nur auf die Hilfe von Fremden angewiesen war. Das Schlimmste war, daß er keinen Alkohol bekam.
Endlich gelang es ihm, einen Pfleger mit hundert Euro zu bestechen, damit er ihm eine Flasche Brandy besorgte. Es war nicht der Beste, der ihm gebracht wurde und so setzte er dem Bemühen der Ärzte, sein Leben zu retten, selbst ein Ende. Philipp wurde die Nachricht von seinem Tod übermittelt, als sie auf der Insel der Hoffnung eingetroffen waren.
Michelle war so voller Freude, so angetan von der Schönheit der Insel, von dem herzlichen Empfang durch Dr. Johannes Cornelius und seiner Frau Anne, daß Philipp ihr diese Stimmung nicht verderben wollte. Wozu auch. Es genügte, wenn sie es anderntags erfuhr.
Michelle hatte die Fahrt im Sanitätswagen gut überstanden. Jean Claude war ja bei ihr gewesen. Philipp und Mona waren vorausgefahren mit dem Gepäck. Und alles war schon vorbereitet, als Michelle und Jean Claude dann eintrafen. Auch für ihn war der Eindruck überwältigend. Eine Oase des Friedens war dieses Sanatorium, und sie erfuhren auch, wie es entstanden war, wie die großartige Idee von Dr. Friedrich Norden, Daniels Vater, verwirklicht worden war. Er, der große Menschenfreund, hatte es leider nicht mehr erlebt, aber ihm war damit ein Denkmal gesetzt worden, das für viele Menschen zur letzten Rettung wurde. Hier lernten sie zuerst, daß sie sich nicht aufgeben durften, daß die Kraft ihres Geistes unentbehrlich war, ihr Leiden zu bewältigen.
Dr. Cornelius war gespannt, welche Therapie sein junger Kollege anwenden wollte. Er gewann aber schnell den Eindruck, daß Dr. Duforet genau wußte, was er tun wollte und mußte, und er war völlig einverstanden mit seiner Methode, die mit seinen Heilmitteln zu ergänzen war.
»Ich denke, wir werden uns
gut verstehen«, sagte er zu Jean
Claude.
»Das Gefühl hatte ich sofort«, erwiderte der. »Ich habe inständig gehofft, daß ich einmal eine solche Chance bekommen würde, einen Arzt wie Sie kennenzulernen.«
»Und mich freut es ungemein, einen jungen Kollegen kennenzulernen, der sich nicht nur auf die Schulmedizin versteift und den Mut hat, eine sichere Stellung aufzugeben, um seine Ideen zu verwirklichen. Hier können Sie es, solange Sie wollen.«
Sie reichten sich die Hände. Sie verstanden sich, und Jean Claude hatte das Gefühl, eine geistige Heimat gefunden zu haben.
»Es wäre ein Gottesgeschenk, wenn wir ihn halten könnten«, sagte Hannes Cornelius zu seiner Frau Anne.
»Ich glaube, sein Interesse gilt ausschließlich Michelle«, meinte sie.
»Nicht ausschließlich. Er ist Arzt aus Leidenschaft«, beharrte Hannes Cornelius. »Wir haben eine Wellenlänge.«
Anne wußte nur zu gut, wie sehr er sich einen Partner wünschte, der seinen Vorstellungen entsprach, aber bisher war es ein Wunschtraum geblieben. Welcher junge Arzt wollte denn schon lange hier in der Abgeschiedenheit leben, so schön die Insel auch war. Es war eine Insel, weitab von allem Getriebe, auf der die Ruhelosen, die Schmerzgeplagten finden konnten, was ihnen helfen konnte. Aber ein junger gesunder Mensch hatte wohl andere Vorstellungen vom Leben. Daniel konnte sich ja auch noch nicht entschließen, hier zu leben, aber da ging es ja vor allem auch um die Kinder, die die beste Schulbildung haben sollten. Es ging auch um seine Praxis, seine Patienten, die ihm soviel bedeuteten.
Anne war hier bereits genauso verwurzelt wie ihr Mann, aber für sie war ja die Insel und mit ihr Hannes Cornelius einmal die Rettung in höchster Not gewesen. Sie wollte gar nicht mehr anderswo leben.
Mona sah sich alles genau an. Sie meinte auch, daß hier alles vorhanden war, was zur Genesung und zum inneren Frieden nötig war.
»Beneidenswert, wenn man seinem Beruf in dieser Umgebung nachgehen kann«, sagte sie.
»Aber komm du bitte nicht auf den Gedanken, dich bei Dr. Cornelius zu bewerben«, sagte Philipp. »Du weißt, was wir planen, und auf die lange Bank wird es nicht geschoben.«
Michelle schlief bereits in einem breiten Bett, das in einem behaglichen Raum stand, der von den herrlichen Düften, die die vielfältigen Pflanzen auf der Insel verströmten, erfüllt war.
Mona und Philipp verabschiedeten sich. Sie wußten Michelle in den besten Händen. Sie fuhren heim. Es gab manches zu erledigen. Jean Claude würde es übernehmen, Michelle von Carlos Dorants Tod zu unterrichten.
Es war vielleicht besser so, wenn das ein Außenstehender tat, der ohne Aggressionen war.
Sie konnten nicht ahnen, wieviel Michelle dem jungen Arzt schon bedeutete, wie sehr er sich ihr bereits verbunden fühlte.
Jean Claude schaute nach Michelle. Sie schlief ganz ruhig. Ihr Gesicht war entspannt, es war nicht mehr so blaß und der Mund war weich und schien zu lächeln.
Er ging wieder zu den Cornelius’, denn es gab noch manches zu besprechen. Er wollte Anne fragen, ob sie bereit sei, die Einreibungen bei Michelle zu übernehmen.
»Gern, aber warum tun Sie es nicht selbst?« fragte sie.
Er wurde sehr verlegen. »Ich glaube nicht, daß es Michelle recht wäre.« Anne warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu, der bedeutete, daß sie mal wieder recht hatte. Jean Claude sah in Michelle nicht nur die Patientin.
»Ich bin sehr froh, daß Sie meine Methode nicht belächeln«, lenkte Jean Claude schnell ab.
»Damit würden wir uns ja selbst auch belächeln«, meinte Hannes Cornelius. »Unsere Heilmethoden entsprechen auch nicht immer den überlieferten Vorstellungen, und unsere Tees werden nach uralten Rezepten hergestellt. Und dann haben wir ja auch noch unsere Quelle. Die Quelle der Liebe wurde sie getauft. Wenn Sie sich Zeit nehmen wollen, die Chronik zu lesen, werden Sie manches finden, was Spötter als Hokuspokus bezeichnen und was doch oft Wunder vollbracht hat. Manchmal konnten wir es selbst nicht glauben, was wir erleben durften, wie zum Beispiel bei unserer Katja, die so lange an den Rollstuhl gefesselt war und eines Tages doch aufstand und gehen konnte, geheilt von der Macht der Liebe.«
»Und durch deine Therapie, Hannes, das wollen wir nicht vergessen.«
»Ich schöpfe doch auch jeden Tag aus den Kräften der Natur, die uns so viele Möglichkeiten bietet, wenn wir sie richtig zu nutzen verstehen. Und in Verbindung mit unserer Schulmedizin können wir dadurch manches möglich machen, was unmöglich schien. Daß Obstessig eine große Wirkung haben kann, weiß ich auch, aber was ist das für eine Essenz?«
»Das verrät meine Großmutter nicht. Sie ist besorgt, daß es in die falschen Hände gelangen und vermarktet werden könnte, nicht mit der gleichen Sorgfalt hergestellt und auch nicht mehr so wirkungsvoll. Und es hat sich ja auch immer erwiesen, daß Geschäftemacherei viel zerstört.«
»So steht es auch in unserer Chronik«, sagte Hannes. »Als der fürstliche Herr von der Heilkraft der Quelle erfuhr, wollte er für jeden Becher Geld, und da versiegte die Quelle. Erst unser Sohn Mario hat sie wieder entdeckt. Wir passen auf, daß sich niemand durch sie bereichert. Sie wird nur unseren Patienten verabreicht.«
»Ab und zu trinken wir aber auch mal ein Schlückchen«, sagte Anne lächelnd. »Und wenn man in einer Vollmondnacht um Mitternacht zu der Quelle geht und sich etwas wünscht, was nicht mit Geld und Gut zu tun hat, geht es in Erfüllung.«
»Dafür gibt es Beweise«, warf Hannes ein. »Und so mancher hat auf der Insel sein Lebensglück gefunden.«
»Sie hat ihren ganz besonderen Zauber«, sagte Jean Claude gedankenvoll. »Ich dachte nicht, daß es in dieser lauten Welt noch so etwas gibt.«
»Es freut uns, daß Sie sich wohl fühlen«, sagte Anne.
»Ich