…«
»Du hast eine tadellose Figur«, warf er ein. »Du würdest sehr gut auf die Zuschauer wirken.«
»Ich soll mich von fremden Leuten – von Männern – angaffen lassen? Nein, so etwas tue ich nicht«, erklärte Betti entschlossen.
»Ich finde derlei Bedenken zimperlich«, erwiderte Helmut.
»Wärst du denn nicht eifersüchtig?«, fragte sie mit großen Augen. Dabei dachte sie an sein Verhalten Evi gegenüber.
»Ich würde schon dafür sorgen, dass dir niemand zu nahe tritt«, erwiderte er, fügte jedoch hinzu: »Aber wenn du absolut dagegen bist, will ich dich natürlich nicht dazu zwingen. Sicher gibt es auch noch andere Möglichkeiten, dich im Zirkus nützlich zu machen.«
Betti verspürte kein Bedürfnis, nach diesen anderen Möglichkeiten zu forschen. Außerdem war es Zeit, mit der Zubereitung des Abendessens zu beginnen.
»Wir wollen uns ein anderes Mal weiter über dieses Thema unterhalten«, sagte sie deshalb abschließend und faltete ihre Näharbeit, an der sie in der letzten halben Stunde keinen Stich getan hatte, zusammen. Dann rief sie nach den Kindern.
Diese hatten sich, ohne dass es Betti aufgefallen war, ein ziemliches Stück entfernt, sodass sie aufstehen und die beiden Kleinen holen musste. Peterle kauerte mitten in einem Erdbeerbeet und Evi stand daneben. Als Peterle Betti herankommen sah, richtete er sich mit Evis Hilfe auf und krähte Betti entgegen: »Bebe – Bebe!«
Dabei streckte er sein rechtes Fäustchen, in dem er einige zerdrückte Erdbeerblüten fest umklammert hielt, dem Hausmädchen entgegen.
»O weh, Peterle, was hast du denn da angestellt! Das sind Erdbeerblüten. Die darf man nicht pflücken, sonst können wir keine Erdbeeren ernten.«
Enttäuscht öffnete Peter seine Faust und ließ die Blüten zur Erde fallen. Er hatte mit den Blumen Betti eine Freude bereiten wollen, aber unbegreiflicherweise war ihm das misslungen.
»Du hättest auch gescheiter sein können, Evi«, meinte Betti. »Hast du nicht bemerkt, was Peter da treibt?«
»O ja, aber ich habe auch nicht gewusst, dass das Erdbeerblüten sind«, verteidigte sich Evi.
»Na, es ist nun einmal geschehen«, sagte Betti. »Hoffentlich seid ihr in Zukunft klüger.«
Da Peterle an Evis Hand nur langsam vorwärtskam, bückte sich Betti und hob ihn hoch, um ihn zu tragen. Peterle prustete und sträubte sich. In letzter Zeit liebte er es nicht mehr so sehr, getragen zu werden.
Trotzdem schleppte Betti den strampelnden Jungen zum Haus, wo sie ihn seiner Mutter übergab, der sie sogleich von der Missetat des Kleinen berichtete.
Andrea maß ihren Sohn mit stolzen Blicken. »Er ist so ein liebes Kind«, stellte sie befriedigt fest. »Er wollte Ihnen mit den Blüten sicher eine Freude machen. Woher soll er denn wissen, dass man gerade diese Blüten nicht abreißen darf?«
»Nein, das konnte er freilich nicht wissen«, gab Betti zu. »Ich hätte nicht schimpfen sollen.«
Den Rest des Tages wirkte Betti bedrückt und niedergeschlagen, sodass Andrea fragte: »Haben Sie irgendeinen Kummer? Sie nehmen sich doch nicht etwa die Sache mit den Erdbeerblüten zu Herzen? Es wäre unsinnig, sich wegen einer so nichtigen Angelegenheit den Kopf zu zerbrechen.«
»O nein, das ist es nicht«, erwiderte Betti schnell. »Es ist …, ich habe …, ich habe mich heute Nachmittag über Helmut geärgert.«
»Ach so«, sagte Andrea, zögerte aber, Betti zu veranlassen, ihr ihr Herz auszuschütten.
Doch es bedurfte keines Drängens. Betti schilderte Frau von Lehn aus eigenem Antrieb ziemlich wortgetreu das Gespräch, das an diesem Tag zwischen ihr und Helmut Koster stattgefunden hatte.
»Er will die Idee, zum Zirkus zu gehen, einfach nicht aufgeben«, klagte Betti abschließend.
Später erzählte Andrea ihrem Mann von den Unstimmigkeiten, die zwischen den Verlobten herrschten. Als Hans-Joachim von Lehn von dem Ansinnen Helmut Kosters, Betti als Nummerngirl im Zirkus auftreten zu lassen, hörte, lachte er zuerst, wurde aber sofort ernst, als er Andreas bekümmertes Gesicht gewahrte.
»Du darfst dich nicht in Bettis Angelegenheiten einmischen«, warnte er.
»Das tue ich auch nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Betti in einem Zirkus auftreten könnte. Das ist absurd.«
»Nun ja, du hast recht …«
»Womöglich verlangt er als nächstes von ihr, dass sie zu den Löwen und Tigern in den Käfig schlüpft, oder dass sie sich von Trapez zu Trapez schwingt«, ereiferte sich Andrea.
Hans-Joachim konnte sich nur mit Mühe ein neuerliches Lachen verbeißen. Er erwiderte: »Ich glaube kaum, dass Helmut Koster derartige Dinge von Betti verlangen wird.«
»Wer weiß«, meinte Andrea düster. »Damals, als ich von der Verlobung hörte, habe ich mich aufrichtig gefreut. Es erschien mir so passend, dass Betti und Herr Koster heiraten wollten. Aber jetzt – jetzt bin ich gar nicht mehr so sicher, dass die beiden wirklich zusammenpassen.«
*
Die kleine Evi hatte keine Ahnung davon, dass es Differenzen zwischen Betti und ihrem Verlobten gegeben hatte, an denen sie indirekt die Schuld trug. Sie fühlte sich glücklich in Bettis Gegenwart und sprach nun nicht mehr so häufig von ihrer Mutter.
Evis erklärter Liebling war der kleine Peter. Sie konnte stundenlang mit ihm spielen, ohne dass ihr dabei langweilig wurde. Eine besondere Freude bedeutete es für sie auch, wenn die Kinder von Sophienlust zu Besuch kamen. Sie waren zwar alle älter als sie selbst, aber gerade deswegen bewunderte sie sie. Sogar die blonde Heidi, die ihr nur ungefähr ein Jahr voraus hatte, war für sie der Inbegriff der Weisheit.
Obwohl Evi bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Betti von den Rehen im Wald geschwärmt hatte, zeigte sie in Wirklichkeit ein wenig Scheu vor den Tieren. Der Umgang mit den großen Hunden Munko und Severin, der für Peterle eine Selbstverständlichkeit darstellte, war ihr ungewohnt.
Nur wenn die Kinder von Sophienlust kamen und mit den Tieren spielten, verlor sich auch Evis Furcht. Von Heidi angespornt, wagte sie es sogar, auf dem Esel Fridolin zu reiten, und staunte, dass es ihr gelang, sich oben zu halten und nicht abgeworfen zu werden.
Noch lieber aber beobachtete Evi die Tiere, die sich in dem großen Freigehege neben dem Tierheim aufhielten. Darunter gab es ein zahmes Reh, genannt Bambi, das Evi an die Zeit erinnerte, da sie noch bei ihrem Vater im Wald gelebt hatte. Seit sie im Haus des Ehepaares von Lehn wohnte, war es ihr Vorrecht, Bambi mit Brotresten zu füttern. Es gefiel ihr, wenn das Reh zutraulich aus ihrer Hand fraß und sich anschließend geduldig streicheln ließ.
Nun war wieder einmal ein Besuch der Kinder von Sophienlust angesagt. Evi konnte es kaum erwarten, bis endlich der Nachmittag herankam und Schwester Regine mit ihren Schützlingen erschien. Sie lief ihnen jauchzend entgegen und zog Peterle, der ihr kaum zu folgen vermochte, mit sich.
»Na, kannst du immer noch nicht allein laufen?«, begrüßte Henrik, Andrea’s Halbbruder, seinen Neffen.
»Lass ihn zufrieden, er wird es bald lernen«, verteidigte Pünktchen den Kleinen, den Henriks Worte ohnehin gleichgültig ließen.
»Alt genug wäre er schon«, brummte Henrik unzufrieden.
»Er ist noch nicht viel älter als ein Jahr«, nahm nun Andrea ihren Sohn in Schutz. »Ich kann mich erinnern, dass auch du in diesem Alter noch nicht laufen konntest.«
»Das sagst du …«
»Hört auf, euch zu streiten«, unterbrach Dominik seinen Bruder. »Ich finde, dass Peterle sich prächtig entwickelt.«
Dem konnte Andrea nur zustimmen. Nachdem sie alle Kinder begrüßt hatte, erlaubte sie ihnen, das Tierheim und das Freigehege aufzusuchen.
»Ob die zahmen Füchse Pitt, Patt und Spezi heute wohl hier sind?«, überlegte