den jeweiligen Stand der deutsch-deutschen Geheimgespräche auszuhorchen. So hatte Wolf, keineswegs der engagierte Reformer, als er sich nach der Wiedervereinigung ausgab, den Hardlinern in Moskau und Ostberlin stets frische Nachrichten über die deutsch-deutsche Affäre zu bieten und ihnen die Obstruktion zu erleichtern.
Doch plötzlich, Andeutungen aus Ostberlin über die Flick-Schmierereien genügten, waren humanitäre Gegenleistungen der DDR nicht mehr nötig. Franz Josef Strauß und Helmut Kohl schoben, ohne Bedingungen, Erich Honecker zwei Milliarden D-Mark an Krediten hin. Einfach so? Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt schrieb nach einem Besuch im September 1983 beim DDR-Staatsratsvorsitzenden, der habe ihm erklärt, man sei an den Milliardenkredit »wie die Jungfrau zum Kind« gekommen. Oder vielleicht doch nicht in aller Unschuld? Sondern weil der SED-Chef so viel wusste vom Klassenfeind, dank Kanter, und sich »politische Rücksichtnahme« auf die geschmierten westdeutschen Politiker abkaufen ließ?
VIERTES KAPITEL
Der Brandenburger
»Führung: sehr gut«: Frühe Werdejahre eines Topspions.
»Mein Lebenslauf!
Als Sohn der Eheleute Josef Kanter und Maria geborene Hartung, wurde ich am 27. März 1925 in Plaidt (Kreis Mayen) geboren. Nach der Volksschulzeit (8 Jahre Marienschule Andernach) absolvierte ich eine dreijährige kaufmännische Lehre bei der Pirma Photodrogerie Heinrich Neuhaus, Andernach, die durch den Besuch der Drogistenfachschule in Bonn ergänzt wurde. Im März 1942 legte ich mit Erfolg die Kaufmannsgehilfenprüfung ab. Vom 1. April 1942 bis zu meiner Einberufung im Juni 1943 war ich als kaufm. Angestellter bei der Pirma Eisen- und Hüttenwerke A.G. in Andernach. Nach einer zweijährigen Dienstzeit bei der ehem. Deutschen Wehrmacht, und einer dreimonatigen amerikanischen Gefangenschaft, wurde ich im Juli 1945 entlassen. Seit dem 3. März 1946 bin ich bei der Regierung Koblenz, Dezernat I. – Verkehr, angestellt. Adolf Kanter«
Der kleine Parkplatz mitten in Plaidt, dort wo die Mühlenstraße auf die Hauptstraße trifft, ist für die älteren Bürger des Städtchens über dem Rheintal immer noch »Kanter’s Eck«. Dort stand das Haus samt Schlachterei des aus Niederzibelle im Regierungsbezirk Liegnitz zugezogenen Metzgers Theodor Julius Kanter, der sich im Ort mit seinen vorzüglichen schlesischen Wurstwaren einen Namen gemacht hatte. Sein Sohn Julius Adolf erlernte ebenfalls den Metzgerberuf, übernahm das Geschäft, fand in der Nachbargemeinde Wolken seine Ehefrau Maria Anna, die ihm 1925 den Sohn Adolf Josef Kanter gebar.
Das Jahr 1941 brachte schwere Prüfungen für die streng katholische Familie: Julius Adolf Kanter fiel im Zweiten Weltkrieg; das Haus der Kanters sackte ab wegen eines Stolleneinsturzes im Tuffuntergrund, es musste abgerissen werden. Der 16-jährige Adolf, die verwitwete Mutter und Schwester Agnes zogen um ins nahe Andernach.
Der schlaksige Brillenträger kannte sich gut aus in dem verwinkelten, über 2.000 Jahre alten Ort am linken Rheinufer. Hier hatte er es bei der Hitlerjugend (HJ) zum Oberrottenführer gebracht. Sein bester Kamerad war Werner Spurzem, Drogerielehrbub wie er, gefallen 1944. Hier war Kanter auf die Volksschule gegangen, hatte ihm Schulleiter Rausch 1939 zum Abschluss ein vorzeigbares Zeugnis ausgestellt: Führung: sehr gut, Fleiss: gut, Religion-Katechismus: gut, – Bibl. Geschichte: gut, Deutsch, a) mündlich: gut b) schriftlich: gut, Geschichte: gut, Erdkunde: gut, Naturkunde: gut, Rechnen: gut, Raumlehre: gut, Handschrift: gut, Zeichnen: gut, Musik: gut, Turnen: befriedigend, Schwimmen: ./., Werkunterricht: gut.
Lob für den braven Jungen kam ebenfalls vom Lehrherrn. Der Drogist Heinrich Neuhaus schrieb ihm 1942 ins Lehrlingszeugnis: »Adolf Kanter wurde beschäftigt im Laden, Lager, Büro und Dunkelkammer. Die ihm übertragenen Arbeiten hat er zu meiner vollen Zufriedenheit ausgeführt, […] (er) verband Treue und Fleiss bei sehr gutem Betragen. Für sein ferneres Wohlergehen wünsche ich ihm das Beste.«
»Sein Betragen war jederzeit einwandfrei«, testierten ihm 1943 vor Antritt des Militärdienstes auch die Eisen- und Hüttenwerke Andernach. Er hatte dort seine erste Stelle erhalten, für 1.000 Reichsmark im Monat. »Er war als kaufm. Angestellter auf dem Lohnbüro beschäftigt, wo er zuletzt die Lohnabrechnungen verschiedener Betriebsabteilungen selbständig erledigte. Herr Kanter war fleissig und gewissenhaft und hat die ihm übertragenen Arbeiten zu unserer größten Zufriedenheit ausgeführt.«
Wie gut sich Kanter darauf verstand, dunkle Wesenszüge zu verbergen, belegt auch das »Dienstleitungszeugnis« des Koblenzer Regierungspräsidenten, ausgestellt am 10. Oktober 1947. Über den ersten Nachkriegsjob des Heimkehrers steht dort: »Der Reg.-Angestellte Adolf Kanter ist seit dem 3. März 1946 beim Dezernat I Verkehr beschäftigt. Sein Tätigkeitsgebiet erstreckt sich auf die Bearbeitung von Kassenangelegenheiten, Führung der Registratur und Erledigung der allgemeinen Büroarbeiten. Kanter verfügt über eine gute Allgemeinbildung und seine schnelle Auffassungsgabe ermöglicht es ihm, sich schnell in neue Aufgabengebiete einzuarbeiten. Die ihm übertragenen Arbeiten hat er bisher zur vollsten Zufriedenheit erledigt. Seine Bescheidenheit und sein Fleiß verdienen besonders hervorgehoben zu werden. Auch sein sonstiges Verhalten war stets einwandfrei.«
Fleißig, bescheiden, bestes Benehmen – den Eindruck wusste Kanter auch später stets bei den Leuten zu hinterlassen. Auch Ingeborg Smith, seine langjährige Sekretärin in Bonn, lobte ihn: »Freundlich, hilfsbereit, fleißig, ein ganz normaler Mann.«
Über den anderen Kanter verbreitete sich der Vorsitzende Richter beim Oberlandesgericht Koblenz, Joachim Vonnahme, in der geheim gehaltenen Begründung seines milden Bewährungsurteils. Er schrieb 1995: »Zumindest in der Anfangszeit übte vordergründig die nachrichtendienstliche Verbindung mit der Vorstellung, einen funktionsfähigen fremden Geheimdienst hinter sich zu haben, schon als solche auf den Angeklagten als jungen Menschen einen gewissen Reiz aus. Eigenem Bekunden zufolge fühlte er sich dabei selbst wie eine Art ›James Bond‹.« Richter Vonnahme wusste offenkundig nicht: Vor ihm stand ein kriegsgehärteter Profi, dem Spezialisten der Nazi-Zeit das Tarnen, die Geheimoperationen, das Töten beigebracht hatten.
Über seine Zeit bei der Wehrmacht hatte es Kanter stets bei kargen Angaben belassen. In den Fragebogen der alliierten Militärregierung zwecks Entnazifizierung der Deutschen tippte er am 14. Oktober 1947 in die Antwortzeilen zur Waffengattung: »Heer«; zur Frage, wo er gedient habe: »Frankr.«; über den Dienstrang: »Gefr.«. In die Rubrik »Militäranschrift« trug er handschriftlich ein: »Pz.Rgt. Brandenburg«, als vorgesetzten Offizier: »Maj. Waldeck« und als Grund für die Beendigung des Dienstverhältnisses: »Kriegsende«. Kanter durfte seinen Nachkriegsposten in der Koblenzer Verwaltung behalten. »Belassung im Amt«, stand auf dem Bescheid vom 19. März 1947, ausgestellt von den »Bereinigungskommissionen für Politische Überprüfung« beim Regierungspräsidenten Koblenz.
Er hatte bei Weitem nicht die ganze Wahrheit über sich geschrieben. Den Hitlerjungen Kanter dürften die Heldentaten der »Brandenburger« fasziniert haben, Freiwilligenwerber der Wehrmacht ergingen sich, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, in Andeutungen über die »Gespenstersoldaten« der Division »Brandenburg« und ihre waghalsigen Kommandounternehmen. Einer der kolportierten Tricks: In gegnerischen Uniformen eskortierten »Brandenburger« angebliche deutsche Gefangene, die Waffen und Munition unter ihren deutschen Uniformen verbargen, durch feindliche Stellungen, um dann im Handstreich strategisch wichtige Brücken in Belgien oder Russland zu erobern.
Kant er meldete sich am 25. Juni 1943 als Freiwilliger zur Division »Brandenburg«, gegründet als Sonderverband des deutschen Militärgeheimdienstes, des Amtes Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht. Spezialität der »Brandenburger«: Kommandooperationen hinter feindlichen Linien, oft völkerrechtswidrig in Uniform und mit Ausrüstung der Feindkräfte. Die Division wurde bis kurz vor Kriegsende nie geschlossen eingesetzt, sondern in einzelnen Spezialeinheiten bei diversen Heeresgruppen.
»Ein großer Teil der Kommandoeinsätze der ›Brandenburger‹ erfolgte in ›Halb-‹ oder ›Volltarnung‹«, berichtet das Bundesarchiv. »›Halbtarnung‹ bedeutete die Annäherung an ein Objekt im gegnerischen Hinterland unter oberflächlicher Maskierung als