sagte Constantin.
Vorsichtig wurde Ulrich auf den Rücksitz gebettet. Ängstlich sah er den hochgewachsenen Mann an.
»Überholst du auch nicht, und fährst du auch nicht zu schnell?« flüsterte er.
»Ich fahre ganz vorsichtig, Ulrich«, versprach Constantin.
»Ich habe zu Tante Joana gesagt, sie soll nicht überholen. Das Auto kam so schnell!«
»Wir wollen sehr froh sein, daß dir nicht mehr passiert ist«, sagte Constantin heiser. »Und in der Klinik wirst du nicht allein sein, wenn die Mami schläft. Benjamin ist am Blinddarm operiert worden, und er freut sich bestimmt, wenn du kommst.«
»Benny… ich hab’ ihn schon lange nicht mehr gesehen. Ist Blinddarm schlimm, Constantin?«
»Das kann manchmal sehr schlimm sein.«
»Wo tut es dann weh?«
»Das zeige ich dir später. Jetzt lieg nur ganz ruhig, weit ist es nicht.«
Welch ein Glück im Unglück, dachte er für sich, und er schickte ein Dankgebet zum Himmel, daß Ulli so glimpflich davongekommen war.
Der kleine Junge schlief, als sie zur Klinik kamen, obwohl sie nur eine knappe halbe Stunde unterwegs gewesen waren. Er wachte auch nicht auf, als Constantin ihn hineintrug.
Dr. Behnisch kam.
Ulrich sollte nochmals gründlich untersucht werden. Äußerlich war, abgesehen von ein paar Prellungen, nichts festzustellen. Es war tatsächlich ein Wunder, das vielleicht auch mit dadurch zu erklären war, daß nur die linke Vorderseite des Wagens stark in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Als Constantin die Fotos später sah, war er doppelt froh, daß Ulrich anscheinend geistesgegenwärtig reagiert hatte. Er hatte die Gefahr wohl instinktiv geahnt. Mochte das für ein vierjähriges Kind auch erstaunlich sein, so mußte man bedenken, daß er erst vor drei Monaten ein schweres Unglück überstanden hatte, das nicht so überraschend gekommen war, denn Cordula hatte Ulrich auf eine Notlandung vorbereitet.
Der Sinn des Jungen war für Gefahren geschärft worden, bei anderen mochte das Gegenteil der Fall sein, sie hatten nur noch Angst.
Dr. Behnisch stellte fest, daß eine leichte Gehirnerschütterung vorlag und der rechte Arm gestaucht war. Wie weit seine Beweglichkeit eingeschränkt war, konnten sie erst feststellen, wenn der kleine Patient wieder munter war.
Jedenfalls wollten sie Cordula erst unterrichten, wenn sie den Jungen wirklich sehen konnte…
Constantin mußte bald wieder in die Firma. Er konnte die Konferenz nicht mehr verschieben. Wichtige Entscheidungen, von denen viel abhing, sollten nicht aufgeschoben werden. Er wußte, daß man in der Behnisch-Klinik mit dem Jungen behutsam umgehen würde. Er besprach sich mit Jenny Behnisch, wie Ulrich noch zu beruhigen wäre bis zum Nachmittag, wenn Constantin wieder zurück sein würde.
Ulrich schlief ziemlich lange. Es war die Entspannung nach dem Schock und den aufregenden letzten Tagen. Er fragte aber sofort nach Constantin, als er die Augen aufschlug.
»Er mußte dringend ins Büro, aber er wird bald wiederkommen«, erklärte Jenny.
»Und wann darf ich zu meiner Mami?«
»Wenn Dr. Marten hier ist. Weißt du, sie würde sich sehr erschrecken, wenn sie von dem Unfall erfahren würde. Das wollen wir doch vermeiden, nicht wahr?«
Ulrich nickte. »Ich will meine Mami nicht erschrecken. Ich will ihr sagen, wie lieb ich sie habe und daß ich nicht mehr zu Joana will.«
»Du wirst jetzt erst einmal hierbleiben, Ulrich, okay?«
»Okay.« Seine Augen leuchteten auf. »Du bist nett.«
Er erkundigte sich dann nach Benjamin. »Constantin hat mir das mit dem Blinddarm erzählt«, erklärte er. »Zeigst du mir, wo der Blinddarm ist?«
Jenny zeigte es ihm geduldig und erklärte ihm, daß der Blinddarm möglichst rasch herausgenommen werden sollte, wenn man Schmerzen bekam.
»Sonst vereitert er, und dann wird es schlimm. So war es bei Benjamin.«
»Aber ihr macht ihn auch wieder gesund«, sagte Ulrich. »Und meine Mami auch, nicht wahr?«
Für ein vierjähriges Kind war er ungewöhnlich vernünftig, aber wie Dr. Jenny Behnisch feststellte, auch schon ein bißchen zu ernst.
»Hast du denn in Garmisch keinen Spaß gehabt?« fragte sie.
»Nein, es waren auch gar keine anderen Kinder da. Joana hat mich immer traurig gemacht, wenn sie gesagt hat, daß Mami nie mehr richtig gesund werden würde. Ich sollte für immer bei ihr und Onkel Jochen bleiben. Aber das wollte ich nicht. Nun muß sie auch im Krankenhaus liegen, da sieht sie, wie das ist. Ob es ihr gefällt, wenn jetzt einer sagt, daß sie nie mehr gesund wird? Aber vielleicht wird sie auch wieder gesund. Mein Papi ist aber tot«, schloß er ernst.
Jenny wußte nicht, daß Ulrich in dieser kurzen Zeit mehr gesagt hatte, als in Garmisch in einer ganzen Woche.
*
In der Zwischenzeit war Jochen Heeren im Krankenhaus angekommen. Er hatte schon erfahren, daß Ulrich abgeholt worden war. Ihm konnte das nur recht sein, denn er wollte sich keine Schwierigkeiten einhandeln. Ihm genügten alle Komplikationen, die er jetzt schon zu bewältigen hatte.
Mochte Joana sein, wie sie wollte… sie war seine Frau, und er hatte sie einst aus Liebe geheiratet. Er hatte ihr viel verziehen, weil sie in sein Leben gehörte. Als er sie nun völlig apathisch im Bett liegen sah, war er zutiefst deprimiert.
Der Chefarzt zuckte die Schultern, als er fragte, wie die Chancen stünden.
»Jetzt können wir noch gar nichts sagen. Wir müssen abwarten, ob die inneren Blutungen zum Stillstand kommen. Eine Notoperation haben wir schon vornehmen müssen. Und sonst… ich kann es nicht verschweigen, aber wenn Ihre Frau überlebt, wird sie behindert bleiben.«
Jochen schloß die Augen. »Dann würde sie sich wohl lieber wünschen, nicht mehr zu leben«, erwiderte er leise. »Und Ulrich ist nur leicht verletzt?«
»Ja, wir konnten ihn Dr. Marten mitgeben. Es war auch im Interesse seiner Mutter.«
»Es wäre wirklich schrecklich gewesen, wenn sie das Kind auch noch verloren hätte«, sagte Jochen leise.
Er hätte seines Lebens nie mehr froh werden können, das wußte er nun genau. Aber wenn Joana nun auch sterben würde? Heute morgen war er noch froh gewesen, daß sie das Kind zu Cordula bringen wollte. Und jetzt? Er fühlte sich ganz schrecklich hilflos. Hier konnte er gar nichts ausrichten, in Garmisch aber wurde er doch dringend gebraucht.
Er fragte, ob Joana nach Garmisch verlegt werden könnte. Daran wäre gar nicht zu denken, wurde ihm erwidert. Darüber könnte man vielleicht in einer Woche reden, wenn sie diese überlebt hätte.
»Ich habe ein Hotel«, erklärte er entschuldigend. »Es ist jetzt Hauptsaison, und ich kann nicht allzuoft abwesend sein.«
»Hier können Sie doch nichts ausrichten, Herr Heeren«, sagte der Chefarzt. »Wir können telefonisch in Verbindung bleiben.«
Er sagte es in einem Ton, als hätte er wenig Hoffnung.
Auch Jochen mußte dann noch zur Verwaltung, um die genauen Personalien anzugeben. Die Unterlagen von der Krankenversicherung hatte er schon mitgebracht. Als Geschäftsmann wußte er, was notwendig war. Es wurde ihm versprochen, daß Joana in ein Einzelzimmer gelegt werden würde, sobald dies möglich sei, aber vorerst müßte sie noch auf der Intensivstation bleiben.
Wieder draußen an der frischen Luft, mußte Jochen erst einmal tief durchatmen. Dann kam ihm in den Sinn, noch zur Behnisch-Klinik zu fahren. Man sollte nicht von ihm denken, daß Ulrich ihm gleichgültig sei.
Guter Gott, was hatte Joana gleich nach Cordulas Unfall für Träume gehabt! Er hatte sie immer gewarnt, vor all den Phantasien, und nun… Sollte das eine