Reiner Hänsch

Die Faxen Dicke


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– „Achte auf die Nägel, Max!“ – und zwei oder drei Schrottmopeds, die hier, sicherlich unabsichtlicherweise, vergessen worden sind, aber dann sind wir auch schon da. Schuhe aus und den Sand fühlen.

      Max und ich sind ja sowieso schon barfuß, was bei der Straßenüberquerung nicht unbedingt von Vorteil war, man ist so einfach nicht schnell genug, und Steffi wollte schon wieder umkehren, um aus unserem Superior Hillside Bungalow erst mal die geeignete Expeditionsausrüstung zu beschaffen. Aber mit „Ach was, jetzt lass uns erst mal gucken gehen. Sind ja nur ’n paar Meter“ kann ich die knurrende Steffi dann doch noch überreden, was sie allerdings hinterher als einen großen Fehler bezeichnen wird.

      Strand. Ja, das ist es doch.

      Ach, ist das herrlich. Natur, Palmen, Kokosnüsse, Bacardi, alles eben. Es sind halt nur viele, viele Menschen hier, die man auf den Bacardi-Filmen nie sieht, weil sie wahrscheinlich alle hinter die Kamera gejagt wurden, aber das ist ja hier auch das richtige Leben. Das ist eben Urlaub.

      Tja, was fehlt jetzt noch zum absoluten Glücklichsein? Eine Liege. Na klar. Sonst geht’s ja nicht. Aber die Liegen, die wir sehen, sind leider alle belegt. Und wenn sie nicht mit echten Menschen tatsächlich und im richtigen Sinne des Wortes be-legt sind, dann sind sie stellvertretend für die wahrscheinlich erst später eintreffenden dazugehörigen Menschen durch die braunen Frottee-Handtücher unseres Hotels be-legt. „Paradise Rock Resort“ ist kunstvoll und in edel geschwungenen Lettern auf die Handtücher gestickt, die uns sagen: „Ätsch, zu spät. Das wäre Ihre Liege gewesen!“

      Ach, brauchen wir eine blöde Liege? Soll unser Urlaubsvergnügen von zwei Metern parallel vernagelten Holzlatten auf vier wackeligen Beinen abhängen? Nein, wir brauchen keine Liege. Lächerlich. Wir doch nicht.

      Neidisch schielt Steffi zu all den bereits gebräunten und relaxten, geschmeidigen Körpern hinüber, die mit Buch, gar nichts oder Kaltgetränk wie selbstverständlich mit ihrer Liege verschmelzen und schadenfroh zu uns Neuen herübersehen. Dass das Ehepaar Leichenhalle auch schon bräsig in der Sonne brät, brauche ich nicht zu erwähnen. Naja, also eigentlich brät nur sie in der Sonne. Der Gatte Schorsch wird noch ein wenig herumgeschickt, um dies und das herbeizuschaffen

      „Egal“, sage ich, „legen wir uns in den Sand. Was brauchen wir eine verdammte Liege? Hatten Adam und Eva eine Liege, oder Robin Kruse?“

      Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, dass ich so auf den Naturtrip komme – Rüdiger Nehberg –, aber ich sehe keinen anderen Ausweg, als ganz weit runter bis in die Anfänge der Menschheit zu gehen, um mir dieses bis jetzt so erbärmliche Urlaubsdasein irgendwie schönzureden.

      „Liegen sind doch was für Weicheier“, sage ich, etwas zu laut vielleicht, weil es mir einige böse, unverständige Blicke einbringt, werfe mich einfach der Länge nach in den Sand und wälze mich auch noch eifrig darin herum, als würde es mir Spaß machen.

      „Eine blöde Erfindung der durch Jahrtausende hindurch verweichlichten Menschen. SCHEISS LIEGE BRAUCHT KEIN MENSCH!“, brülle ich jetzt über den ganzen Strand mit seinen schockierten Bewohnern.

      Max und Steffi sehen mich fassungslos an und können es nicht glauben, dass ich mich da wie ein BSE-kranker Bulle im Sand suhle, wenden sich angewidert ab und trotten zielsicher und findig der kleinen Holzbude entgegen, die den Namen unseres paradiesischen Resorts trägt. Dort gibt es diverse Getränke, Sportgeräte, Plastik-Kajaks zum Selberpaddeln – und braune Handtücher. An den Ecken schon etwas ausgefranst.

      Als meine Familie sich dann auf ihren braunen Paradies-Lappen in angemessener Entfernung von mir niederlässt – nicht ohne vorher wenigstens einige der angeschwemmten Plastikrohre und Autoreifen außer Sichtweite zu tragen –, stehe ich beleidigt wieder auf und fühle mich wie ein paniertes Schnitzel kurz vor der Pfanne. Feinster Sand in allen Poren.

      Vielleicht ist das einfache Strandleben doch nichts für mich. Vielleicht brauche ich doch etwas zwischen mir und dem fremden, menschenfeindlichen Element Sand. Ich schlurfe also möglichst lässig hinüber zu der Bude, die ich immer interessanter finde und begutachte erst mal ganz unverbindlich das Angebot der Außenbarfiliale unseres tollen Hotels.

      „Wott ju want, Sir?“

      „Mmmmmmmh.“

      Ich entscheide mich nach langer, reiflicher Überlegung, gründlichem Abwägen verschiedener Faktoren und einem kurzen, verstohlenen Blick auf meine Familie und meine Armbanduhr für ein einfaches Bier. Der Blick auf die Uhr, nur so, um zu sehen, ob es für ein wenig Alkohol schon spät genug ist. Ist es natürlich nicht.

      Ja. Ein Bier soll es sein. Ein einfaches Bier. Keine aufwendigen, schnöseligen Drinks mit albernen Fruchtverzierungen und lächerlich gebogenen, bunten Trinkhalmen mit Papierrosetten und Zitronenscheibchen mit Nationalflagge, oder so was. Nein, nein, nur ein Bier. „Singha“ heißt das hier, wird einfach direkt in der braunen Flasche serviert und auch direkt daraus getrunken, und es schmeckt herrlich.

      Dafür ist es erstaunlich preiswert. Es kostet nur ganze sechzig Baht. Das ist hier die offizielle Währung, und es wächst so ein dumpfes Gefühl in mir, gestern doch etwas Entscheidendes falsch gemacht zu haben, als es um die Verteilung der Trinkgelder ging.

      Ein Baht, das ist ja nur … nein, das ist zu wenig, das kann man gar nicht ausrechnen, aber hundert Baht, das sind in etwa – irgendwo in meiner Tausend-Taschen-Hose habe ich doch diesen Zettel versenkt, auf dem ich alles schon mal ausgerechnet habe – ach, da ist er ja schon. Also, hundert Baht, das sind so in etwa zwei Euro fünfzig, also sechzig Baht dann etwa ein Euro fünfzig. Dann ist das Bier zwar doch nicht ganz so preiswert, wie ich erst dachte, aber es geht ja noch.

      Aber tausend Baht, und das sind ja diese schwach grünlichen Scheine, die ich gestern dem Toyota-Fontänen-Fahrer und auch dem hoteleigenen Kofferträger im Halbschlaf lässig überreicht habe, das sind ja dann ungefähr fünfundzwanzig Euro! Das ist selbst für einen mitteleuropäischen Kofferträger ein mehr als angemessenes Salär und wahrscheinlich mehr als ein Wochengehalt für einen hier arbeitenden Einheimischen in derselben Berufssparte.

      Naja, gut, ich will das mal schnell wieder vergessen und meiner Familie auch erst mal nichts über meine eben erst entdeckte Freigiebigkeit sagen, aber ich sollte in Zukunft vielleicht etwas besser aufpassen!

      Ach ja, das ist schön. Ich konzentriere mich jetzt wieder ganz auf mein kühles Bier. Damit sind vom ersten Schluck an die Gesetze der Zivilisation ganz einfach außer Kraft gesetzt.

      Es ist Viertel nach elf vormittags, es ist heiß, ich sitze im Schatten neben einer schiefen Palme irgendwo ganz weit weg und trinke Bier, ohne mich seltsam dabei zu fühlen oder gar Schuldgefühle zu haben. Alle trinken Bier. Alle Männer jedenfalls.

      Wurde ich soeben noch von allen als „der bekloppte Neue“ beargwöhnt und eher ungern geduldet als zum Beispiel freundlich begrüßt, so ändert sich das, was die Urlaubs-Männer angeht, schlagartig mit dem ersten Singha. Man prostet mir fröhlich zu und nimmt mich mit offenen Armen in die Gemeinschaft der anonymen Urlaubs-Alkoholiker auf. Auch der tätowierte Herr in Sichtweite mit dem wunderschönen Wildrosengesteck auf der breiten Brust und der gefährlich zischenden Schlange auf dem muskulösen Oberarm, die aus offensichtlich einer anderen Schaffensperiode des Tätowierkünstlers zu stammen scheint, prostet mir aufmunternd zu.

      „Well done!“, sagt er und bestärkt mich damit in meiner Entscheidung für ausgerechnet dieses offensichtlich hier sehr beliebte Kaltgetränk. Ich fühle mich gut, eigentlich sogar schon großartig, sehe mich interessiert um und beobachte das bunte Treiben auf und neben den Liegen.

      Da stakst der lange Lotze-oder-so heran.

      „Darwich Ihnen Chesällschaft laist’n?“, fragt er höflich, und als ich etwas unentschieden, aber dennoch freundlich nicke, setzt er sich neben mich und bestellt sich mit einem Wink zur Hotelbarholzbarackenbude ebenfalls ein Bier.

      „Au’ kaine Liege, wonnich?“, fragt er mich bedauernd.

      Ich zucke mit den Schultern und sage: „Was soll’s? Ich brauch keine.“

      „Ich aunich, un maine Frau is in unsere Bretterbude