Ludwig Hirschfeld

Wien


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zähes Stück zu bringen. Auch alle Naturbraten kann man unbedenklich essen, besonders Nierenbraten und Schweinskarree. Dagegen warne ich Neugierige vor dem ungarischen Rebhuhn, das durch seinen wohlfeilen Preis schon manchen arglosen Fremden in eine Kalbssulze hineingelockt hat, und vor dem griechischen Beefsteak, denn eine Wochenschau genießt man besser im Kino. Eine rätselhafte Inschrift ist auch: »Kalbsvögerl à la Champignon«. Der Kellner wird Ihnen die tiefsinnige Erläuterung geben: »Das ist so mit Champignon.« Die Gemüse sind gut gemeint, aber für Ihren Geschmack zu stark eingebrannt, d. h. mit geröstetem Mehl versetzt. Die Mehlspeisen gliedern sich in warme Mehlspeisen und »Bäckereien«, wie man hier so liebenswürdig unrichtig sagt. Apfel-, Topfen-, Milchrahmstrudel sind Ihnen wohl bekannt. Aber wie soll ich Ihnen die Powidlbuchteln definieren? Doch nicht so grausam wie Baedeker: »Hefeteigküchlein mit Obstlatwerge gefüllt.« Das klingt ganz medizinisch, aber Buchteln holt man doch nicht aus der Apotheke. Es ist überhaupt, wie ich jetzt sehe, gar nicht so einfach, die Wiener Speisenkarte zu verdeutschen. Da muss man sich durchessen. Bestellen Sie sich ja nicht Wienertascherl, ein Backwerk, das meistens seit der Gründung des Lokals vorrätig ist und auch kein Obst, kein Kompott, denn auf diese Genüsse sind in den Wiener Gasthäusern aus unbekannten Gründen die schwersten Geldstrafen gesetzt.

      Trinkzwang besteht in den Wiener Gasthäusern nicht, doch sind Wassertrinker unbeliebt. Bestellen Sie ein kleines Bier oder einen »Gspritzten«, eine Mischung von Weißwein und Sodawasser, die leichter zu trinken als auszusprechen ist. Wenn Sie schließlich Ihre Rechnung begleichen wollen, so rufen Sie eine halbe Stunde vorher: »Zahlen!« Auch dieser Ruf wird sich wieder von einem Kellnermund zum anderen fortpflanzen, ohne anderen Effekt als den, dass der Zahlkellner daraufhin die Flucht ergreift. Aber Sie brauchen nur den Überrock anzuziehen und der Zahlkellner ist schon da. Um Gottes willen, sagen Sie nur ja jedes »Brot« (nämlich Brötchen) an, das Sie verzehrt haben, denn diese kleinliche Tradition ist auch vom Umsturz unberührt geblieben. Und erschrecken Sie nicht, wenn sich hinter dem Zahlkellner der Speisenträger und der Pikkolo mit hypnotischen Trinkgeldblicken aufpflanzen. Auch das Dreikellner- und Dreitrinkgeldsystem hat das habsburgische System überdauert. Und lassen Sie sich nichts von Ihrem Reisehandbuch einreden: Man gibt zehn Prozent der Zeche. Ja, wenn man ein Schmutzian ist. Bei einer Zeche von sechs Schilling gibt man dem Zahlkellner 40 Groschen (vier Nickelstücke) und hinterlässt auf dem Tische in zwei getrennten Häufchen 30 Groschen für den Speisenträger, 10 Groschen für den Pikkolo. Dafür wird Ihnen dann bei Ihrem Abgang ein überzeugtes »Habe die Ehre gute Nacht zu wünschen, Herr Doktor«, nachklingen, auch wenn Sie wie ein Analphabet aussehen. Das ist doch sehr nett, nicht?

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       Professor Mac Callum, der Radioliebling von Wien

      Ich denke, für heute haben wir genug gegessen. Mir scheint, die gnädige Frau ist sogar schläfrig. Tun Sie sich keinen Gähnzwang an. Kunstwandern ermüdet immer. Wissen Sie was: In Ihrem Hotelzimmer haben Sie doch ein Radio, gleich beim Bett. Sie scheinen keine begeisterte Radiohörerin zu sein? Ich will Ihnen ja etwas spezifisch Wienerisches und Lustiges empfehlen, und das ist merkwürdigerweise etwas Englisches. Der Professor Mac Callum und seine Radiokurse sind nämlich eine berühmte Wiener Spezialität, und seine Vorträge haben den größten Zulauf, oder richtiger gesagt: Zuhorch. Professor Mac Callum spricht um halb acht. Jetzt, um halb elf können Sie gerade die »leichte Abendmusik« hören: die Kapelle Silving oder die Jazzband aus dem Bristol. Sehr hübsch und dabei schläft man angenehm ein. Wir Männer gehen noch nicht schlafen. Bummeln, das Laster inspizieren? Oh nein, das liegt uns fern. Als moderne Geldmenschen sind wir mehr für den bargeldlosen Verkehr. Der Herr Gemahl hat nur noch ein bisschen Durst und diese Wein- und Bierlokale sind wirklich nichts für Damen. Küss’ die Hände, gute Nächte!

      Also, RATHAUSKELLER? Die von Wiener Künstlern ausgeschmückten gemütlichen Räume haben echte Trinkstimmung, und der Wein ist gut. Wenn Sie noch volkstümlicher sein wollen, dann müssen wir in den ALTEN HOFKELLER in der Hofburg gehen oder in den KLOSTERNEUBURGER STIFTSKELLER in der Renngasse und uns ein Viertel Prälatenwein kaufen. Wenn Sie aber den Wein in einem ganz eigenartigen Milieu trinken wollen, dann steigen wir in den jahrhundertealten, viele Stockwerke tiefen ZETTKELLER oder URBANI-KELLER am Hof hinunter. In diesen katakombenartigen Nischen ist es so dunkel, dass nicht einmal der Schwerbezechte etwas doppelt sehen kann. Und das Hinaufklettern mit einem Liter gerebeltem Gumpoldskirchner im Leibe ist auch kein Spaß.

      Ach so, Sie haben mehr Bierdurst? Da ist die Auswahl nicht so groß, denn die berühmten historischen Bierbeisl sterben aus: der ROTE IGEL am Wildbretmarkt, wo Johannes Brahms seinen Stammtisch hatte, das WINTERBIERHAUS, wo Ludwig Speidel, Wiens kunstkritisches Gewissen, Schwechater Lager trank, und der KÜHFUß in der Naglergasse, wo Paul Schlenther sich wohler fühlte als auf dem Direktionssessel des Burgtheaters. Da gibt’s eigentlich nur noch zwei Ziele: die BIERKLINIK in der Steindlgasse oder das berühmte GRIECHENBEISL in der Griechengasse beim Fleischmarkt. Das muss man gesehen, dort muss man getrunken haben. Es befindet sich beim Fleischmarkt, dem orientalischen Viertel Wiens, zwischen einem türkischen Tempel und einer griechischen Kirche, in der unheimlich engen Griechengasse, wo die Häuser noch durch Schwibbogen miteinander verbunden sind. Auch drin ist eine weihevolle Stimmung, in den vielen winzigen und niederen Zimmern und eine unmögliche, rauchig dunstige Luft. Aber sitzen Sie nur erst drei, vier Stunden hier, wie diese würdigen, zumeist den geistigen Berufen angehörenden älteren Herren und Sie spüren nichts mehr davon. Sitzen Sie an diesen ungedeckten Tischen und essen Sie eine pikante Kleinigkeit, denn hier ist das Trinken die Hauptsache. Hier hat das Bier noch Kellertemperatur und den dicken Schaum. Hier trinkt man nicht ein oder zwei Krügel, sondern Serien, deren Zahl man durch hingelegte Zündhölzchen festhält. Hier tauchen noch in regelmäßigem Turnus die Altwiener Hausierergestalten auf: der »Gottscheber« (der aus der »Gottschee« in Krain stammt), bei dem man auf den Gewinn von Zuckerln und Südfrüchten spielen kann, der Karamellmann, die närrische Blumenverkäuferin, die zu Ihnen »Goldengerl« oder »Schöner junger Herr« sagt und der Händler mit pikanten Büchern. Hier sitzt man lange, zieht an Virginierzigarren, schweigt, raucht, spuckt und trinkt. Hier scheint das Leben still zu stehen, nur das Bier fließt frisch. Hierher hat sich das gestrige und gewesene Wien zurückgezogen und im Bierdusel einnickend, stirbt es hier aus. Echteres Alt-Wien kann ich dir, oh Fremdling, nicht zeigen und darum genieße es mit Ehrfurcht: Jahrhundertealte Räusche blicken auf dich herab …

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       Stammtisch im Griechenbeisl

      KAFFEEHAUSKULTUR

      »Wiener Kaffeehaus« als Begriff. – Anleitung zum Kaffeetrinken. – Der Markör als Menschenkenner. – Alte und neue Lokale. – Theater- und Literaturkaffeehäuser.

      Das ist auch eines von den Schlagworten, die seit undenklichen Zeiten mit dem Begriff »Wien« verknüpft sind. Wenn von Wien die Rede ist, denkt man dabei sofort an gewisse typische Dinge: Wiener Musik, Wiener Gebäck, Wiener Kaffeehaus. Das gehört zu unseren Spezialitäten, und Spezialitäten werden immer gern nachgemacht, natürlich meistens schlecht. Sie, gnädige Frau, sind dazu noch zu jung, aber der Herr Gemahl wird sich bestimmt erinnern, auf seinen Reisen in Europa Lokale gefunden zu haben, die die lockende Bezeichnung trugen: Wiener Kaffeehaus. Was natürlich in den meisten Fällen eine glatte Falschmeldung ist. Weil dort ein aus Wien, vielleicht aber nur aus St. Pölten stammender Kellner bedient, weil der Milchkaffee als »Melange« in Gläsern serviert wird, deshalb bilden sich diese Lokale ernstlich ein, Wiener Kaffeehäuser zu sein. Aber wie unähnlich sind sie dem Original. Nein, nach diesen Imitationen dürfen Sie sich kein Bild vom Wiener Kaffeehaus machen, denn das ist eine Einrichtung, die sich überhaupt nicht imitieren lässt, weil sie nicht von gestern auf heute entstanden ist, sondern aus alten Gewohnheiten und Traditionen heraus. Und von aller alten Kultur, die uns so gern nachgerühmt wird, ist vielleicht unsere Kaffeehauskultur die echteste und wienerischste.

      Bemerken Sie, wie meine Brust ausnahmsweise von lokalpatriotischem Stolz geschwellt ist? Auf unsere Kaffeehäuser können wir uns nämlich wirklich etwas einbilden. Sie sind etwas so Nettes, Hübsches und Behagliches und vor allem etwas ganz Eigentümliches,