der Zeit ein wirklicher Wohngemeinschafts-Kumpel. Wir praktizierten eine ganz eigene Art des Zusammenwohnens. Er war damals Soldat im Grundwehrdienst, war mit der Verweigerung gescheitert, hatte kaum Geld und keine Lust auf die Übernachtungen in der Kaserne, also fragte er mich, ob in unserer WG ein Zimmer oder Schlafplatz frei wäre.
In unserer siebenköpfigen WG gab's kein freies Zimmer, aber ich fuhr zu der Zeit fast jede Nacht Taxi.
Mein Bett war also Teilzeit-frei oder eben Teilzeit-belegt. Naja, und so teilten wir uns für das nächste halbe Jahr eben ein Bett.
Bedsharing.
Wenn ich morgens von der Schicht nach Hause kam, weckte ich ihn oder er war schon aufgestanden und zum Bund gefahren. Mein Bett war während dieser Zeit – ohne Übertreibung – dauerwarm. Ich habe nie wieder so eng mit jemandem auf rein platonischer Basis zusammengelebt, aber auch nie wieder ein Auto durch die Kosten eines Telefongesprächs verloren. Ich habe aber auch nie wieder bei meiner Abreise einem Freund gesagt, er möge bitte auf meine Freundin achten und auf sie aufpassen, so weit ging mein Vertrauen nie wieder. Außerdem fuhr und fahre ich auch zu gerne Auto. Irgendwie war das alles aber auch Blues, und zwar was für einer …
Der Blues brachte und bringt so manche harte Lebens-Prüfungen und Hindernisse mit sich, die es erstmal zu überwinden galt und gilt.
»Zum Gitarrespielen sind deine Finger zu klein!« Das war die tiefst enttäuschende Antwort, die ich erhielt, als ich zu Hause fragte, ob ich Gitarre lernen darf. Mein Vater besaß eine kleine, alte, warm klingende Wandergitarre, die bei uns weitgehend unbenutzt und unglücklich in der Ecke stand, weil niemand mit ihr spielte. Leider weigerte sich mein Vater, mir einiges auf der Gitarre beizubringen.
Stattdessen hieß es: »Spiel erst mal Klavier, das ist sowieso die Königin der Instrumente …«
»Kann ich denn später Gitarre lernen?«
»Ja, das können wir dann mal sehen …«
Also begann ich im Alter von acht Jahren mit dem Klavierunterricht, nachdem ich zuvor bereits ungefähr ein Jahr Glockenspiel und ein weiteres Jahr tapfer durch die musikalische Hölle des Blockflötenunterrichts gegangen war. Alles ohne Tränen. … Ein Indianer kennt keinen Schmerz …
Blockflöte sollte ich erstmal als musikalische Grundlage lernen. So wurde damals von den Musiklehrern der städtischen Musikschule argumentiert.
Grundlage?
Wofür?
Ich möchte wirklich wissen, was für eine musikalische Grundlage mir die Blockflöte geben sollte. Wenn man Blockflöte als »musikalische Grundlage« erlernt und nicht, weil man es gerne möchte, stellt das Blockflötenspiel eine nicht unerhebliche nervliche Belastung aller Personen in der näheren Umgebung dar. Ich wollte einfach Gitarre lernen, nur Gitarre, sonst nichts.
Wahrscheinlich war das Blockflötentrauma oder die Blockflötenhölle eine entscheidende Hürde, die ertragen und bewältigt werden musste, gewissermaßen als mentale Abhärtung und Vorbereitung für den späteren, eigentlich nie endenden Existenzkampf als Musiker. Die Blockflöte war sozusagen mein musikalisches Fegefeuer …
Wer das Stahlbad Blockflöte überdauert und untraumatisiert gemeistert hat, darf sich berechtigte Hoffnung auf ein erfülltes musikalisches Leben machen.
Dass meine Hände für die Gitarre zu klein, fürs Klavier aber groß genug waren, lag wohl einerseits am gesellschaftlichen Status, den das Klavier als Instrument in den Sechzigern darstellte und wohl auch noch heute darstellt und andererseits an der damaligen verstaubten, altmodischen und knochenkonservativen Leitung der städtischen Musikschule.
Es ist bis heute erstaunlich, in wie vielen Wohnungen und Häusern irgendwo ein altes Klavier oder ein edler Flügel herumstehen, oft nur dekorativ und ungeliebt, weil niemand eines dieser Instrumente spielt. Man muss Musikinstrumente spielen, sonst leiden sie.
Ich mochte das Klavier als Instrument nie besonders gerne, zumindest war es nie eine Beziehung, die auf gegenseitiger Liebe basierte und die auch nur einen Anflug von aufkeimender Leidenschaft zuließ. Vielmehr ertrug ich den Klavierunterricht und auch die Konzerte, die ich von Zeit zu Zeit bei bestimmten Anlässen, mich dem geballten Druck der Eltern und der Musikschule ergebend, auf dem Klavier spielen oder vortragen musste.
Das hatte auch sein Gutes, denn ich betrat völlig immer unaufgeregt eine Bühne und spielte mein Konzert oder Vortragsstück runter. Einfach so. Danach stand ich auf, verbeugte mich und verließ unter donnerndem, ja tosenden Applaus die Bühne. Einfach so. Ich freute mich, dass es vorbei war. Der Applaus war nach dem Klavier-Vorspielen immer das Beste, bedeutete es doch für mich das von Anfang an angestrebte Konzert-Ende.
Der Klavierunterricht war im Nachhinein betrachtet eine siebenjährige Durchgangsstation, geprägt und genährt von der Hoffnung auf Gitarren-Unterricht, aber einer ganz guten Gehörschulung.
»Wenn du drei Lieder auswendig auf dem Klavier spielen kannst, bekommst du von uns und Opa eine Uhr geschenkt!« – Da war sie: Meine erste Gage! Eigentlich war's ja eher eine miese Bestechung, aber ich bekam Geld für eine musikalische Gegenleistung, wobei die Bandbreite der musikalischen Gegenleistung in meinem weiteren Leben deutlich reduziert wurde, was aber nicht an der Unkenntnis vieler Songs und Liedern liegt, als mehr an der für mich manchmal unerträglichen musikalischen Qualität … Ich kann das beurteilen und kann mitreden, denn ich habe später auch Musik gespielt, die ich nicht mal vom Weghören aus dem Radio kannte, geschweige denn die dafür einschlägig bekannten Radiosender jemals hörte. Ich habe mit dieser Musik so viel Geld verdient, aber es war immer ein »Hand-aufmachen« und »Ohren-zumachen«, was nie absolut gelang, da ich mit einigen dieser fiesen Melodien im Kopf nicht nur einschlief, sondern auch noch damit aufwachte und dann hartnäckig-treu durch den ganzen nächsten Tag begleitet wurde. Musste ich abends noch so eine Aushilfe spielen, wurde das ganze musikalisch »recycled«. Das ist die andere Seite eines Musikers, man ist auch bis zu einem gewissen Grade käuflich, sozusagen eine musikalische Hure … Zum Vorspielen auf der Blockflöte wurde ich hingegen nie aufgefordert, von einer ausgelobten Prämie für eine Unterrichts-Verlängerung ganz zu schweigen …
Aber die erste ausgelobte Gage stand: Ich übte also, bis ich die ersten drei – natürlich einstrophigen, sehr kurzen Lieder – auswendig auf dem Klavier spielen konnte. Nicht, dass es mir besonders Spaß machte, aber ich wollte unbedingt die Uhr haben. Daran war aber auch noch die Bedingung geknüpft, dass ich für zunächst drei weitere Jahre beim Klavierunterricht bleibe. Drei Jahre! Eine endlose Zeit und ich hoffte so sehr auf das Wachsen meiner angeblich zu kleinen Hände und entwickelte später eine Faszination für Knastfilme …Gefangenschaft verbindet eben …
Mein damaliger Klavierlehrer, Herr Mylla, war ein strenger, humorloser, kinderloser, verkniffener, kettenrauchender Mann. Er zündete sich immer mit einer bis zum Filter heruntergerauchten Zigarette die nächste an.
Strenge war in den Sechzigern oft ein pädagogischer Gradmesser für die Eltern, um zu beurteilen, ob der Lehrer denn auch gut war. Je strenger, desto besser und Herr Mylla nahm da einen unangefochtenen Podestplatz ein.
Der Klavierunterricht fand in einem Klassenraum meiner Volksschule statt. Wenn es kalt war, waren die Fenster geschlossen und die Luft im Klassenzimmer verqualmt. War es draußen warm und regenfrei, war ein Fensterflügel geöffnet und die Luft drinnen etwas erträglicher.
Im Grunde genommen hat mich diese verrauchte Luft aber gar nicht so sehr gestört, ich kannte es sowieso nicht anders, da es für mich als Kind in den Sechzigern wie selbstverständlich zur Welt der Erwachsenen dazugehörte, dass alle rauchten.
Bei Familientreffen, Weihnachtsfeiern, Kindstaufen, Beerdigungen, bei uns zu Hause, im Auto, morgens in der Küche, selbst beim Blick in die Baby-Wiege oder den Kinderwagen, immer und überall wurde geraucht. Das Rauchen gehörte für mich zum Erwachsenwerden und Erwachsensein unverknüpfbar dazu.
Man