Meine Mutter kannte Sybille bereits von gelegentlichen Einkäufen bei ihr. Gefragt nach meinem Eindruck erfand ich die Ausrede, Sybille sei wohl eine sympathische Person, sie habe aber eine deutliche Knollennase. Meiner Mutter war meine Ausflucht sofort klar. Sie schwieg zwar, vereinbarte aber einen Familienbesuch bei Sybilles Großeltern anlässlich einer Fernsehübertragung von Goethes Faust schon am nächsten Abend. Brav saßen wir beieinander, die Gedanken ganz sicher nicht bei der Darbietung im TV. Diese Begegnung sollte sich als glückliche Fügung des Himmels erweisen. Sybille hat bis zum heutigen Tag mein weiteres Leben bestimmt, in Liebe, Zufriedenheit und Dankbarkeit. Näheres darüber etwas später auch von ihr.
Zurück in Dresden schlich sich eine „schöpferische Pause“ ein. Unversehens bemerkte ich im Fach Statik einige Lücken, die mein weiteres Vorankommen in diesem Fach hemmten. Meine Idee war: Ich musste etwas organisieren, was mich zwang, vermehrt zu arbeiten. Die Lösung: Ich bewarb mich am Lehrstuhl für Statik als Hilfsassistent zur Betreuung jüngerer Semester in Übungsstunden und wurde angenommen. Die Lösungen der gestellten Übungsaufgaben mussten anschließend von einem der Hilfsassistenten im Schaukasten des Lehrstuhls ausgehängt werden. Das war für mich der schweißtreibende, aber heilsame Zwang. Außerdem gab es ein willkommenes Salär. Nun, Ende gut, alles gut.
Zur Diplom-Abschlussfeier nach Ende des erfolgreichen Studiums versammelten wir uns zusammen mit unseren Professoren in einer Gaststätte an der Tharandter Talsperre. Ein eigens verfasstes Schattenspiel in mehreren Bildern schilderte das erlebnisreiche Studentenleben von der Immatrikulation bis zum Finale in Versform, erschaffen von einem eigenen, begabten Team. Das Stück trug den Titel „ Stud. ing. Flasche“. Mir kam die ehrende Auszeichnung zuteil, den Titelhelden zu spielen. Der Auszug im folgenden Kapitel soll es dem Leser nahebringen und ihn sicher auch erfreuen.
Den Höhepunkt der Feier bildete der symbolische Abschied von den Lehrfächern unserer Disziplin. Alle Teilnehmer einschließlich unserer Professoren, unserer Gäste und die Kapelle bestiegen um Mitternacht bereitstehende Ruderkähne und fuhren weit auf den See hinaus. Mitgeführt hatten wir für jedes Fach eine mit Steinen bewehrte Holzkiste, mit deutlicher Aufschrift. Unter Dankesworten und Musikbegleitung wurde nacheinander jede einzelne Kiste symbolisch und feierlich auf den Grund des Sees versenkt. Sollte das Holz widerstandsfähig genug sein, dann liegen unsere Reliquien noch heute dort unten.
„Stud. ing. Heinrich Flasche“– ein Schattenspiel
Amor hominis
Flasche hat sich vorgenommen,
heut zu einem Weib zu kommen. …
Jetzt fragt er, ob sie’s interessiere,
dass er an der TH studiere …
Doch als er nun auf Tröstung wartet,
da ist die Schöne schon gestartet.
Ganz anders ist hier cand. ing. Bock,
der hat die Hand schon unterm Arm,
das zeugt von ganz besonderem Charme.
Prüfung
Nach dieser kleinen Ouvertüre
büffelt er die Fachlektüre,
denn am Mittwoch, welche Qual,
muss er zur Prüfung noch einmal.
Ach, lieber Gott, hab doch Pardon
mit mir und mit dem Stahlbeton. …
Nach dergestalter Vorbereitung
naht sich für Flasche die Entscheidung.
Der gute Anzug wird geplättet,
mit Freunden wird um Bier gewettet,
dass man `ne Fünf baut, garantiert,
und dann wird prüfungswärts marschiert.
Am Ort der Handlung angekommen,
ist Flasche etwas arg beklommen.
Er wünscht da drinnen den zur Hölle
und sich selbst an dessen Stelle.
Doch nichts ist jetzt mehr aufzuhalten,
die Tür geht auf, er steht vorm Alten.
„Sie sind Herr Flasche? Sehr erfreut!“
So heuchelt man voll Freundlichkeit.
Drauf setzt man allerseits sich hin,
auf dass die Folterung beginn.
Und auf Herrn Flasche treu und bieder,
senkt drohend sich ein Schatten nieder.
Und salbungsvoll und voller Tücke
ertönt‘s: „Was ist denn eine Brücke?“
Die Frage trifft ihn wie ein Hieb,
er duckt sich und glotzt merklich trüb.
„`Ne Brücke? Das ist sozusagen“,
warum so Schweres immer fragen?
„Nun ja, man spricht von einer Brücke,
wenn im Gelände eine Lücke
– man nennt dies Tal – vorhanden ist,
welch Selbes man dann kunstvoll schließt.
Wobei man darauf achten muss,
dass, wenn im Talesgrund ein Fluss
sich tummelt, vielerorts derselbe,
als Beispiel denk ich an die Elbe,
naturgemäß sehr dankbar ist,
wenn man beim Bauen nicht vergisst,
die Brücke also anzulegen,
dass er sich drunter kann bewegen.
Zu welchem Zweck man oft bei Brücken
gar große Löcher kann erblicken.
Wobei man noch auf diese Art
sehr viel des Materials erspart.“
„Das reicht, Herr Flasche! Denn fürwahr,
die Antwort scheint mir ziemlich klar.“
Bejahend nickt der Assistent,
der nebenan am Tische pennt.
Und bloß damit er auch was spricht,
sagt er: „Mehr weiß ich selber nicht!“
So naht der große Augenblick,
der Delinquent wird rausgeschickt,
denn Ordnung muss ja schließlich sein.
Gleich drauf, da muss er wieder rein.
Was falsch war, wird ihm offeriert,
– man hat im Buch sich informiert –,
dann reicht man ihm mit Gönnermiene
`ne Vier, weil mehr er nicht verdiene.
Worauf er froh verlässt den Saal
Und denkt – ihr alle könnt mich mal.
Ein Wunsch, wie später er versteht,
der doch nicht in Erfüllung geht.
Finale
Dies jedoch war nicht der Schluss,
denn jetzt kommt nun, was kommen muss.
Flasche spricht zu Schulz und Staufen:
„Los, jetzt geh´n wir einen saufen.
nach der alten Väter Weise,
wandert