Frank Winter

Dicke Luft in der Küche


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Und noch brenzliger würde es werden, wenn des Majors Unpässlichkeit mit dem Whiskylikör zusammenhinge. Oft schon hatte MacDonald sich gefragt, wie viele Lebensjahre die harmlos wirkenden Flaschen in Mrs Sinclairs Hausbar auf dem Buckel hatten. »Sicher haben Sie sich doch auch ein Gläschen gegönnt? Ich meine, angesichts der Umstände und so?«

      »Zwei sogar, eines vor und noch eines nach seiner Ohnmacht. Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen.«

      »Selbstredend. Es wäre nun gut zu wissen, ob der Gentleman noch unter uns weilt.«

      »Und wie soll ich das feststellen?«

      »Sie könnten ihn beispielsweise leicht rütteln.«

      »Unmöglich! So etwas schickt sich für eine Dame nicht. Was sollen denn die Nachbarn denken!«

      »Sie haben noch weiteren Besuch?«

      »Nein, aber es gehen doch fortwährend Menschen an meinem Wohnzimmer vorbei.«

      Mrs Sinclair war, von gelegentlichen Ausrutschern wie einem Gläschen Alkohol abgesehen, eine strenge Presbyterianerin. Weil sie als solche nichts zu verbergen hatte, gab es im gesamten Haus keine Gardinen. »An Ihre ungeschmückten Fenster hatte ich nicht gedacht. Sie können demnach nur noch einen Krankenwagen rufen.«

      »Dem Major würde das gar nicht behagen.«

      Nicht, wenn er seine leibliche Hülle bereits verlassen hat, dachte MacDonald. »Und weshalb nicht?«

      »Er ist sehr strikt, müssen Sie wissen, so wie ich auch. Seiner Ansicht nach muss jeder Mensch für sich selbst sorgen. Undenkbar, dass er wegen einer vorübergehenden Unpässlichkeit eine Ambulanz in Anspruch nähme.«

      »Was ist denn vor seiner Ohnmacht geschehen? Ich meine, außer dass er ein Gläschen Drambuie trank?«

      Mrs Sinclair hustete so laut, dass MacDonald hastig den Hörer vom Ohr zog. »Ich bin eine ehrbare Person!«, erwiderte sie mit Nachdruck.

      »Natürlich sind Sie das. Aber Sie haben doch bestimmt über irgendetwas gesprochen, nicht wahr? Kommt Major Lockhart jeden Montag bei Ihnen vorbei?«

      »Das tut er gewiss nicht! Er rief mich heute am frühen Morgen an. Wir kennen uns schon so lange und ich spürte gleich, dass etwas nicht stimmt mit ihm, so bedrückt, wie er klang.«

      »Hat er Ihnen anvertraut, warum er so deprimiert ist?«

      »Ich glaube, das wollte er, doch dann fiel er einfach um.«

      »Könnte es um seine Familie gehen?«

      »Möglicherweise, doch spricht er nicht gerne über sein Privatleben. Er hat, äh, seine Frau vor einigen Jahren verlassen.«

      »Dergleichen Dinge kommen heutzutage in den besten Familien vor.«

      »Aber er hätte doch nicht umgehend eine jüngere Dame ehelichen müssen!«, erwiderte sie entrüstet.

      Was für ein Temperamentsausbruch! MacDonald salutierte verblüfft in sein Wohnzimmer. »Natürlich nicht.«

      »Keine falsche Bewegung!«

      »Ich sitze hier ganz gemächlich in meinem Sessel und lausche Ihnen, meine Liebe. Ohne ein Anzeichen unnützer Mobilität … hallo, Mrs Sinclair! So antworten Sie doch bitte!«

      »Nein!«, rief jemand in den Hörer. Ein Schuss fiel und dann brach die Verbindung ab. MacDonald erhob sich ungestüm aus seinem Sessel und riss dabei eines der Beistelltischchen um. Die gesammelten Weisheiten mehrerer Generationen von Atkins-Exegeten purzelten auf den Teppich. Karen, seine Hausund Leibärztin, hatte ihm das Abnehmen wieder einmal dringlichst ans große Herz gelegt. Mit den schweren Bänden wollte er die Höllenqual, die ihm bevorstand, theoretisch untermauern, ehrlicherweise aber auch ein wenig hinauszögern. »Das mobile Telefon nicht vergessen, Angus«, mahnte er sich. Obwohl kein großer Anhänger dieser Gerätschaften, waren sie doch mitunter nützlich. Mrs Sinclair verfügte auch über diese Nummer. Vielleicht würde sie ihn ja unterwegs anrufen. Wer hatte bloß ›nein‹ in den Hörer gebrüllt? Es war nicht zu erkennen gewesen, zu welchem Geschlecht die Stimme gehörte. Aufgeregter Herr oder Dame in tiefer Tonlage? Und warum wurde eine Feuerwaffe benutzt? Sein treues Gefährt, ein feuerroter VW Käfer, sprang auf Anhieb an und er legte einen rasanten Start hin. Den Vögeln der Nachbarschaft, die sich gerade ein frugales Mahl zusammenpickten, behagte der Lärm überhaupt nicht. Entsetzt flatterten sie davon. MacDonald blickte durch die Windschutescheibe nach oben, auf das unübersichtliche Gemenge von Federn. Wenn das nur kein schlechtes Omen war. Verblüffend schnell gelangte er auf die Leith Street und nur eine Viertelstunde später läutete er bei Mrs Sinclair Sturm. In den Nachbarhäusern beobachtete man ihn scharf. Unter internatsgleicher Kuratel zu leben, war nicht einfach. »Was ist das, Angus?«, fragte er sich und wiegte die Nase rhythmisch hin und her. Ja, es musste ein Dundee Cake sein. Die Dame des Hauses war über die Stadtgrenzen hinaus für ihre Backkünste bekannt. Als sie sich hörbar der Haustür näherte und öffnete, wie immer ganz in schwarz gekleidet, erschrak sie. »Mister MacDonald, mit Ihnen hatte ich nicht gerechnet.« Besorgt blickte sie zu den Anwohnern, die sich ruckartig von ihren Posten zurückzogen, wie ein Regiment unter heftigem Beschuss.

      »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Sie erzählten mir doch, dass ein Gentleman auf Ihrem Bengali liegt. Ich wusste nicht, ob er noch am Leben ist und …«

      »… ob ich ihm ein Glas Drambuie mit abgelaufenem Verfallsdatum eingeschenkt habe.«

      MacDonald errötete. »… sich bei dem Schuss jemand verletzte, wollte ich sagen.«

      »Major Lockhart geht es bereits besser. Der Schuss löste sich aus Versehen, als ich seine Pistole vom Boden auf den Tisch legte. Aber kommen Sie doch erst einmal herein.«

      Sie führte ihn ins Wohnzimmer, einem hellen Raum mit wunderbaren, antiken Möbeln, durchweg Erbstücke und seit Generationen im Besitz der Familie Sinclair. Als MacDonald niemanden auf dem Boden ausmachen konnte, war er ein wenig konsterniert. »Wo ist denn Mister Lockhart?«

      »Er wäscht sich nur kurz die Hände. Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Es muss ja kein Drambuie sein. Wie wäre es mit einem kleinen Laphroaig

      Pro forma zeigte MacDonald auf die mannshohe, Ehrfurcht gebietende Standuhr. »Es ist erst elf Uhr.«

      »Ich weiß, ich weiß. Sie haben aber doch gewissermaßen ein professionelles Interesse an Speis und Trank.«

      »Also gut, Sie haben mich überredet. Wenn ich schon als Berufstrinker bekannt bin, will ich meinem Ruf auch Ehre machen.«

      »So einen Ausdruck habe ich noch nie gehört. Quartalsäufer ja, aber Berufstrinker?« Der Mann, der ins Zimmer trat, hatte dichtes schwarzes Haar und stahlblaue Augen. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, eher europäisch als britisch im Stil, ein weißes Hemd und eine hektische Krawatte. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er mochte achtzig Jahre gelebt haben, sah aber mindestens zehn Jahre jünger aus. Seine Haltung drückte kompromisslose Entschlossenheit aus. Nach Jahrzehnten des Befehlens kam er mit Widerspruch wohl nur schwer zurecht. Mrs Sinclair betrachtete ihn mit einem leichten Glitzern in den Augen. Diese Seite seiner Bekannten war MacDonald ebenfalls neu. Es war, als ob man ihn mit einer allzu avantgardistischen Speisenzubereitung konfrontierte. Er erhob sich im schnellsten Tempo, das ihm gegeben war. »Sehr angenehm, mein Name ist Angus Thinnson MacDonald.«

      Der Major musterte ihn intensiv und schüttelte dann entschieden den Kopf. »Gebe kaum noch Hände. Ist meistens nicht persönlich gemeint.«

      »Meinethalben«, grummelte MacDonald und setzte sich wieder.

      Mrs Sinclair, in einer Familie von Hitzköpfen aufgewachsen, versuchte zu schlichten: »Der Major meint es nicht so.«

      Lockhart verzog keine Miene. »Wollte gerade gehen. War nett, Sie kennen zu lernen, MacDuff.«

      »Jetzt schon? Bleiben Sie doch noch ein bisschen. Mister MacDonald ist ein renommierter Journalist.«

      »Und was hat das mit dem Trinken zu tun?«

      MacDonald kam sich wie bei einer rigorosen