Renato Baretic

Der achte Beauftragte


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die – meist mit einem Großmütterchen als Nachhut, häufig jedoch ohne jede Aufsicht – auf dem Pfad zwischen Weinreben und Kreuzen dahertrotteten und hinter dem Berg im Landesinneren verschwanden. Zurück ging es dann am frühen Abend. Alle anderen Räume auf der Etage waren verschlossen, einer sogar mit zwei Vorhängeschlössern. Ein doppelt isolierter Kader, so beschrieb Siniša in einer seiner Notizen sich selbst: Nicht nur, dass er auf dieser Insel vom Rest der Welt abgeschnitten war, auch die Inselbewohner trennten ihn von sich ab, indem sie ihn auf diese Seite des Gebäudes verbannten. In langen, leeren Stunden voller Erwartung und voller Hoffnung darauf, dass sich vielleicht doch noch irgendjemand für die beiden Inselparteien anmelden würde, und später, dass eine zweite unabhängige Liste gegründet würde, beschäftigte sich der Beauftragte zunächst mit dem Verfassen von Notizen über seine Arbeit, später mit Computerspielen auf dem Laptop und schließlich mit lustlosem Aus-dem-Fenster-Starren, um sich dann endlich dazu zu entschließen, Geschichten und Eindrücke von Drittchen aufzuschreiben. Vor der unvollendet gebliebenen Erzählung »Bonino und Tonkica« hatte er nur die ebenfalls unvollendete Geschichte »Die humanitären Mafiosi« über die Italiener geschrieben, die jeden Freitag mit dem bestellten Proviant auf die Insel kamen, manchmal mit einem flachen Schnellboot, meist aber mit zwei Booten. Die Beschreibung ihrer Physiognomien und ihrer Körperhaltung war ihm ganz hübsch gelungen, und noch hübscher – oder zumindest effektiver – das unkomplizierte Verhältnis, das sie zur kroatischen Küstenwache pflegten, die auf ihre Art mit ihnen Handel trieb: Im Austausch für Informationen über größere Schmuggelhaie und illegale Fischer erlaubten die Küstenwächter diese begrenzten Schmuggelaktionen auf das harmlose Drittchen nämlich. Ja, das war eine gute Geschichte. Siniša wollte sie gerade noch einmal lesen und ein effektvolles Ende schreiben, als er bereits das wohlbekannte Klopfen an seiner Bürotür hörte. Tock! Tock-tock!

      »Komm rein, Tonino«, sagte er mit müder Stimme.

      »Beautrotto, ich habe zwei Neuigkeiten. Präziser gesagt: eine gute und eine schlechte«, legte Tonino ohne Begrüßung los.

      »Ja?«, erwiderte Siniša müde und starrte weiter auf seinen Bildschirm.

      »Welche möchtest du als erste hören?«, fuhr Tonino fort, stolz wie Oskar, da er zum ersten Mal auf eine historische Situation zusteuerte.

      »Na dann, zunächst die gute, obwohl ich keine Ahnung habe, was hier gut sein könnte …«

      »Wir haben eine zweite Liste!«, schoss es blitzschnell aus Tonino heraus. Sein Gesicht strahlte.

      »Willst du mich verarschen!? Das ist doch wohl nicht dein Ernst?!«, begeisterte sich der Beauftragte. Endlich wandte er sich seinem engsten Mitarbeiter zu. »Eine zweite Liste? Eine zweite unabhängige Liste für die Wahlen?«

      »Freilich!«

      »Mein Gott, das ist ja phänomenal! Und wer ist es? Wessen Liste ist es, wer steht dahinter?«

      »Selim Ferhatović«, antwortete Tonino in demselben stolzen Tonfall.

      Siniša schreckte jählings auf.

      »Tonino … Mein Übersetzer – viel mehr noch, mein amtlicher Übersetzer – fängst du jetzt auch an, mich auf den Arm zu nehmen? Was für ein Slimplim? Und wie weiter? Fer… – wie?«

      »Nicht Slimplim, sondern Selim. Selim Ferhatović. Ein Zugezogener. Seines Zeichens Bosnier – ein Moslem. Er ist vor einem Jahr hierhergekommen. Zuerst gab es ein paar Missverständnisse, aber er hat sich sehr schnell eingelebt.«

      Der Beauftragte setzte sich wieder und starrte auf den Riss in der Wand unter dem Fenster. Beide schwiegen eine halbe Minute lang.

      »Nun gut«, begann der Beauftragte schließlich, sobald der »wahre Siniša« besiegt an Toninos Fersen vorbei unter der Tür hindurch entschlüpft war. »Ist dieser Ferhatović an sich schon die schlechte Nachricht? So scheint es mir jedenfalls. Oder gibt es eine noch schlechtere?«

      »Leider ja. Er sagt, dass er seine Liste nur dann aushängen wird, wenn man es ihm ermöglicht, schon vor den Wahlen eine Koalitionsabsprache mit Bartuls TAIL zu vereinbaren.«

      »Sag das bitte noch einmal, aber ganz langsam, Tonino …«

      »Hm, also Ferhatović hängt seine Liste nicht aus, wenn ihm nicht erlaubt wird, noch vor den Wahlen mit der einzigen konkurrierenden Liste zu koalieren.«

      In diesen anderthalb Monaten hatte Siniša bereits unzählige Male gedacht, dass es am besten wäre, Drittchen zu verlassen, alles hinzuwerfen und sein Leben in Zagreb fortzusetzen, so wie er es gewohnt war. Doch sobald ihm solche Gedanken in den Sinn kamen, erinnerte er sich daran, dass das nicht mehr annähernd jenes Leben sein würde, das er in seiner Erinnerung trug. In der Partei würde ihn niemand mehr achten und der Chef würde ihn bestenfalls auf einen Posten unter ferner liefen abschieben, so als hätte es diese fünfzig Tage nach der Affäre nie gegeben … Der Wechsel zu einer anderen Partei, egal ob sie sich in der Koalition oder der Opposition befände, wäre ebenfalls äußert fragwürdig: Selbst wenn ihn jemand aufnähme, ohne der frischen Last seines verheerenden Falls Beachtung zu schenken – welche Position würde ihm schon zuteil werden? Sicher keine verantwortungsvolle oder zumindest symbolisch wichtige. Was auch immer er tun würde und egal wohin er gehen würde, so schloss er jedes Mal, seine Situation wäre wahrscheinlich noch weniger vorteilhaft als hier. Also dann …

      »Okay, sag mir, was für ein Spiel spielt dein Slimplim aus Bosnien?«, fragte er nach längerem Schweigen.

      »Tja, das würde ich auch gerne wissen. Bisher hat er sich nie blicken lassen. Er kam direkt, nachdem das Mandat deines Vorgängers abgelaufen war, des siebten Beautrotto, und … Nein, warte mal, direkt danach oder direkt davor … Hm.«

      »Ey! Hey, Tonino! Hallo!« Der Beauftragte sprang erschrocken vom Stuhl auf. »Hey, versink mir jetzt bitte nicht, das ist definitiv das Letzte, was ich in dieser Situation brauchen kann. Hörst du mich? Hörst du mich, verflucht noch mal?!«

      »Natürlich höre ich dich. Was hast du denn?«

      »Nichts, sorry, Entschuldigung. Hör mal, wann könnten wir diesen Bosnier mal besuchen?«

      »Was mich betrifft, jederzeit.«

      In weniger als einer Minute hatten sie sich auf den Weg gemacht, aber auf der Zwischenetage über dem Erdgeschoss blieben sie doch eine Viertelstunde stehen, genau an der Stelle, an der Tonino, der vor langer Zeit hier zur Schule gegangen war, die Erinnerung an eben diese Schulzeit überkam.

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