Marietta Brem

Sophienlust Bestseller Staffel 1 – Familienroman


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daher die Sprachstörungen und der abwesende Blick. Hoffentlich können wir ihm helfen.« Denise von Schoenecker legte Volker Eckstein den Aufnahmebogen hin, den er noch unterschreiben mußte.

      Einen Augenblick lang zögerte der Mann noch. Das schlechtes Gewissen plagte ihn, weil er Peter versprochen hatte, erst noch mit ihm darüber zu sprechen, ehe er sich entschied.

      Aber in seiner Situation gab es nicht viel zu entscheiden, weil er gar keine andere Möglichkeit hatte. Er mußte Peter hierlassen, weil er niemanden kannte, der sonst für den Jungen sorgen sollte.

      Grenzenlose Wut auf Marga überkam ihn. Er knirschte mit den Zähnen, weil er das Gefühl hatte, alles zerschlagen zu müssen, um sich auf diese Weise abzureagieren.

      Denise ahnte, was in dem Mann vorging, der plötzlich bleich geworden war. Er tat ihr leid, aber mehr noch bemitleidete sie den Jungen, den sie noch gar nicht kannte.

      »Sie können ganz beruhigt sein, Herr Eckstein. Ihrem Sohn wird es hier gefallen, da bin ich ganz sicher. Und Sie dürfen ihn auch so oft besuchen, wie Sie mögen und Zeit haben.«

      »Ach, da fällt mir noch etwas ein, das ich Sie fragen muß.«

      Er lächelte ein bißchen. »Peter hat es mir extra ans Herz gelegt. Wie ist das mit der Schule? Nächstes Jahr möchte mein Sohn aufs Gymnasium, falls er gut genug abschneidet.«

      »Und wo ist da das Problem? Maibach hat eine sehr gute Volksschule, in die mein Sohn Henrik übrigens auch noch geht. Nächstes Jahr wird er auch, vorausgesetzt er schafft es, aufs Gymnasium überwechseln. Haben Sie Peter noch nicht angemeldet?«

      »Das werde ich in absehbarer Zeit tun«, gab Volker ein bißchen kleinlaut zu. Er hatte es total vergessen, aber das war nicht weiter verwunderlich, nach allem, was in den letzten Wochen auf ihn eingestürmt war.

      »Mit dem Schulweg wird es auch keine Schwierigkeit geben. Zu unserem Kinderheim gehören rote Kleinbusse, mit denen unsere Kinder in die Schule gefahren und auch wieder abgeholt werden. Sie sehen also, daß Sie sich gar keine Sorgen zu machen brauchen. Möchten Sie sich jetzt noch die Räume ansehen?« fragte die Gutsbesitzerin, nachdem Volker Eckstein den Aufnahmeantrag unterschrieben hatte.

      Volker nahm dankend an und ließ sich von Denise durch das ganze Haus führen. Er war überrascht, wie gemütlich und vor allem kindgerecht die Zimmer eingerichtet waren.

      »Da wird sich mein Peter bestimmt wohl fühlen«, gestand er, als sie sich in der Halle voneinander verabschiedeten.

      »Das glaube ich auch. Am besten, ich begleite Sie noch durch den Park, dann können Sie mir Ihren Sohn gleich vorstellen.«

      Peter saß bei den anderen Kindern am Sandkasten und schaute ihnen beim Spielen zu. Selbst beteiligte er sich daran nicht, aber das war auch nicht weiter verwunderlich. Als Einzelkind war er nicht besonders kontaktfreudig.

      Als er seinen Vater mit Frau von Schoenecker auf ihn zukommen sah, stand er sofort auf und lief ihnen entgegen.

      »So, du bist also der Peter«, sagte Denise freundlich und reichte dem Jungen die Hand. »Grüß dich, Peter. Wie ich sehe, hast du dich mit einem Teil unserer Kinder schon angefreundet.«

      Schüchtern gab der Junge der fremden Frau seine Hand, die noch ganz sauber war.

      Ein enttäuschter Blick traf seinen Vater, der unbehaglich daneben stand. Volker wußte, was er zu bedeuten hatte, und er kam sich abgrundtief schlecht vor. Am liebsten hätte er seinen Sohn auf der Stelle wieder mitgenommen.

      »Also, Peterle, morgen abend komme ich wieder. Sei schön lieb und halt die Ohren steif.« Zärtlich wühlte er in dem dichten Haar seines Sohnes. Dann drehte er sich hastig um und ging davon. Er konnte den beinahe verächtlichen Blick seines Sohnes nicht mehr ertragen.

      *

      Seufzend packte Denise von Schoenecker die letzten Sachen, die sie noch in dem Schrank vorfand, in die Tasche, die sie mitgebracht hatte. Heute mußte die kinderliebe Frau eine traurige Pflicht erfüllen. Sie sollte den kleinen Haushalt von einer früheren Angestellten von Sophienlust auflösen, die vor einer Woche an einer unheilbaren Krankheit gestorben war.

      Agnes, das fünfjährige Töchterchen von Gisela Müller, stand mit hinter dem Rücken verschränkten Ärmchen dabei und beobachtete neugierig das Treiben der fremden Frau. Sie war ein niedliches Mädchen mit fast schwarzen Kulleraugen und dunklem, stark gelocktem Haar.

      »Du wirst staunen, Agnes, wie schön es in Sophienlust ist«, erzählte Denise der Kleinen, die willig mit dem Kopf nickte.

      »Ich freue mich auch schon darauf, Tante Isi«, antwortete das Mädchen artig. »Kommt die Mami auch mit?«

      »Nein, Herzchen, die Mami kann nicht mitkommen. Weißt du, sie ist jetzt im Himmel. Der liebe Gott hat sie ganz dringend gebraucht, darum nehme ich dich jetzt zu mir. Ich habe schon ganz viele Kinder. Es wird dir sicher gut gefallen.«

      »Da hast du bestimmt auch viel Arbeit«, stellte das Mädchen treuherzig fest. »Meine Mami sagt immer, daß ich ihr soviel Arbeit mache, daß sie es gar nicht schaffen kann.«

      »Weißt du, Herzchen, deine Mami war sehr krank und müde. Darum hat sie das gesagt. Aber jetzt geht es ihr wieder gut.« Denise zog eine Schublade des kleinen Schreibtisches auf. Vielleicht waren auch hier noch Dinge darin, die Agnes später einmal brauchen würde.

      »Was ist denn das?« Überrascht holte die Frau ein schon ziemlich zerlesenes Album heraus, das sich bei genauerem Hinsehen als Photoalbum entpuppte. Denise blätterte kurz darin, aber dann klappte sie es doch wieder zu. Die Bilder weckten wehmütige Erinnerungen in der Frau, denn sie hatte Gisela Müller immer sehr gern gehabt.

      Als die junge Frau dann überraschend von Sophienlust weggegangen war, da hatte Denise es lang nicht verstehen können. Sie hatte wohl vermutet, daß da ein Mann dahinterstecken mußte, aber warum Gisela so ein Geheimnis daraus gemacht hatte, das war ihr nicht ganz klar gewesen.

      »So, das meiste hätten wir«, stellte die Verwalterin nach einer Weile erleichtert fest. Sie trug die beiden Taschen und den kleinen Koffer zur Eingangstür und ging dann noch einmal durch alle Zimmer. Die Möbel würde die Hausbesitzerin zum Sperrmüll geben, denn allzuviel waren sie bestimmt nicht mehr wert. Und die meisten persönlichen Dinge hatte Denise schon eingepackt.

      »Agnes, wo steckst du denn?« Suchend schaute sich Denise von Schoenecker um. Gerade hatte sie das Kind noch gesehen, und nun war es plötzlich verschwunden.

      »Agnes?« Aus dem Schlafzimmer hörte die Frau hastiges Hin- und Herlaufen. Was tat die Kleine nur?

      Vorsichtig schlich Denise zur Tür. »Was ist denn, Schätzchen?«

      »Ich kann meinen Teddy einfach nicht finden, den mir die Mami gekauft hat«, klagte das Mädchen. »Gestern war er noch da, und jetzt ist er fort.«

      »Bestimmt haben wir ihn schon eingepackt, Agnes. Wenn wir zu Hause sind, werden wir gleich nachsehen, einverstanden?«

      Aber das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ohne meinen Teddy darf ich nicht weggehen«, beharrte sie. »Meine Mami hat gesagt, ich darf ihn nicht verlieren, weil er viel Geld gekostet hat.«

      Seufzend schaute sich Denise um. Sie konnte sich beim besten Willen nicht an einen Teddy erinnern. Eingepackt hatte sie ihn auf jeden Fall nicht. Aber wo sollte sie ihn suchen?

      Sie ging zum Fenster und schaute auf die Straße hinunter. Der Feierabendverkehr hatte bereits eingesetzt, und jetzt, Anfang März, begann es noch immer ziemlich früh zu dämmern.

      Nachtfahrten waren für Denise ein Greuel, aber heute würde sie nicht drum herumkommen. Sie mußte noch den Teddy suchen, den Agnes unbedingt mitnehmen wollte.

      »Wo hast du ihn denn hingelegt? Kannst du dich nicht mehr erinnern?«

      Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat ihn die Mami mitgenommen.«

      »Ja, vielleicht, Herzchen«, antwortete Denise, der diese Möglichkeit wie ein Rettungsanker vorkam. »Dann brauchen wir ihn aber auch nicht