Lisa Simon

Mami Staffel 13 – Familienroman


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      »Nein, Mama, das kann ich nicht.«

      »Liebst du ihn nicht?« Laura spürte, wie sehr die Hände der Mutter zitterten.

      Laura zwang sich zu einem Lächeln.

      »Mama, ich habe nie an die Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Aber es gibt sie. Ich will dir nur ein wenig erzählen, damit du mich besser verstehst. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mich auch verurteilst.«

      »Liebes, du mußt Vater verstehen…«

      »Oh, ich verstehe ihn gut«, erklärte Laura bitter. »Die Meinung der Leute ist ihm wichtiger als seine Tochter. Er verurteilt sofort.

      Mama, gleich am ersten Urlaubstag fuhr ich mit ihm den Lift hinauf, zum Paulinerkopf. Und von der Minute an waren wir immer zusammen. Ich… ich habe mich vom ersten Augenblick an in ihn verliebt.«

      »Und er?« Die wunderschönen braunen Augen hatte Laura von ihrer Mutter geerbt. Sie lächelten ein wenig. Lauras Gesicht hatte die Bitterkeit verloren, ihre Augen strahlten. Aber sofort legte sich wieder ein Schatten über das schöne Gesicht.

      »Er auch, Mama. Ja, er auch«, setzte sie heftig hinzu.

      »Wo liegt denn da ein Hindernis, Liebste? Habt ihr euch gezankt, hattet ihr eine Meinungsverschiedenheit? Laura, ich kenne dich schließlich. Du bist genauso ein Hitzkopf wie dein Vater. Wenn du ihn wirklich liebst, mußt du auch nachgeben können. Da ist Stolz völlig fehl am Platz.«

      Sie löste sanft ihre Finger aus den Händen der Mutter. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und davongelaufen. Es war furchtbar schwer, daran zu denken, noch schwerer, darüber zu sprechen.

      Ihre Blicke wanderten durch das behagliche Zimmer. Das Wienerzimmer nannte man es im Haus. Hier standen all die Möbel, die Frau Wagenfeld aus ihrem Elternhaus mitbrachte. Es waren kostbare Einzelstücke, man sah ihnen an, wie sorgfältig sie gepflegt wurden. In diesem Raum hielt sich Frau Wagenfeld am liebsten auf, und wenn Laura im Haus war, saßen sie oft in den alten Sesseln, die ein wenig seufzten, wenn man sich hineinfallen ließ.

      »Du mußt es mir nicht sagen, Liebes«, drang die weiche Stimme der Mutter in Lauras Kummer hinein.

      Laura krampfte die Hände zu Fäusten, öffnete und schloß sie wieder.

      »Es war nur eine Urlaubsliebe, Mama.« Frau Wagenfeld ließ sich von dem gleichmütigen Ton Lauras nicht täuschen.

      »Laura, du mußt ihn schon sehr lieb gehabt haben, wenn du… nun, wenn du über deinen eigenen Schatten gesprungen bist. Wirst du ihm schreiben, daß du ein Kind von ihm erwartest?«

      Sie verzog bitter den Mund. »Selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht. Ich habe gar nicht seine Adresse.«

      Nein, auch der Mutter konnte sie nicht von ihrem Kummer erzählen, nicht von dem Morgen, als sie in sein Hotel kam, um ihn abzuholen. Für diesen Tag hatten sie eine Fahrt zur Heidelbergerhütte geplant.

      »Herr Hartinger ist heute morgen abgereist«, hatte der Portier ihr gesagt.

      Sie stand da, begriff nur mühsam, was der Mann sagte, der sie voll Mitleid musterte, daß ihr zum Glück der Stolz zu Hilfe kam.

      Sie war aus dem Hotel geflohen, so lange der Portier ihr nachsah, langsam, in aufrechter Haltung. Aber draußen wäre sie beinahe zusammengebrochen. Es lag nicht nur an den schweren Skischuhen, daß sie sich zu ihrem Auto schleppte. Es war, als wäre alle Energie aus ihrem Körper geflossen. Sogar ihre Augen schienen blind zu sein.

      Sie sah nicht, wie strahlend blau der Himmel war, wie die Sonne auf dem Schnee glitzerte, als ruhten Diamanten darin.

      Sie war in ihr Hotel gefahren, sie hatte gepackt, noch am gleichen Morgen war sie fortgefahren.

      Und schon da spürte sie, daß sie ein Kind in sich trug.

      Von einem Mann, der in ihr nur eine Urlaubsliebe gesehen hatte. Nicht mehr. Der fortfuhr ohne eine Zeile.

      Einfach fort.

      Vermutlich war er verheiratet. Ein Mann der so gut aussah wie er, lief bestimmt nicht mehr frei herum. Wahrscheinlich war er Vater von mehreren Kindern… und würde Laura Wagenfeld schnell vergessen haben.

      »Tut es sehr weh, Laura?« Die weiche Stimme der Mutter drang in Lauras Verzweiflung ein. Nicht einmal von der Mutter ertrug sie Mitleid.

      »Ich habe es mir selbst zuzuschreiben«, erklärte sie heftig. »Ich habe die Sache einfach zu ernst genommen, Mama. Aber ich bereue nichts«, setzte sie hinzu. Sie bekam wieder das trotzige Gesicht, das Frau Wagenfeld gut kannte. »Früher habe ich über die Mädchen gelacht, die sich Hals über Kopf verliebten und dabei den Verstand ausschalteten. Jetzt ist es mir selbst passiert. Er war genauso, wie ich mir immer meinen Partner wünschte. Man konnte mit ihm herrlich lachen, man konnte über alles mit ihm reden. Er nahm genau wie ich begeistert die Schönheit der Berge auf. Ach, Mama, einmal waren wir von der Piste gekommen, wir nahmen eine Abkürzung durch ein kleines Wäldchen. Abrupt blieb Julian stehen, ich wäre beinahe in ihn hineingefahren.

      Ein Reh stand auf dem Weg, es wollte fortlaufen, aber es konnte nicht. Es hatte sich am Bein verletzt. Mama, wenn ich mich nicht schon vorher in ihn verliebt hätte, spätestens da hätte es gefunkt. Du hättest sehen sollen, wie behutsam er das Tier aufnahm, mir gab er seine Stöcke. Er hat das Tier ins Tal gebracht, nach dem nächsten Tierarzt gefragt. Aber es gab keinen im Dorf. Er mußte bis Landeck fahren. Der ganze Nachmittag ist damit draufgegangen, und das bei wunderbarem Wetter und herrlichem Pulverschnee.«

      »Ich glaube, dein Kind hat einen Vater, auf den es stolz sein kann. Selbstverständlich wirst du hier bleiben, Laura. Du wirst hier dein Kind bekommen, mein Enkelkind.«

      »Du sagst das so kriegerisch, Mama. Natürlich weißt du, daß damit euer Seelenfrieden zum Schornstein herausfliegt. Nein, Mama«, Laura stand auf, schlang ihre Arme um den Hals der Mutter und drückte sie zärtlich.

      »Das Leben wäre dann die Hölle für dich. Das weißt du auch. Nein, Mama, niemand hat das Recht, das Leben des anderen schwer zu machen, auch Kinder nicht. Ich bin gesund, ich freue mich auf mein Kind. Ich sage noch einmal, ich bereue nichts. Ich werde gut allein fertig werden.«

      »Laura, kannst du dich nicht geirrt haben?«

      »Nein, Mama.« Ein Lachen flog über Lauras Gesicht. »Du weißt, Mama, daß ich mit beiden Beinen auf der Erde stehe. Ich spinne nicht. Aber als Julian und ich, ich meine, ich wußte seltsamerweise sofort, daß ich ein Kind bekomme. Du darfst mich ruhig auslachen.«

      »Danach ist mir nicht zumute«, seufzte Frau Wagenfeld unglücklich. Sie strich das Haar, das weiß geworden war, an den Schläfen zurück und überlegte verzweifelt.

      »Aber Laura, ich kann dich doch nicht gehen lassen.«

      »Doch, Mama, du mußt es sogar. Hast es nicht immer gepredigt, daß Eltern ihre Kinder loslassen müssen? Daß sie nicht klammern dürfen. Siehst du, jetzt ist für dich der Augenblick gekommen. Aber ich verspreche dir, ich werde dich immer auf dem Laufenden halten. Du wirst immer von mir hören.«

      »Ich lasse dich erst gehen, wenn du mir dein Ehrenwort gibst. Wenn du Hilfe brauchst, läßt du es mich wissen?«

      »Ich verspreche es.«

      »Ich will bei dir sein, wenn das Kind kommt, ganz gleich, wo du bist. Und wenn du dich am Nordpol versteckst, ich komme.«

      »Da ist es mir viel zu kalt.« Laura wollte lachen, aber es wurde ein Weinen daraus.

      »Es ist nur, Mama, weil ich das Abschiednehmen nicht gelernt habe«, schluchzte sie.

      *

      Die Hitze brütete zwischen den Häusern, lag wie ein Bleigewicht in den Straßen. Wer nur eben konnte, kehrte der Stadt den Rücken und floh aufs Land oder zum See hinunter.

      Laura bummelte langsam durch den Stadtpark. Auf den Bänken saßen Mütter, während die Kleinen im Sandkasten spielten. Kinderlachen füllte die Luft. zwei Enten watschelten über den Rasen. Ein kleiner