Vladislav Bajac

Hamam Balkania


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1521, um seinen Rückzug, als es keine Hoffnung mehr gab und um die dann an ihn gerichtete Einladung des früheren Feindes, des Sultans persönlich, die entlassenen Angehörigen der Flussflotte erneut um sich zu scharen und sich an deren Spitze zu stellen, in den Dienst des Sultans. Der Sultan hatte ihn lange vor dem Anschluss und diesem fünf Jahre später liegenden Feldzug gewürdigt, als er ihm die Einladung und Genehmigung übermittelte, sich mit seinen Bootsknechten in Belgrad anzusiedeln und gar das Stadtviertel, wo sie sich niederließen, nach ihm benannte – Ovčar-oglu mahala. Ovčarević erklärte Bajica und dem anwesenden Sinan ohne sich zu genieren, dass er in dem ganzen Unterfangen völlig mit sich im Reinen war: Er war angeheuert worden für Geld und Privilegien, blieb dem Namen und Glauben nach Serbe und beteiligte sich, wie er ausführte, an der »Erhaltung des momentan belagerten Belgrads, das immer serbisch sein wird«. Auch den Mut, das auszusprechen, deutete Bajica als Heldentat. Der Sultan und der Großwesir mochten über diese Dreistigkeit lachen, aber sie machten ihm nicht das Recht streitig, so zu denken. Mehr als alles sonst schätzten sie sein tagtägliches Heldentum, das ihnen wichtiger war als seine Kühnheit. Immerhin gehorchten ihm Tausende Serben, die sich in den Dienst des Osmanischen Reiches begeben hatten. Selbst wenn das vorübergehend war, unter Zwang, aus Hinterlist oder sonstigem Kalkül. Er war ein Mann, der sein Gelübde gegenüber dem Reich allein mit seinem Wort aufrechterhielt. Deshalb wurde auch respektiert, was er sonst noch sagte.

      Bajica lernte hier auch die Söhne des berühmten Jahja Pascha aus der Familie Jahjapašić kennen: Bali Beg, Ahmed Beg und Gazi Mehmed Pascha. Alle drei waren als harte Krieger bekannt, wie ihre Vorfahren übrigens auch, die wie Ovčarević nie mehr irgendwelche Fragen zu ihrer Herkunft stellten; sie wollten, nachdem sie den neuen Glauben angenommen hatten, den alten völlig aus ihrem Leben verbannen. Von daher fand Bajica mit ihnen nicht viel Gesprächsstoff. Sie waren wilde Eroberer, die den Befehlen ihrer Herren blind gehorchten, mit ungeheuerlichem Mut und mit Brutalität die Gegner das Fürchten lehrten und neue Gebiete einnahmen. Sie siegten, weil sie eine schamlose Vorliebe für Schlachten hatten. Und sie waren gefährlich.

      Andererseits, überlegte Bajica, egal, wie sehr sie sich hinsichtlich ihrer Herkunft unterschieden oder nicht, in der Annäherung an ihr eigenes oder an fremdes Leben, mit ihren Ansichten zu Recht, Gewissen oder was sonst noch, waren sie ohne Ausnahme in ein- und dieselbe Sache involviert: in den Dienst zur Erweiterung des Osmanischen Imperiums! Hier verschwanden alle Unterschiede, und wenn sie da und dort durchkamen, waren sie bedeutungslos. Siehe da, seine Gedanken aus der Schule in Edirne waren wieder da. Alles dem Einen untergeordnet!

      Dieses Eine, das Imperium, demonstrierte mit seiner realen Strenge eine außergewöhnliche Kraft, die von sich aus zur Paralysierung des Gegners führte. Der noch unbesiegte Feind geriet in Panik, die bereits eroberte Welt sah ihre Untertanenposition als ewig und unveränderlich an. Es hatte den Anschein, dass es immer so gewesen war und auch ewig so sein würde. Eine Kraft, die imstande wäre, sich einer solchen Macht zu widersetzen, war nicht vorstellbar. Die Einzelnen sahen für sich lediglich zwei mögliche Optionen: Frieden zu schließen und in eine solch perfekte Welt einzutauchen oder sich dieser mit ihren Gedanken, ihrem Willen und mit innerer Kraft zu widersetzen. Allerdings brachte auch dieses Andere keine Befreiung. Im Gegenteil, es lähmte jegliche Existenz, denn es bot nicht einmal die Wahrscheinlichkeit einer Veränderung, sondern einzig Niedergeschlagenheit und Apathie. Aus einer derartigen Hoffnungslosigkeit heraus, die besagte, dass alles ein für alle Mal gegeben schien, war es hart für ein ganzes Volk, geschweige für den besiegten Einzelnen einen Ausweg zu finden.

      Als er verschiedenen Teilnehmern dieses Feldzugs zuhörte, spürte Bajica dennoch auch den ersten, gut verdeckten Riss in den Mauern des unbesiegbaren Imperiums! Der offizielle Grund dafür, dass der Sultan eine solch große Armee aussandte, waren die erneuten zahlreichen Feindseligkeiten gegen Ungarn. Der geheime Grund war aber die Rebellion der Janitscharen in Istanbul. Sultan wie Großwesir hatten zu Recht Angst gerade vor ihren loyalsten und elitärsten Soldaten! Das war verständlich, hing doch von deren Zufriedenheit auch die Sicherheit des Reiches ab. Ihr Mut und ihre Opferbereitschaft blieben das A und O des Osmanischen Reiches. Sowohl im Kampf für das Reich als auch in der Rebellion gegen dieses waren sie ausgesprochen gefährlich. Wenn sie sich gegen ihren Herrscher erhoben, tat man gut daran, sie möglichst schnell zu beschwichtigen. Später konnten die Anführer einzeln beseitigt werden. Während des Aufruhrs wagte allerdings niemand, sich ihnen zu widersetzen. Im Kampf für den Sultan wiederum waren sie unbesiegbar, und für ihren Mut wurden sie – zusätzlich zur allgemeinen Großzügigkeit des Herrschers – häufig mit der Erlaubnis zum Plündern belohnt. Das Versprechen, das der neue Feldzug des Sultans mit sich brachte, reichte zur Beschwichtigung der Janitscharen aus und lenkte deren Wut, Verbitterung und Kampflust in eine andere Richtung.

      Bajica nahm sowohl seine eigene wie auch die allgemeine Konfusion wahr. Er war erleichtert (was eigentlich schrecklich war), als er begriffen hatte, dass das Problem seiner eigenen Zweigeteilheit das des ganzen serbischen Volkes war! Einerseits sah er die serbischen Soldaten in türkischen Reihen, andererseits seine Kameraden bei der Verteidigung Belgrads in ungarischen Einheiten. Ohne ihren eigenen Staat und mit einer Heimat, über die viele andere marschierten, die sie plünderten und beherrschten, fanden sich die Serben nach eigenem Ermessen zurecht, individuell, gruppenweise oder auf anderem Wege. So gerieten sie in eine sinnlose Situation, die zu Trennungen, Selektionen und Seitenwechseln führte, denen sie sich beugten, und so wurden sie in eine Situation anhaltender persönlicher und kollektiver Instabilität getrieben. Die türkischen und ungarischen Herrscher betrachteten das als offensichtliches und ernstes Problem, bemühten sich aber nicht um eine Lösung, denn die Zerissenheit der Serben kam ihnen zupass: So waren diese besser beherrschbar. Sorgfalt ließen sie lediglich dahingehend walten, dass sie konsequent zuverlässig ein Aufeinandertreffen und, Gott behüte, einen Konflikt »ihrer« Serben in den Schlachten vermieden. Und auch das taten sie vor allem dann, wenn es in ihrem eigenen Interesse war.

      KAPITEL VIII

      Es ist seltsam, wie die Phantasie es versteht, das Leben herbeizurufen!

      Vor nicht ganz einem Monat habe ich vor dem Formulieren dieses Satzes und nur ca. zehn Buchseiten zurück, im VII. Kapitel, mein eigenes Verhalten und das von Orhan Pamuk mit dem von »Kindern, die Bildchen ihrer Lieblingsfußballspieler tauschen« verglichen. Ich tat das anlässlich unser beider Eigenlobs, wer über detailliertere Angaben zu den bekannten Ereignissen aus der gemeinsamen türkisch-serbischen Vergangenheit verfügt. Dieser Vergleich kam mir wie eine gelungene Illustration vor, weil ich mich in dem Augenblick erinnerte, wie wir irgendwann Ende der sechziger Jahre auf dem Belgrader Kopfsteinpflaster als Kinder unsere zur Hälfte arme Kindheit (als Jugoslawien dabei war, aus der Armut des klassischen Sozialismus herauszufinden und in die Phase des Führens der Bewegung der Blockfreien und des Akzeptierens des schädlichen kapitalistischen Lebensstandards eintrat) mit dem Tauschen von Bildern berühmter Fußballer verbrachten, die wir für unsere Fotoalben zu den Fußballweltmeisterschaften sammelten. Neben dem klassischen Tausch bedienten wir uns auch des berühmten Spiels »Trippeln«, mit dem wir auf sportlichem Weg einzelne Bildchen des Gegners im Spiel eroberten. Das hat uns irgendwie mehr in die ganze Geschichte hineingezogen. Wir hatten den Eindruck, dass wir mit unserer Fähigkeiten den Gewinn beeinflussen können und dass es nicht nur eine Frage des Zufalles und / oder des Glücks ist. Ich erinnere mich auch, dass niemand seine Bildchen einem anderen verkaufte und dass Geld als Kategorie in diesem Fall (ungeachtet des Führers, der uns restlos zur materiellen Welt hinführte) weder erwähnt, geschweige denn eingesetzt wurde. Es genügte, das vervollständigte Album dem Organisator dieser Lotterie zu schicken und mit der Ziehung des Gewinns aus der Trommel sein Glück zu versuchen.

      Warum erwähne ich das? Weil Übereinstimmungen in mir einen seltsamen Aberglauben hervorrufen, unter dem ich ansonsten weder leide noch an ihn glaube. In der Zwischenzeit nämlich, zwischen dem Schreiben der zitierten Worte und diesen, die ich gerade aufschreibe, flanierte ich mit Pamuk über einen der Plätze im Zentrum Belgrads mit dem Namen Terazije (noch ein türkisches Wort in serbischer Sprache). Seine jungenhafte und unerschöpfliche Neugier, auch meine, wie ich gestehen muss, trieb uns zum Hotel Moskau und zu einer Ansammlung von ungefähr hundert erwachsenen Männern und Jungs im Schulalter. Als wir ihnen näher kamen, sahen wir, dass sie Bildchen von Fußballern für die Fotoalben der Fußballweltmeisterschaft Anfang