die im Leben schon einiges mitgemacht hatte und sich den Schneid ebenfalls nicht abkaufen ließ.
»Wenn sie diesen Start in ihr Bergmoosbacher Leben heil übersteht, dann wird sie alles andere auch schaffen!«, antwortete Fanny Lechner zuversichtlich. Ihr gehörte der kleine Supermarkt des Ortes, und sie wusste, was es heißt, allein für ein Geschäft sorgen zu müssen.
»Aber man wüsste halt doch gern, wer dieser gut aussehende Mann mit den braunen Haaren ist, der sie jetzt hinüber zum Landdoktor begleitet«, bemerkte die Kioskbesitzerin Afra. Dann bekam sie plötzlich ganz schmale Augen. »Meint ihr, dass sie in ihrem Laden auch Zeitschriften verkaufen wird, so wie ich?«
»Afra, es ist ein Buchladen!«, seufzte Fanny.
»Na und? Wer weiß denn, was ihr noch so einfallen wird, dieser Zugereisten!«, konterte Afra spitz. »Wenn’s Kaffee und Kuchen in ihrem Buchgeschäft geben soll, warum dann nicht auch noch Zeitschriften?«
Fanny schüttelte nur amüsiert den Kopf und ging in ihr Geschäft zurück.
Drüben in der Praxis Seefeld winkte die ältere Sprechstundenhilfe Gerti Fechner die Patientin mit ihrem blutigen Arm gleich durch ins Behandlungszimmer. Zu dem besorgten Mann, der Elisabeth begleitete, sagte sie: »Bitte, nehmen Sie doch im Wartezimmer Platz, Herr …?«
»Faber, Henning Faber. Ich bin der Ehemann.«
»Hallo?« Ellis Kopf flog herum, und in ihren blau-grauen Augen zog ein Gewittersturm auf. »Mein Ex-Ehemann, bitte sehr! Auf deinen Wunsch hin wurden wir geschieden, schon vergessen?« Für Diskretion hatte sie jetzt nicht die Nerven und knallte die Tür zum Behandlungszimmer hinter sich ins Schloss.
»Ähm …«, Henning Faber räusperte sich und verbarg rasch seine Verlegenheit hinter einer aufgeschlagenen Zeitschrift.
Gerti und Caro waren durch und durch professionelle Mitarbeiterinnen, die nichts gehört hatten. Die vier anderen wartenden Patienten warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. So, so, einen Ex-Mann hatte sie also, diese neue Buchhändlerin! Und zwar einen, der bemerkenswert besorgt ausschaute …
Doktor Seefeld untersuchte seine Patientin sorgfältig auf weitere Verletzungen und versorgte ihren Arm. »Sie hatten Glück im Unglück«, stellte er abschließend fest. »Es ist nichts Ernstes, obwohl diese Hautabschürfungen unangenehm genug sind. Es tut mir leid, dass Sie hier einen derartig schwungvollen Start hatten.«
Elli musste lachen. »Mit ein paar Blessuren zu Beginn kann es doch nur besser weitergehen, oder? Ich habe jedenfalls nicht vor, beim Streichen der Wände von der Leiter zu fallen oder ein Elektrokabel anzubohren!«
»Das ist lobenswert!« Ein jungenhaftes Grinsen spielte auf Sebastians markanten Gesichtszügen, aber dann wurde er wieder ernst. »Haben Sie schon Kontakte zu den Nachbarn hier geknüpft? Gibt es Menschen, die Sie um Hilfe bitten können, wenn Sie welche brauchen?«
»Ja, ich kenne die Hebamme Anna Bergmann von früher, und mit dem Zimmermann Benjamin Lauterbach habe ich auch schon Kontakt aufgenommen. Die Eingangstür vom Laden ist völlig verzogen, das bekomme ich allein nicht hin.«
»Anna Bergmann und Ben Lauterbach«, wiederholte der Arzt mit einem leisen Lächeln. »Dann kann nichts mehr schiefgehen!«
»Sie kennen sie?«
Sebastian Seefeld nickte. »Anna ist nicht nur eine ausgezeichnete Kollegin, sondern auch eine sehr gute Freundin der Familie. Und Ben Lauterbach ist ein sympathischer, erfahrener Zimmermann, an dessen Arbeiten Sie Ihre Freude haben werden.«
Elli musterte den Arzt nachdenklich. »Hier scheint wohl jeder jeden zu kennen, oder?«
»So in etwa«, schmunzelte Sebastian. Er legte die letzte Kompresse auf und fixierte den Verband. »Bitte kommen Sie morgen zum Verbandwechsel, wir müssen jeden Tag schauen, ob sich die Wunden entzünden oder gut abheilen. Und überanstrengen Sie sich nicht beim Tragen, Pinseln und Renovieren!«
»Bestimmt nicht!« Elli erwiderte seinen festen Händedruck und rückte den alten Hut auf ihrem üppigen Haarschopf zurecht. »Jetzt wird erstmal zu Ende ausgeladen, und danach gehen meine fleißigen Umzugshelfer und ich in den Biergarten auf eine zünftige Brotzeit! Die haben wir uns dann redlich verdient!«
»Guten Appetit!«, wünschte der Landdoktor und verabschiedete seine Patientin.
Elli ließ sich einen Termin für den Verbandwechsel geben und wollte dann gehen, als sie ihren früheren Ehemann im Wartezimmer entdeckte. »Du bist ja immer noch hier?«
»Ich wollte wissen, wie es dir geht, und dich nach Hause begleiten, wenn es dir recht ist«, antwortete Henning Faber so würdevoll wie möglich.
Elli schaute ihm fest in die Augen, deren samtiges Dunkel ihr früher einmal Schmetterlinge in den Bauch gezaubert hatte. »Danke der Nachfrage, es geht mir gut. Und mein Heimweg ist weder so lang noch so gefährlich, als dass ich deine Begleitung brauche. Ich komme sehr gut allein zurecht! Servus, Henning!« Sie nickte ihm nicht unfreundlich, aber sehr entschieden zu und ließ ihn bei der alten Ulme vorm Praxiseingang stehen.
Henning Faber ließ sich auf die weiß gestrichene runde Bank sinken, welche den mächtigen Baumstamm umspannte, und schaute seiner ehemaligen Frau mit einem unergründlichen Blick hinterher. Irgendwann stieß er einen tiefen Seufzer aus und strich sich mit einer unbewussten Geste durch sein dichtes, glänzendes Haar. »Ach, Elli, worauf habe ich mich damals bloß eingelassen«, murmelte er. Tief in Gedanken versunken machte er sich auf den Weg zurück in sein Hotel am schönen Sternwolkensee.
*
Benjamin Lauterbach packte sein Werkzeug zusammen und ließ die Eingangstür des Ladens ins Schloss fallen. Der Zimmermann nickte zufrieden, die Tür ließ sich widerstandslos öffnen und schließen. »Ich bin fertig, Frau Faber, und gehe jetzt«, rief er zur Leiter hinauf, auf der Elisabeth arbeitete.
»Prima, danke, Herr Lauterbach!« Elli strahlte ihn an. »Ich freue mich, dass Sie so schnell kommen konnten, und auch, dass die Ausbesserungsarbeiten dann doch nicht so umfangreich waren wie befürchtet.«
Ben Lauterbach lachte verschmitzt. »Ja, das war ausnahmsweise anders herum, als man es sonst von Handwerkern gewohnt ist.«
»Bis hoffentlich bald, Herr Lauterbach!«, rief Elli von der Leiter und winkte mit ihrem Farbpinsel. Sie zwinkerte ihm vergnügt zu. »Ich habe auch eine Abteilung mit wunderschönen Kinderbüchern.«
Er winkte zurück. »Meine Frau und ich kommen bestimmt, und dann werden wir mit unseren Zwillingen Ihre Kinderecke unsicher machen.«
»Bange machen gilt nicht!«, lachte Elli zum Abschied. Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu und verteilte konzentriert den Rest der blauen Wandfarbe. Sie beachtete nicht weiter, dass ein Besucher ihren Laden betrat und sich interessiert umschaute.
Henning Faber stand in der geöffneten Tür und bewunderte das, was seine geschiedene Frau aus dem ehemaligen Friseursalon gemacht hatte. Den scheußlichen Fußbodenbelag hatte sie herausgerissen und die alten Holzdielen freigelegt. Alle Wände waren in einem tiefen, leuchtenden Königsblau gestrichen, vor dem teilweise bereits schlichte, weiße Bücherregale aufgebaut worden waren. Türen und Fensterrahmen waren weiß lackiert, und um den wohnlichen Charakter ihres Geschäftes zu unterstreichen, wollte Elli naturfarbene Baumwollvorhänge neben die Schaufensterscheiben hängen. Die schlichte silberne Gardinenstange hatte sie schon angebracht. In einer Ecke des Raumes waren silberne Sterne und ein Halbmond an die Decke gemalt.
Jetzt bemerkte Elli den Mann und winkte ihm von ihrer Leiter aus zu. »Hallo, Henning! Nur noch ein paar Pinselstriche, dann bin ich fertig.« Sie klang sehr zufrieden.
»Es sieht jetzt schon toll aus, Elli!«, antwortete er mit aufrichtiger Bewunderung.
»Hat auch sehr viel Arbeit bedeutet!«, entgegnete sie. Ihre grau-blauen Augen funkelten amüsiert. »Es gibt diese Romane, in denen Frauen einen heruntergekommenen Laden renovieren, und wie durch Zauberei ist alles mit einem Eimer voller leuchtender Farbe erledigt.«
Henning schaute zu ihr auf. Sie trug Latzhose und altes