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Theologie im Umbruch


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zu verstehen. Dabei orientiert sich Pangritz an Marquardts Periodisierungsvorschlag der «sozialistischen» Phase Barths und wendet sich insbesondere der Reaktion auf den Beginn des Ersten Weltkriegs wie auf die Oktoberrevolution zu. Die Leitbegriffe «Persönlichkeit» und «Glaube» würden ab ca. 1915 vom Gegensatzpaar «Gott» und «Welt» abgelöst. Diese Verschiebung sei charakteristisch für Barths Umgang mit dem Sozialismus, darum könne auf ihrer Basis die Entwicklung seines theologischen Denkens insgesamt nachgezeichnet werden.

      Die Frage, ob diese Wendung hin zu Gott als dem «ganz Anderen» als eine Absage an den Sozialismus zu verstehen sei, verneint Pangritz. Vielmehr sei hier Gottes Alterität als treibendes Motiv sowohl der Geschichtstheologie Barths wie auch seiner Forderung nach Radikalisierung der Sozialdemokratie vom biblischen Zeugnis her zu verstehen. Noch 1919 sei Barth der radikal-sozialistischen Position von Kurt Eisner zugeneigt geblieben. Den theologischen Hintergrund dieser politischen Positionierung sieht Pangritz insbesondere im nun edierten Aarburger Vortrag «Christliches Leben» vom Juni 1919 erstmals entfaltet, den er als Vorform des berühmten Tambacher Vortrags wertet. Auch hier sei keinesfalls eine «Abkehr vom Sozialismus» auszumachen – vielmehr müsse bezüglich Barths Safenwiler Zeit insgesamt |16| für das Verhältnis von politischer Praxis und theologischem Denken gelten, dass «das Konzept [d]e[s] ‹ganz andere[n]› Gott[es] […] aus dieser Hoffnung auf eine andere Welt» überhaupt erst «entsteht». Damit bezieht Pangritz eine eindeutige Stellung zur Forschungsfrage nach Religion, Theologie und Politik.

      Eine etwas andere Perspektive sucht der Beitrag des Basler Systematischen Theologen Georg Pfleiderer für die neu veröffentlichten Texte Barths zu entwickeln. In seiner Deutung der «Entwicklung von Karl Barths theologischem Denken im Zeitraum des Ersten Weltkriegs» orientiert er sich u. a. an der spezifischen Form theologischer Religionskritik, die Barth in dieser Zeit entwickelt. Zentral ist dabei Pfleiderers These, dass Barths Religionskritik vom Anliegen getragen sei, das Verhältnis von religiöser Erfahrung und theologischer Reflexion in ein Verhältnis dialektischer Reflexionssteigerung zu überführen. Kennzeichnend für den Entwicklungsprozess der Denkbewegung Barths und damit auch für seine Texte jener Phase sei deren dialogische Dialektik.

      Über die Reflexion der jeweiligen Entstehungskontexte der Texte Barths führt Pfleiderer seine Rekonstruktion weiter hin zu einer Sichtung der ethischen Implikationen, die insbesondere Barths Rekurse auf Sozialismus und Religion enthalten. Dabei werde deutlich, dass die kritische Haltung gegenüber institutionellen Kollektivakteuren wie Kirche und Sozialdemokratie, die Barth an den Tag lege, keinesfalls zu einer ethischen Abstinenz führe. Vielmehr sei gerade die theozentrische Wendung der Theologie Barths (für die der Begriff des Reiches Gottes von nun an stehe) als Ausdruck gesteigerter Einschärfung einer spezifischen theologisch-religiös-ethischen Haltung seiner intentionalen Rezipienten anzusehen. «Das neue Ethos bekundet sich seinerseits als ein Ethos kritischer theologischer Reflexionsdistanz; die theologische Theorie führt in die ethisch-religiöse Praxis – et vice versa. Diese Doppelbewegung wird seither zur eigentümlichen Signatur der theozentrischen Theologie Karl Barths.» Vor diesem Hintergrund werde die Funktion des Sozialismus für Barths Theologie und Lebenspraxis als Vehikel einer bestimmten kritisch-zeitdiagnostischen Reflexionskultur erkennbar, nicht aber vornehmlich als institutionelle oder politische Option, deren Verabschiedung als Bruch verstanden werden müsste.

      Wiederum von einer anderen Seite nimmt der junge Basler Systematische Theologe Harald Matern die Frage des Gegenwartsbezugs der Barthschen Theologie in den Blick. Dabei soll eine Neulektüre der Erstfassung des «Römerbriefs» von 1919 das Verhältnis von Geschichte, Eschatologie und Gegenwart herausarbeiten. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach dem «Realismus» der Barthschen Theologie dieser Zeit neu aufgenommen und insbesondere im Blick auf ihre ethischen Implikationen untersucht. |17| Die Frage danach, worin der spezifische Beitrag einer theologischen Eschatologie zum zeitgenössischen geschichtsphilosophischen Denken besteht, wird durch den vergleichenden Blick auf zeitgenössische Entwürfe mit geschichtsphilosophischer Intention oder Valenz präziser zu fassen und insbesondere auf die Verhältnisbestimmung von Apokalyptik und Eschatologie hin zu klären versucht. Die Eschatologie in der Erstfassung des «Römerbriefs» bereite Barths spätere ethische Gedankengänge vor, insofern das Ineinander von Realismus und Kritizismus sich als kritisch-selbstkritische Reflexionsperspektive auf das Verhältnis von Partikularität und Universalität des christlichen Geltungsanspruchs verstehen lasse. In dieser Hinsicht stelle gerade Barths erster «Römerbrief» ein wichtiges Dokument auch im Hinblick auf gegenwärtige eschatologische Neuaufbrüche dar.

      Der Princetoner Systematiker Bruce McCormack, wohl der profilierteste und im deutschsprachigen Raum am intensivsten rezipierte amerikanische Barthforscher, geht in seinem Beitrag «Longing for a New World: On Socialism, Eschatology and Apocalyptic in Barth’s Early Dialectical Theology» einer thematisch ähnlich gearteten Fragestellung nach. Dabei vertritt er die These, dass Barths Theologie um 1915 nicht nur apokalyptisch war, sondern dass dieser Zug sie im Verlauf der Jahre in immer stärkerem Mass präge. Dabei sei eine Ablösung von Blumhardts Eschatologie zugunsten einer paulinischen Apokalyptik zu verzeichnen. Dieser Prozess sei am Vortrag «Kriegszeit und Gottesreich» von 1915, dem Tambacher Vortrag von 1919 und der Zweitfassung des Römerbriefkommentars von 1921 ausweisbar.

      Während Barths «neue Theologie» um 1915 durch einen kritischen Bezug auf den institutionellen Sozialismus geprägt sei und systematisch mit einer spezifischen Form des «Realismus», einer spezifisch modernen, objektiven Theozentrik sowie theologischer Religionskritik einhergehe, sei es insbesondere die kaum ausgebaute Christologie, die den Unterschied der Blumhardt’schen Eschatologie zur paulinischen Apokalyptik der späteren Phase markiere. Diese Ablösung gehe im Tambacher Vortrag auch mit dem Wegfall der organischen Metaphorik einher, die noch die Erstfassung des «Römerbriefs» prägte. An deren Stelle trete die Auferstehung als Gravitationszentrum der Theologie Barths, die es ihm auch erlaube, eine neue Fassung des Begriffs der «Unmittelbarkeit» zu entwickeln. Die Zweitfassung des «Römerbriefs» sei schliesslich von einer voll entwickelten paulinischen Apokalyptik geprägt – wobei McCormack auf den ursprünglichen, offenbarungstheologischen Wortsinn rekurriert und die Auferstehung Christi in den Mittelpunkt einer in erster Linie kosmologischen Apokalyptik rückt. Gerade hierin habe Barths Auslegung auch der gegenwärtigen englischsprachigen neutestamentlichen Wissenschaft einige, durchaus schulbildende Impulse gegeben, obgleich sie, hinter den soteriologisch-apokalyptischen Ausführungen der «Kirchlichen Dogmatik» noch zurückstehe. |18|

      Welchen zeitdiagnostischen und zeittherapeutischen Sinn solche an Katastrophensemantiken orientierten Barth- und Bibellektüren vor dem Hintergrund aktueller sozialer, kultureller und kirchlich-religiöser Auseinandersetzungen in den heutigen USA haben könnten, ist insbesondere von aussen schwer zu beurteilen.

      Wenn es für die USA zumindest sehr wahrscheinlich ist, solche Zusammenhänge anzunehmen, muss bezüglich vieler anderer Länder diesbezüglich nicht spekuliert werden. Gut begründet dürfte die Vermutung sein, dass die Tatsache, dass Barths Theologie sich in intensiver Auseinandersetzung mit weitreichenden und tiefgehenden Modernisierungskrisen entwickelt hat, für Theologinnen und Theologen in vielen Ländern und Weltgegenden, die – anders als West- und Mitteleuropa – von massiven Schüben solcher Krisen auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis in die unmittelbare Gegenwart hinein massiv geschüttelt wurden, einen wichtigen Grund oder Hintergrund für ihr Interesse an gerade dieser Theologie bildet.

      In diesem Sinne exemplarisch für eine solche kontextuelle Lektüre von Karl Barths früher dialektischer Krisentheologie steht in diesem Band der Beitrag des südafrikanischen Theologen Dirk Smit. Sein Beitrag wendet sich am Beispiel seines eigenen Landes und dessen konfliktreicher jüngerer Geschichte direkt den Lektüremöglichkeiten der «Krisentheologie Barths in Kontexten radikaler Transformation» zu. Dabei weist er ausdrücklich auf die verschiedenartigen Schwierigkeiten hin, der die Rede von einer Barthrezeption ausgesetzt ist.

      Smit unterscheidet vier Krisen, welche die südafrikanische Gesellschaft im 20. Jahrhundert durchlebt habe, und weist auf die sehr unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Weisen hin, wie in jeder dieser Perioden auf Barth zugegriffen wurde: im Widerstand gegen die Etablierung der Apartheid, im Kampf gegen die Apartheid, im Übergang zum demokratischen Rechtsstaat sowie in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise. Diese