Frederik Hetmann

Ich habe sieben Leben


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sein. Ihr demagogischer Einfluss nahm immer weiter zu.

      Ernesto durchschaut die Scheinrevolution, die unter Perón in Argentinien abläuft. Er hält Verbindung mit oppositionellen Studentengruppen, aber mehr, um zu beobachten und zu analysieren. Er sieht keine reale Chance, die politischen Verhältnisse zu verändern. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Es gibt keine integre politische Partei oder Gruppe im Land, für die zu engagieren es sich lohnen würde. Die studentische Opposition gegen den starken Mann, der noch das Heer und eine linksfaschistische Gewerkschaftsorganisation hinter sich hat, ist zu schwach.

      Das Beste wäre, sich diesem Saustall für eine Weile zu entziehen, frische Luft zu atmen, sich umzusehen, diesen ganzen gewaltigen Kontinent kennenzulernen, auf dessen Befreiung zu hoffen, wovon Ernesto niemals ablässt. Seine Freunde, die Brüder Granados, haben ähnliche Pläne. Im Herbst 1951 sprechen Alberto und Tomas von einer weiten Motorradtour, die sie zum ersten Mal über die Grenze Argentiniens hinausführen soll. Tomas erklärt, er müsse die Herbstferien dazu benutzen, um für sein Studium zu lernen.

      »Aber wen soll ich dann mitnehmen?« fragt Alberto. »Eine solche Reise sollte man zu zweit machen.«

      »Frag doch Ernesto, ob er nicht Lust hat. Der ist doch immer für Reisen zu haben.«

      »Ja«, sagt Alberto und schnippt vergnügt mit den Fingern, »ganz klar, Ernesto wäre der richtige Mann dazu.«

      In den nächsten Tagen taucht Ernesto wieder einmal in der Leprastation auf. Er ist von den Plänen des Freundes begeistert. »Sehr gut«, sagt er, »nur raus aus dem Tollhaus! Ich bin noch nie in Patagonien gewesen... Dann Chile! Von dort nach Bolivien, Peru. Alberto, wir müssen unbedingt nach Machu Picchu ... und zum Amazonas. Wenn ich darüber nachdenke, was wir alles noch nicht gesehen haben. Ja, das werden wir machen!«

      Um die Zeit, da dieses Gespräch stattfindet, sind die Peróns auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Im Juli hat Evita ihre Nominierung als Vizepräsidentin Argentiniens zunächst akzeptiert.

      Im gleichen Monat stimmt der argentinische Kongress einem Gesetz zu, durch welches die Territorien La Pampa und Chaco in Provinzen umgewandelt werden, die den Namen Eva Perón und Presidente Perón erhalten.

      Ende August tauchen in allen größeren Städten Argentiniens Plakate auf, mit denen die in der peronistischen Gewerkschaft zusammengeschlossenen Arbeiter Perón und Eva auffordern, als Präsident und Vizepräsidentin zu kandidieren. Gleichzeitig aber sickern die ersten Gerüchte durch, dass Eva an einer unheilbaren Krankheit leide.

      »Du wirst sehen«, spottet Ernesto im Gespräch mit Alberto, »wir werden noch das Wunder erleben, dass sie stigmatisiert, um an der Macht zu bleiben.«

      Am 31. August aber lehnt Evita es in einer Rundfunkansprache ab, für das Amt der Vizepräsidentin zu kandidieren. Sie erklärt: »Ich entziehe mich nicht der Pflicht, aber ich verweigere mich dieser Ehrung. Alles, was ich mir wünsche, ist, dass die Geschichte einst überliefern wird, es hat an der Seite von General Perón eine Frau gegeben, die ihm die Hoffnungen und die Not des Volkes nahe brachte, und diese Frau hieß Evita.« Sofort schlägt die peronistische Gewerkschaft vor, den 31. August in Zukunft als »Tag des Widerrufs« zu feiern.

      Am 28. September 1951 nimmt General Benjamin Menendéz die immer grotesker werdenden Ausbrüche von Cäsarenwahnsinn zum Anlass und putscht gegen das Regime.

      Obwohl Eva tatsächlich schwer krank ist, hält sie eine melodramatische Rundfunkansprache und ruft die Massen zur Loyalität auf. Der Putsch scheitert. Noch einmal kommt das Regime Perón über die Runden.

      Ernesto und Alberto sind mit dem Motorrad unterwegs. Ihr vagabundieren durch den südamerikanischen Kontinent hat begonnen …

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      ... sinnlos, auf die Straße zu gehen

      Die Armee marschiert

      24. September 1967. Truppenparade in Santa Cruz, Bolivien. Anlass ist der Gedenktag an eine Schlacht im Krieg der Nationalen Befreiung, jenes Krieges, in dem im 19. Jahrhundert mit einer Kette von Aufständen und Revolten das Land seine nationale Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialmacht erkämpfte.

      Die Sechserreihen der Abteilungen lösten sich auf. Die Soldaten marschierten nun im Gänsemarsch. Die Vertreter der Behörden und die Generäle, die auf der Festtribüne saßen, applaudierten, als die Truppen an der Fahne vorbeizogen. Die jungen Rekruten warfen den Kopf in den Nacken und drückten die Brust heraus.

      Die Zuschauer erhielten einen Eindruck von der Feuerkraft der einzelnen Gruppen. Sie sahen die mattglänzenden FAL- und SIG-Gewehre, die aus Argentinien und aus der Schweiz stammten. Auf der Feldausrüstung wie auf den Tarnanzügen der sogenannten Ranger waren die Etikette der US-Army zu erkennen.

      Die Kampfhandlungen zwischen der bolivianischen Armee und der Guerillagruppe unter Führung von Ernesto Guevara dauerten zu diesem Zeitpunkt, Ende September, schon über sechs Monate an.

      Im März 1967 hatte die Regierung durch zwei Überläufer, die sich bei der Polizei in Camiri stellten, zum ersten Mal Kenntnis über die Existenz von Guerilleros in den Vorbergen der Zentralkordillere im Department Santa Cruz erhalten. Der Armee war es dann zwar gelungen, die Guerillas aus ihrem Ausbildungs- und Basislager bei Ñancahuazú zu vertreiben, ihre im Kampf gegen Partisanen ungeübten Truppen hatten aber bei diesen Gefechten beträchtliche Verluste hinnehmen müssen.

      Im Laufe des Monats April waren über 2.000 Mann gegen die Guerillas aufgeboten worden, ohne dass die Regierung Herr der Lage wurde.

      Die Guerillas konnten ausweichen und bei Überfällen auf unzureichend geschützte kleinere Ortschaften mehrmals gewisse Erfolge erzielen.

      Die Generäle räumten in Verlautbarungen gegenüber der Presse nun ein, dass sich die Kämpfe doch noch über mehrere Monate hinziehen könnten, nachdem sie zunächst von einem raschen Sieg gesprochen hatten.

      Im Juni wurde die Situation für die bolivianische Regierung sogar recht kritisch. Es kam zu Unruhen in den weiter nördlich gelegenen Bergbaugebieten von Catavi und Siglo XX. Nach Zusammenstößen zwischen Arbeitern aus den Zinnminen und Militär brach ein Streik aus. In La Paz und anderen größeren Städten demonstrierten Lehrer und Studenten gegen das Militärregime. Präsident Barrientos verhängte über das ganze Land den Ausnahmezustand.

      Ein direkter Zusammenhang zwischen der Guerillabewegung und den Unruhen im Bergbaugebiet bestand allerdings nicht. Auch war keine Verständigung über gemeinsame Aktionen zwischen den Führern der Streikbewegung und den Guerilleros möglich. Aber die Armee musste ihre Elitetruppen aus dem Gebiet der Guerilla abziehen und sie gegen die rebellierenden Arbeiter einsetzen.

      Am 30. Juni 1967 brach der Streik zusammen. Ohne ihre Lohnforderung durchsetzen zu können, kehrten die Bergleute von Catavi und Siglo XX an ihre Arbeitsplätze zurück. Etwa um die gleiche Zeit ging bei Ches Guerilla-Gruppe das Tonbandgerät verloren, das für die Dechiffrierung von Botschaften aus Kuba unerlässlich war. Die Verbindung zwischen dem Haupttrupp und der Nachhut riss ab und konnte nicht mehr hergestellt werden.

      Die Regierung schickte weitere Eliteeinheiten der Armee zur Verstärkung der die Guerillas verfolgenden Truppen in das entlegene und unübersichtliche Gebiet im Südosten des Landes, wo es nun gelang, die Nachhut Guevaras in eine Falle zu locken und zu vernichten.

      Der Haupttrupp aber, bei dem sich Che befand, konnte sich, trotz zunehmender Verluste und wachsender Schwierigkeiten, noch immer einer Einkreisung auf engerem Raum entziehen und vereinzelte Überraschungsangriffe auf kleinere Ortschaften wagen.

      Gleich nach Bekanntwerden der ersten Nachrichten über die Guerillas war auf einer Stabsbesprechung hoher Offiziere der bolivianischen Armee in Cochabamba erwogen worden, ob man die USA um die Entsendung von Truppen ersuchen solle.

      Oberst Zenteno Anaya, der Leiter der Offiziersschule, hatte sich damals entschieden gegen diesen Plan ausgesprochen und war mit seiner Meinung durchgedrungen. Man fürchtete, eine direkte Intervention der USA werde in der Weltöffentlichkeit zu großes Aufsehen erregen. Die Parallelen zu den Ereignissen in Guatemala,