gebrauchen können, ist eine hohe Inflationsrate, die es ihren Schuldnern erlauben würde, sich ihrer Schulden elegant zu entledigen. Und der beste Weg, die deflationären Tendenzen zu verstärken, sind Austeritätsprogramme, auch wenn diese wie in Südeuropa die Realwirtschaften über ein Jahrzehnt im Würgegriff halten20.
Diese Analyse der politischen Ökonomie verdeutlicht, warum die Reichen und Mächtigen wieder auf Sparpakete setzen, koste es, was es wolle. Ein weiteres Jahrzehnt Austerität darf es aber nicht geben. Denn auf dem Spiel steht nicht nur, ob die Wirtschaft aus der Coronarezession zurück auf einen nachhaltigen Wachstumspfad geführt werden kann. Im eisernen Käfig der Austerität werden auch dringend notwendige Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels versäumt. Der Markt kann diese Investitionen in Forschung und Entwicklung, die Europa braucht, um technologisch nicht zurückzufallen, allein nicht bereitstellen. Die populistischen Revolten überall auf dem Kontinent zeigen, dass die Bürger nicht noch einmal willens sind, die Zeche für die Rettung der Superreichen zu zahlen.
Eine zweite Möglichkeit, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, besteht darin, die Vermögendsten zur Kasse zu bitten. Während Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt verloren haben, haben die Reichsten der Reichen kräftig von den Rettungspaketen profitiert. Es wäre also mehr als fair, sie entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Bewältigung der Krisenfolgen zu verpflichten. Höchste Zeit also, Vermögens-, Erbschafts- und Finanztransaktionssteuern einzuführen und Steueroasen trockenzulegen. Denkbar ist auch eine einmalige Vermögensabgabe, wie der Lastenausgleich zur Abtragung der Staatsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg. Solange jedoch nicht alle Staaten an einem Strang ziehen, reicht schon ein Mausklick, um die Vermögen dem Zugriff des Fiskus zu entziehen. Das Volumen zusätzlicher Steuereinnahmen dürfte daher hinter den Erwartungen bleiben. Wie die obige Analyse der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zeigt, dürfte die Heranziehung der Vermögenden politisch nur schwer durchsetzbar sein. Das darf aber kein Argument sein, es nicht trotzdem zu versuchen.
Die expansive Geldpolitik …
Bleibt als einziger Ausweg die Überschreibung der Staatsschulden in die Bücher der Zentralbanken21. Der unbegrenzte Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB seit 2015 verfolgt genau dieses Ziel. Die europäischen Staaten können so zu günstigen Zinsen auf den Finanzmärkten ihre Liquidität sicherstellen. Bleiben die Kosten des Schuldendienstes gering, können sich Staaten auch hohe Schulden leisten. Durch die Aufblähung der Geldmenge könnten diese langsam weginflationiert werden.
Die Aussicht auf Inflation löst in Deutschland sofort Ängste aus. Gebrannt von der traumatischen Erfahrung der Hyperinflation in den Anfangsjahren der Weimarer Republik fürchten die Deutschen nichts so sehr wie die Geldentwertung. Darüber vergessen sie gerne, dass es die Deflationspolitik Brünings war, die Massenarbeitslosigkeit und Verelendung den Boden bereitete und damit die »Machtergreifung« der Nazis begünstigte. Angesichts weltweit explodierender Arbeitslosenzahlen, schwachen Lohnsteigerungen und historisch niedriger Rohstoffpreisen ist das Risiko, dass die Erhöhung der Geldmenge heute eine Hyperinflation auslöst, überschaubar22. Daher bleibt auch nach über einem Jahrzehnt des Gelddruckens die Inflation bisher aus. Wie ein Damoklesschwert hängt jedoch die drohende Deflation über den europäischen Volkswirtschaften. Die Zentralbanken haben also keine Wahl, als weiter Liquidität in die Märkte zu pumpen. Um die strauchelnden Volkswirtschaften Europeas im Jahr der Coronakrise zu unterstützen, plant die EZB, Anleihen im Wert von 1,85 Billionen Euro zu kaufen. Dennoch bleibt die Zentralbank weit hinter ihrem selbstgesetzten Inflationsziel von 2 Prozent zurück. Gelingt die Trendwende nicht, könnte der Eurozone die gleiche verhängnisvolle Kombination aus Deflation und Wachstumsschwäche drohen, mit der Japan seit Jahrzehnten kämpft. Um in einem deflationären Szenario die Schulden abzubauen, bliebe nur noch die finanzielle Repression. Die Vereinigten Staaten haben beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg die Banken gezwungen, Staatsanleihen mit niedriger Verzinsung zu halten. Als letztes Mittel würde nur noch ein Schuldenschnitt infrage kommen.
Aber auch, wenn es gelingt, die Staatsschulden durch gemäßigte Inflation real zu entwerten, zahlt am Ende jemand die Zeche. Die Geringverdiener ohne nennenswerte Vermögen sind kaum betroffen, weil ihre Löhne an die Inflation angepasst werden. Die Superreichen finden meist Wege, ihre Vermögen in Sicherheit zu bringen. Auf den Kosten der Krisenrettung dürften also die oberen Mittelschichten sitzen bleiben23.
Noch gibt es die Möglichkeit, die Staatsschulden einfach zu ignorieren, und darauf zu hoffen, dass ein kräftiger wirtschaftlicher Aufschwung die Schuldenlast erträglicher macht. Denn für die Tragfähigkeit kommt es nicht so sehr auf die absolute Höhe als vielmehr auf das Verhältnis der Schulden zur Größe der Volkswirtschaft an. Wächst die Wirtschaft, sinkt die Schuldenquote. Bleibt die Wirtschaft in der Rezession, explodieren die Schulden, auch wenn die Regierung keinen einzigen Euro zusätzlich ausgibt.
In der Wirtschaftskrise halten die Menschen ihr Geld zusammen. Doch viele Sparer wissen derzeit nicht, wie sie ihr Geld sinnvoll anlegen können. In Ermangelung nachhaltiger Investitionsmöglichkeiten halten viele weiter Staatsanleihen, obwohl diese kaum Zinsen abwerfen. In Kombination mit den Anleihekäufen der Zentralbanken spricht das dafür, dass Deutschland mittelfristig nur geringe oder gar keine Zinsen für seine Kredite zahlen muss24. Der Staat könnte also einfach abwarten, bis sich die Kosten der Rettungspakete quasi in Luft auflösen. Am Ende müsste also niemand die Zeche zahlen. Der Staat hätte »einfach nur überschüssiges Geld aufgesaugt und umverteilt«25. Ist ein Land in der komfortablen Situation, niedrige bis keine Zinsen für seinen Schuldendienst zahlen zu müssen, ist Abwarten also die politisch klügste und wirtschaftlich vernünftigste Strategie, den Schuldenstand abzubauen. Will Deutschland die Tilgung der in der Notlage aufgenommenen Schulden aussetzen, müsste jedoch das Grundgesetz geändert werden26, um diesen Schritt mit der sogenannten Kanzlermehrheit durchsetzen zu können. Die Schuldenbremse steht also einmal mehr gegen die ökonomische und politische Vernunft.
Um die Wirtschaftskrise zu überwinden, muss das Geld in der Realwirtschaft ankommen. In der Finanzkrise 2008 haben die kommerziellen Banken die geschöpfte Liquidität nicht an die Unternehmen der Realwirtschaft weitergegeben, sondern nutzten sie zur Übernahme lästiger Konkurrenten, oder spekulierten damit an den Vermögens- und Immobilienmärkten. Die daraus entstehenden Blasen gefährden die Stabilität ganzer Volkswirtschaften. Von steigenden Vermögenswerten profitieren nur die sehr wenigen, denen diese Dinge gehören, während die große Mehrheit unter hohen Mieten und Immobilienpreisen leidet.
Um diese schädlichen Nebeneffekte zu verhindern, wurde in der Coronakrise versucht, die Mittelsmänner in den kommerziellen Banken zu umgehen. In den Vereinigten Staaten erhält jeder Amerikaner einen Scheck von der Regierung (»Helikoptergeld«). In Großbritannien finanziert die Zentralbank direkt die Rettungspakete der Regierung.
In Deutschland formierte sich allerdings Widerstand gegen die unorthodoxen Methoden der EZB. Kritiker sehen in den Anleihekäufen eine im Rahmen der Europäischen Verträge unzulässige Direktfinanzierung der hoch verschuldeten Mitgliedsstaaten. Das Bundesverfassungsgericht war sogar so besorgt über das Gebaren der EZB seit der Eurokrise, dass es der Bundesbank Bedingungen für die Beteiligung an den Anleihenkäufen auferlegte. Damit haben sich die deutschen Richter über ein gegenteiliges Urteil des Europäischen Gerichtshofs hinweggesetzt, nur um der Zentralbank aufzuzeigen, dass ihre Unabhängigkeit Grenzen hat.
All dies zeigt, dass mit der Gelddruckerei erhebliche wirtschaftliche, soziale und politische Risiken einhergehen. Mangels besserer Alternativen ist der Weg, die Staatsfinanzen über die Zentralbanken zu konsolidieren, jedoch der einzig gangbare. In den historisch niedrigen Zinssätzen liegt zudem die Chance, dem Teufelskreis der Krise zu entkommen.
… muss durch eine expansive Fiskalpolitik ergänzt werden
Um die Realwirtschaften aus dem Tal der Tränen zu befreien, reicht eine expansive Geldpolitik allein nicht aus. Deswegen fordern selbst Mainstream-Ökonomen wie der Amerikaner Larry Summers, der Staat müsse Geld borgen und es ausgeben, sei es für Sozialausgaben, sei es für die Erneuerung der Infrastruktur27. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fordert seit Jahren, die expansive Geldpolitik durch eine expansivere Fiskalpolitik zu begleiten28. In der Krise sind also wieder einmal alle