Viola Maybach

Der kleine Fürst Staffel 14 – Adelsroman


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verdeckte. »Keine Sorge, mich erkennt niemand«, sagte sie, als sie aus dem Wagen stieg.

      Sie wollte Ferdinand von Stade ein Interview geben, damit er auch einmal die andere Seite hörte – das jedenfalls war ihr Plan. Sie hatte das Gefühl, dringend etwas für Christian tun zu müssen, und ein Interview über ihren wunderbaren Onkel Leopold, Christians Vater, schien ihr das geeignete Mittel zu sein.

      Sie fragte an der Information nach Ferdinand von Stade und erntete ein amüsiertes Lachen. »Nach dem fragen heute alle, ich glaube kaum, dass du Glück haben wirst. Aber versuchen kannst du es ja. Erster Stock.«

      Sie nahm die Treppe und befand sich gleich darauf in einem Großraumbüro. Ohne zu zögern steuerte sie einen der Schreibtische an und fragte erneut nach Ferdinand von Stade. Ein erstaunter Blick traf sie. »Was willst du denn von ihm? Bist du mit ihm verwandt?«

      »Seine Nichte«, log Anna. »Ich muss ihn wirklich ganz dringend sprechen, und er hat sein Handy nicht an.«

      »Natürlich nicht, es klingelt ja alle zehn Sekunden. Seit dem Interview ist hier die Hölle los. Wenn du es genau wissen willst, er isst zu Mittag, bei Antonio.«

      »Wo ist das?«

      Ein erstaunter Blick traf sie. »Als seine Nichte solltest du das eigentlich wissen. Du gehst nach rechts bis zur nächsten Ampel, dann die zweite Querstraße links …«

      Anna verabschiedete sich hastig und verließ das Gebäude wieder. Sie informierte Per Wiedemann, der daraufhin beschloss, ihr unauffällig zu folgen. Dieser Ausflug konnte ihn seinen Job kosten, wie ihm allmählich bewusst wurde. Die Frau Baronin und der Herr Baron verlangten von ihm, dass er die Teenager sicher zur Schule brachte und nicht, dass er sie zu zweifelhaften Abenteuern kutschierte, auch wenn er sicher war, dass Anna diese Fahrt sonst eben ohne ihn unternommen hätte.

      Anna fand das Lokal, in dem Ferdinand von Stade angeblich zu Mittag aß, ohne Probleme. Sie war froh, dass sie sich im Internet über ihn informiert hatte, so wusste sie zumindest, wie er aussah, denn sie hatte etliche Fotos von ihm gefunden. Er saß an einem Tisch in einer Nische, ein wenig abgeschieden, und er saß dort nicht allein.

      Eine Frau saß ihm gegenüber, eine Frau, die Anna erst erkannte, als sie bereits den halben Weg zu dem Tisch in der Nische zurückgelegt hatte: Es war Franziska von Severn. Natürlich, Franziska wohnte ja auch hier … Anna hatte sogar noch überlegt, ob sie sie um Hilfe bitten sollte bei ihrem Vorhaben, sich dann aber dagegen entschieden.

      Sie blieb wie angewurzelt stehen, dann vergewisserte sie sich bei einem der Kellner, ob der Mann in der Nische tatsächlich Ferdinand von Stade war.

      »Aber ja«, lachte der Mann, »dir kann ich es vermutlich sagen, du bist ja wohl nicht auch von der Presse. Die jagen ihn nämlich heute alle, weißt du, wegen seines Interviews.«

      Anna bedankte sich und steuerte wieder auf den Tisch in der Nische zu. Ob Franziska wohl gerade das tat, was sie selbst sich vorgenommen hatte? Gab sie dem Journalisten ein Interview über Fürst Leopold, damit er auch die andere Seite hörte und begriff, wie voreilig es von ihm war, für Corinna Roe­der Partei zu ergreifen?

      Während Anna noch überlegte, geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatte: Ferdinand von Stade griff nach Franziskas Hand und legte sie an seine Wange. Dann erhob er sich, um sich neben sie zu setzen. Er umschlang sie mit beiden Armen und küsste sie leidenschaftlich.

      Anna war wie angewurzelt stehen geblieben. Der Kellner, mit dem sie zuvor gesprochen hatte, folgte ihrem Blick und lachte. »Ja, ganz heiße Liebe«, sagte er. »Überleg es dir gut, ob du ihn jetzt stören willst.«

      Die beiden waren ein Liebespaar, und Franziska hatte nichts davon erwähnt, als sie bei ihnen gewesen war! Wie von Furien gejagt rannte Anna wieder aus dem Lokal – so schnell, dass Per Wiedemann, der draußen auf sie gewartet hatte, ihr nur mit Mühe folgen konnte.

      »Nach Hause, Herr Wiedemann«, schluchzte Anna. »Ich muss nach Hause, ich kann jetzt nicht zur Schule gehen.«

      Er ließ sie einsteigen und befolgte ihren Wunsch, obwohl er wusste, dass er sich dadurch in noch größere Schwierigkeiten brachte.

      *

      »Was ist denn?«, flüsterte Ferdinand und machte Anstalten, Franziska noch einmal zu küssen. »Willst du etwa nicht mit mir gesehen werden?«

      »Das ist es nicht, nur …« Sie brach ab, als einer der Kellner neben ihnen auftauchte.

      »Tut mir leid, dich zu stören, Ferdinand«, sagte er, »aber du wirst von deinem Chef am Telefon verlangt, dringend. Hinten im Büro.«

      Ferdinand unterdrückte ein Schimpfwort. »Bin gleich wieder da, Franzi«, versprach er, bevor er dem Kellner folgte.

      Franziska sah ihm nach. Noch immer wusste er nicht, dass sie mit den Sternbergern befreundet war. Mindestens drei Ansätze hatte sie schon gemacht, ihm alles zu sagen, jedes Mal war etwas dazwischengekommen. Weil ich wollte, dass etwas dazwischenkommt, dachte sie. Ich bin nicht scharf darauf, ihm das zu erzählen, und so nehme ich gern jeden Vorwand, der sich bietet, um weiterhin zu schweigen. Aber wenn er jetzt zurückkommt von seinem Gespräch, sage ich es ihm sofort.

      Da tauchte er auch schon auf, mit schnellen Schritten, und sie wusste, es würde auch jetzt nichts werden mit ihrem Geständnis. »Ich muss weg«, sagte er atemlos, »Ich erkläre es dir später, ja? Tut mir leid, aber ich hab’s jetzt wirklich eilig.« Er küsste sie zum Abschied, dann lief er auch schon aus dem Lokal.

      Sie verließ das Lokal kurz nach ihm und kehrte nach Hause zurück. Eigentlich hätte sie sich jetzt wieder an die Arbeit setzen müssen, doch sie wusste, dass sie sich nicht würde konzentrieren können, und so war sie aufrichtig froh, als kurz nach ihrer Rückkehr ihr Bruder Carl anrief. »Hast du Ferdinand von Stades Artikel in der Süddeutschen Allgemeinen gelesen?«, fragte er ohne Umschweife.

      »Ja, habe ich.«

      »Und was hältst du davon?«

      Sie wiederholte, was sie zuvor schon zu Ferdinand gesagt hatte. »Er ist sehr gut geschrieben und …«

      »Er ist eine Sensation!«, rief Carl. »Vor allem das Interview. Hast du Radio gehört – oder mal Fernsehnachrichten gesehen?«

      »Nein, ich …«

      »Auch die, die bis jetzt den Fürsten noch verteidigt haben, schwenken um«, sagte Carl. »Alle, die ich bisher gesprochen habe, sind jetzt auf Seiten von Corinna Roeder.«

      »Du auch?«, fragte Franziska. »Wenn man dir zuhört, könnte man das nämlich beinahe glauben, Carl.«

      »Zumindest fange ich an zu zweifeln«, gab ihr Bruder zu. »Du nicht?«

      »Nein, warum sollte ich? Ich kannte Leo gut genug, um zu glauben, dass er das, was diese Frau behauptet, nicht getan hätte.«

      »Frau Roeder ist eine überaus attraktive Frau, da wäre jeder Mann schwach geworden.«

      »Ach, Carl«, sagte Franziska unwillig, »hör mir auf mit solchen Gemeinplätzen. Natürlich kann jeder Mensch einmal schwach werden, aber darüber reden wir hier doch nicht. Wir reden darüber, dass ein Mann seine Frau, seinen Sohn, die gesamte Familie und all seine Freunde über viele Jahre hinweg belogen haben soll.«

      »Na, und? Da rutscht man schneller rein als man denkt. Einmal gelogen, dann noch einmal, ein drittes Mal – und plötzlich lässt sich das alles nicht mehr rückgängig machen.«

      »Du kannst glauben, was du willst«, sagte Franziska, »ich bleibe bei meiner Meinung.«

      »Da wirst du bald die Einzige sein«, prophezeite Carl. Wenig später verabschiedete er sich.

      Er ließ seine Schwester noch deprimierter zurück, als sie es ohnehin schon gewesen war. Sie hatte zwar nicht gelogen, aber die Wahrheit verschwiegen, das kam einer Lüge in diesem Fall schon recht nahe. Und hatte Carl nicht Recht? Sie fand ja auch den Mut nicht, die Situation zu klären, dabei musste sie nur zwei Gespräche führen: eins mit den Sternbergern, eins mit Ferdinand.

      Sie griff