Frank Winter

Dicke Luft in der Küche


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der die Gäste anreisten. »Ein Japaner im Schottenrock, mit passenden, langen Strümpfen und Messer! So etwas habe ich noch nie gesehen. Fehlt nur noch, dass er Gälisch mit mir reden möchte.« Gegen seine Frau und die Schwiegermutter hatte er nicht ganz so viel einzuwenden. Sie benahmen sich einigermaßen zivilisiert. Und irgendwie schien ihnen das Geschmatze auch peinlich zu sein, denn sie sahen den Dicken immer wieder besorgt an. Der Schwiegervater wiederum, so klein er war, stand ihm kaum nach. Sie hätten im Nachmittagsprogramm der BBC Scotland als Kinderschrecke auftreten können. Alberto beherbergte den seltsamen Tross nur, weil die hübsche, junge Dame im Tourist Board ihn darum gebeten hatte. Er konnte sich allerdings nicht verkneifen zu fragen, welcher Reisebus die Vier unterwegs verloren hatte, denn seines Wissens reisten Japaner nur in Großbusstärke um den Erdball. Sie hatte gelacht, ihm dann aber bestätigt, dass die beiden Ehepaare tatsächlich einer größeren Gruppe angehörten. In ihrem Hotel hatte man sich bei der Buchung der Zimmer vertan, so dass sie gewissermaßen auf der Straße standen. Seit Stunden schon regte er sich über diese Gäste auf. Und noch immer wollte er keine Ruhe geben. Von seiner Frau Maria konnte er keine moralische Unterstützung erwarten. Trotz seines heftigen Aufbegehrens dachte sie nicht im Traum daran, früh am Morgen unnötig Energie zu vergeuden und zog es vor, am Frühstückstisch zu sitzen und entspannt an einer Tasse Tee zu nippen. Der war so schwarz, dass er problemlos als Kaffee durchgegangen wäre. Sie trug blaue Wollhosen und einen fliederfarbenen Pullover. Auch im Alltag legte sie großen Wert auf elegante Kleidung. Alberto, der gerne ein einfaches Hemd und an besonders kalten Tagen zusätzlich eine Anglerweste anzog, bewunderte die Konsequenz seiner Frau, wenn es um Fragen des Stils ging. Maria hatte den »Scotsman« vor sich ausgebreitet. Angeblich wollte sie über die aktuelle weltpolitische Lage im Bilde sein. Doch Alberto hegte den Verdacht, dass sie mehr an spannenden Kriminalfällen interessiert war. Nachts schlief er oft unruhig, denn wer wusste schon, auf welch abenteuerliche Ideen seine Frau nach der Lektüre ihrer Zeitungen und Kriminalromane kam? An diesem grau-kalten Tag, in Schottland »a dreich day« genannt, verweilte sie allerdings noch immer auf der ersten Seite der Tageszeitung. Und für diese Verzögerung war ganz allein ihr Mann verantwortlich.

      »Maria«, insistierte er, »du musst doch irgendeine Ansicht dazu haben?«

      Nach einem weiteren Schluck Tee stellte sie die Tasse ab und blickte ihrem Ehemann tief in die haselnussbraunen Augen.

      »Schau doch nur, was diese Typen für ein Spektakel in unserem schönen Diningroom veranstalten!«

      »Du willst meine Ansicht dazu hören?«

      Alberto nickte angestrengt.

      »Andere Länder, andere Sitten, kann ich nur sagen. Außerdem hat sich von den übrigen Gästen keiner beschwert. Sieh mich nicht so entsetzt an. So ist es doch.«

      »Was soll das bedeuten?«

      Maria strich sich die Pulloverärmel in Form und erwiderte: »Ich denke, dass vier erwachsene Japaner in einem europäischen Land, fern von ihrer gewohnten Umgebung, verständlicherweise auffallen.«

      Alberto las seiner Frau die Worte von den Lippen ab. »Aber darum geht es doch gerade! Wir sind hier nicht in Peking …«

      »Tokio, wenn schon«, korrigierte Maria.

      »… sondern in Edinburgh. Und dass sich die anderen Gäste noch nicht beschwert haben, ist mehr als ungewöhnlich. Aber glaube mir, ewig wird das nicht gut gehen.«

      Maria wusste, dass sie ihrem Mann Einhalt gebieten musste, denn sonst würde sich das Zetermordio bis zum Lunch hinziehen. Sie antwortete nicht mehr, blickte ihn nur sehr streng an.

      Alberto schaute aus dem Fenster. »Hast du Charles schon gefüttert?«

      »Wie käme ich dazu, deinen geliebten Pfau zu versorgen? Das macht doch der Herr des Hauses, oder?«

      »Gut. Du erinnerst dich aber vielleicht noch, wie es den Iren erging? Was wäre wohl geschehen, wenn ich ihnen seinerzeit nicht beigestanden hätte?«

      »Möglicherweise hätten sie die Polizeistation erst zehn Minuten später gefunden und den Diebstahl der Handtasche mit dieser Verzögerung gemeldet.«

      »Das ist nicht dasselbe!«

      »Stimmt«, sagte Maria, »du hast den armen Menschen in einer schweren Stunde ihres Lebens beigestanden. Dennoch finde ich, dass wir die Überwachung unserer Gäste reduzieren müssen.«

      »No! Das wäre sträflicher Leichtsinn!«

      »Ich verstehe immer noch nicht, warum er inmitten der Konversation davongerannt ist! So verhält sich kein Gentleman. Schon gar nicht im Beisein einer Dame. Welcher Einheit gehörte er denn an?«

      »Sie dürfen nicht so streng mit ihm sein, mein lieber Mister MacDonald. Der Schock steckt ihm noch in den Gliedern. Er hängt sehr an der Kleinen. Sie ist sein Ein und Alles.«

      MacDonald bemerkte durchaus, dass sie die Frage nach des Majors Einheit nicht beantwortete. »Sie beziehen sich auf seine Enkeltochter?«

      »Ja, Catriona ist wirklich reizend.«

      »Haben Sie sie schon gesehen?«

      »Ein paar Mal sogar.«

      »Im Rahmen einer Verabredung?«

      »Was sollte ein schneidiger Herr wie er von einer alten Fregatte wie mir denn wollen? Wir sind uns immer rein zufällig begegnet, im botanischen Garten, mehrfach im Ocean Terminal, auf diversen Spielplätzen.«

      »War er alleine mit Catriona?«

      »Manchmal. Oft war aber auch seine zweite Frau dabei. Sie scheint ebenfalls sehr an des Majors Enkelin zu hängen.«

      »Wie alt ist Mrs Lockhart, die Zweite?«

      »Man wagt es kaum auszusprechen. Sie ist 30 Jahre jünger als der Major. Und er geht auf die Siebzig zu.«

      »Ein großer Altersunterschied. Gibt es, äh, Probleme in der Ehe?«

      »Wie meinen Sie das?«

      Genau diese Frage hatte er befürchtet. »Ich meine es nur so ganz, äh, allgemein. Möchte die zweite Gemahlin Nachwuchs haben?«

      »In dem Alter? Wie kommen Sie denn darauf?«

      »Heutzutage ist es doch fast schon an der Tagesordnung, wenn eine Frau nach dem dreißigsten Lebensjahr noch Kinder bekommt. Versteht Ann sich gut mit ihrer Mutter?«

      »Sie waren ein Herz und eine Seele. Der Major sagte, sie hätten sich nach seinem Auszug sogar regelrecht gegen ihn verschworen. Ihm tat es leid, denn er mochte seine Tochter sehr. Ich glaube, dass es immer noch so ist. Auch wenn er es sich nicht anmerken lässt.«

      »Meinen Sie, die Geschichte mit Prinz Philip stimmt?«

      »Major Lockhart ist ein aufrechter Mann! Niemals würde er lügen.«

      »Natürlich nicht. Aber er machte doch eine Andeutung, dass seine Gattin ihn ehemals mit dieser Marotte aufzog. Es könnte ja sein, dass sie das nun wieder macht?«

      »In einer schlimmen Situation wie dieser? Nein, ich denke, dass die ehemalige Mrs Lockhart noch immer ein Fan des Duke of Edinburgh ist. Wie steht es übrigens mit Ihrem Privatleben? Fühlt Doktor Miller sich wohl?«

      »Pudelwohl sogar«, stotterte er. »Meinen Sie, ich könnte ein weiteres Gespräch mit dem Major führen? Möglicherweise in einer weniger sprengstoffartigen Stimmung?«

      »Ich hoffe es.«

      Vor Ort gab es noch einen doppelten Dram aus dem Hause Laphroaig. Und als er dann über wenig befahrene Straßen in formschönen Schlangenlinien heimwärts tuckerte, war er sehr froh, dass sein Wagen den Weg kannte. Über die Princess Street hatte er für seine Route nicht nachdenken müssen. Seit man in Edinburgh mit dem Bau der Straßenbahn begonnen hatte, versank die Innenstadt im Chaos. Nur die Mäuse hatten unaufhörlich Kirchtag. Sie krochen aus allen Löchern, besetzten sogar Teile des Polizeireviers in Fettes. Über die Kantine der Ordnungshüter hatte man bereits Quarantäne verhängen müssen. Und so hatten die Edinburgher bei all den Verkehrsbehinderungen wenigstens die Gewissheit,