die Beweglichkeit der Gruppe, von der allein es abhängig war, ob sie den Soldaten entwischen würden oder nicht, eine starke Belastung darstellte.
Der Trupp bestand nur noch aus 17 Mann. Gegen Mittag des 7. Oktober stieß eine Bauersfrau auf der Suche nach einer Ziege, die sich von der Herde entfernt hatte, auf das Lager der Guerilleros. Che notierte an diesem Tag:
»... 11 Monate sind seit Beginn unserer Guerilla ohne Schwierigkeiten vergangen ...« (Eine stoische Untertreibung. Die Guerilla war eine Kette von Schwierigkeiten, Fehlern und Katastrophen gewesen.) »... der Vormittag verlief ohne Gefahr in einer fast idyllischen Stimmung. Gegend 12.30 Uhr betrat eine Alte, die ihre Ziegen weidete, die Schlucht, in der wir unser Lager aufgeschlagen hatten. Wir haben sie festnehmen müssen. Die Frau gibt keinerlei glaubwürdige Auskunft über die Soldaten. Auf alles antwortete sie nur, dass sie nichts wisse und die Soldaten schon lange nicht mehr hier gewesen seien. Nur über den Weg machte sie Angaben, aus denen zu entnehmen ist, dass wir uns ungefähr eine Meile von Higuera, eine Meile von Jague und zwei Meilen von Pucara entfernt befinden. Gegen 17.30 Uhr gingen Inti, Aniceto und Pablito zum Haus der Alten, die zwei Töchter hatte, die eine kränklich, die andere ein halber Zwerg. Wir gaben ihr 50 Pesos und verpflichteten sie, nichts auszuplaudern. Wir haben jedoch trotz ihrer Versprechungen wenig Hoffnung, dass sie sich daran halten wird.«
Das Auftauchen der alten Frau hatte die Guerilleros nervös gemacht. Sie diskutierten und analysierten andere solcher Vorkommnisse. Zu den meisten Verlusten war es bisher immer durch Informationen der bäuerlichen Zivilbevölkerung an das Militär gekommen.
»Diese Bauern sind undurchschaubar wie Steine«, hat Ernesto in sein Tagebuch geschrieben. Ein Satz, in dem sich Zorn und Enttäuschung mischen und hinter dem sein intensives Verlangen spürbar wird, es möge doch anders sein. Die Guerilleros entschieden sich, ihr Lager abzubrechen.
In der Abenddämmerung des 7. Oktober begann die Gruppe, die Schlucht des Churo-Baches hinauf zu marschieren. Che berichtet darüber in der vorletzten Eintragung seines Bolivianischen Tagebuches.
»Wir, die restlichen 17 Mann, brachen bei sehr schwachem Mondlicht auf. Der Marsch war beschwerlich. In der Schlucht, in der wir uns bewegten, hinterließen wir viele Spuren. Es gab in dieser Gegend keine Häuser, nur kleine, bewässerte Kartoffeläcker. Gegen zwei Uhr nachts machten wir halt. Wir konnten einfach nicht mehr weiter. Wenn wir nachts marschieren, benimmt sich Chino jedesmal wie ein altes Weib. Höhe 2.000 m.«
Am Abend dieses 7. Oktober versuchte der Bauer Victor Colomi, etwas Wasser aus dem Rinnsal des Churo-Baches auf seine Kartoffelfurchen zu leiten. Er öffnete den Zulauf zum Bewässerungssystem, streckte sich und hielt nach einem Baum Ausschau, an den er sich anlehnen konnte. Bald darauf hörte er Schritte und leises Sprechen. Er bekam Angst und versteckte sich hinter einem breiten Stamm. Er sah dann bärtige Männer vorbei gehen. Sie schleppten schwer an ihren Rucksäcken. Alle waren bewaffnet. Zuerst zählte er drei. Er wartete noch einige Minuten und weitere Männer kamen. Insgesamt waren es 17. Sie hatten ihn nicht gesehen.
Dem Bauer war sofort klar, wen er da vor sich hatte, denn überall sprach man von den Guerillas, und die Regierung hatte eine hohe Belohnung auf ihr Ergreifen ausgesetzt.
Die Sympathien der Indio-Bevölkerung, die in dieser entlegenen Landesecke von Bolivien kärglich ihr Leben fristete, galten zumeist der Regierung.
Wie ist das zu erklären?
Einmal war es den Guerilleros nicht gelungen, den Indios ihre Ziele deutlich zu machen. Die Eingeborenen in diesem Gebiet sprechen Quechua und Guarani, beides Indianersprachen, von denen Guevaras Männer höchstens ein paar Brocken verstanden und artikulieren konnten.
Auch Guevara selbst hatte sich, trotz seiner Vorliebe für die Indianer, nie die Mühe gemacht, eine der wichtigen Indiosprachen gründlich zu lernen. Er hatte sich darauf verlassen, man werde als Verständigungsmittel mit Spanisch durchkommen.
Guevara war Argentinier. Sein Spanisch hatte einen sofort erkennbaren argentinischen Akzent. Er war ein Fremder - ein Fremder in einem Landesteil Boliviens, in dem die Mehrzahl der Bevölkerung durch die geschichtlichen Ereignisse in der Vergangenheit für Argentinien eher Abneigung als Sympathien empfand. Und noch etwas kam hinzu: General René Barrientos Ortuños, der Präsident, der um diese Zeit Bolivien im Stil eines Militärdiktators regierte, war ein Indio und stammte aus dieser Gegend. Wie immer die Intellektuellen und die Bergarbeiter seine politische Handlungsweise beurteilen mochten, durch seinen sicheren Instinkt für prestigeträchtige und gerade den Indios imponierende Handlungen genoss er in seiner Heimatprovinz Ansehen und galt zudem, da er schon mehrere Attentate und Unfälle auf nahezu wunderbare Weise überstanden hatte, als »kugelsicher«.
Will man die Meinung der Indios auf eine knappe Formel bringen, so könnte man sagen: Sie waren nicht in der Lage zu begreifen, was die Guerilleros eigentlich wollten. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass eine Veränderung der Lebensbedingungen möglich war. Sie waren unwissend. Ihr Aberglaube und ihre Unwissenheit ließen sich nicht so leicht aufbrechen. Sie bewunderten Barrientos - einen Mann aus der Gegend, der es bis zum Präsidenten gebracht hatte. Die Guerillatätigkeit bedeutete für sie Unruhe, Ärger mit den Behörden. Wenn sie die Guerilleros unterstützten, würde man ihnen ihre Hütten bombardieren. Wenn sie zu ihrem Präsidenten hielten, winkten ihren Dörfern vielleicht ein paar tausend Pesos Belohnung und andere Vorteile.
Für Victor Colomi blieb die ganze Nacht Zeit, um zu überlegen, was er nun tun sollte, denn die Armee hatte aus Sicherheitsgründen eine Ausgehsperre zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen verhängt. Es wurde also Morgen, der Morgen des 8. Oktober, bis Colomi seinen Sohn nach Higuera schickte, das zweieinhalb Meilen entfernt lag. Dort hatte der Kommandeur der Kompanie, der die Überwachung dieser Region übertragen worden war, sein Quartier aufgeschlagen. Der Bote traf aber Capitano Gary Prado Salmon in Higuera nicht an und musste weiter ins nächste Dorf, Abra del Picacho. Dort berichtete er, was sein Vater in der Nacht entdeckt hatte.
Capitano Prado verständigte sofort das Hauptquartier der 8. Division in Valle Grande und traf Vorkehrungen, die Guerilleros einzukesseln.
Die Churo-Schlucht verläuft ungefähr von Norden nach Süden. Prado stellte eine Abteilung unter Befehl von Leutnant Carlos Pérez am oberen Ende der Schlucht auf, also gegen Norden hin, um so diesen Ausgang zu sperren. Leutnant Eduardo Huerta und seine Abteilung bezogen eine ähnliche Position in der Tusca-Schlucht, die im Osten an die Churo-Schlucht angrenzt. Prado selbst postierte, sich mit dem Rest seiner Soldaten dort, wo beide Schluchten zusammenlaufen. Er befand sich etwa eine Meile südlich des Standortes von Leutnant Pérez ...
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