Axel Klingenberg

Von der Kunst, ein Schriftsteller zu sein


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Und so sollte es auch sein.

      Aber das ist eine Sache, die jemand, der seine Texte (oder seine Musik, seine Gemälde, seine Fotos) veröffentlicht, als erstes lernen muss. Sobald er sie publiziert hat, verliert er die Kontrolle darüber: Der Leser darf nun damit machen was er will. Und das ist nicht immer schön. Denn er macht es fast immer falsch (auch auf die Gefahr hin, dass ich mir mit diesem Satz sehr viele Feinde mache). Der Autor arbeitet an seinem Werk, er leidet dafür, er quält sich durch einsame Stunden, durch Selbstzweifel, durch Enttäuschungen, durch Langeweile und widersteht – die größte Leistung – den Versuchungen des Sich-Ablenken-Lassens (gerade eben habe ich, als mir das richtige Wort nicht sofort einfiel, ein paar Zeitungen auf der Küchenbank neben mir zurechtgerüttelt, als ob es etwas ausmachen würde, wenn sie nebeneinander und nicht übereinander lägen).

      Und dann – ich erhebe anklagend meine Stimme! – kommt so ein unwissender Leser daher und sagt: »Is’ ganz gut«. Um anschließend mitzuteilen, was er (in diesem Falle: sie) eigentlich lieber gelesen hätte.

      Meine Damen und Herren: So geht das nicht!

      Ist es denn zuviel verlangt, wenn ich ausschließlich – hier neige ich tatsächlich zu einer totalitaristischen Haltung – Begeisterung erwarte? »Phantastisch!«, »Genial!« und »Begnadet!« sind die einzigen angemessenen Reaktionen auf meine Werke.

      Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus. Ganz anders.

      Es gibt gute Besprechungen. Es gibt mäßige Besprechungen. Es gibt schlechte Besprechungen. Manchmal wird man sogar positiv überrascht und erhält von Rezensenten, die man gar nicht kennt, mit denen man also weder Tisch noch Bett geteilt hat, eine gute, eine sehr gute, eine brillante Besprechung. Vielleicht sogar eine, bei der man merkt, dass dieser Berufsleser das Buch verstanden hat bzw. so verstanden hat, wie es gemeint war. Liest man eine derartige Rezension, erlebt man einen großartigen Augenblick, der all die Mühen der letzten Monate (mitunter: Jahre) vergessen, der einen wieder spüren lässt, warum man eigentlich schreibt.

      Weil man Verständnis sucht, weil man sich mitteilen will, weil man etwas zu sagen hat.

      Die anderen großartigen Augenblicke sind die, in denen man auf den Kontoauszug blickt und dort ein »+« mit einer Zahl dahinter sieht. Dann verzeiht man auch unwürdigen Lesern und Kritikern und Lektoren und Verlegern und Herausgebern und Veranstaltern und Kollegen ihre Unwissenheit und ihre Unfähigkeit. Denn wenn der Betrag hoch genug ist, kann man sogar die Miete und die Krankenkasse und das Schulgeld und das Kindertagesstättenentgelt und die Versicherungen und die Lebensmittel und die Kleidung für sich und die Frau und die Kinder davon bezahlen. Wenn nicht gerade ein dummer und hässlicher Steuereintreiber um die Ecke biegen würde ...

      Also lieber Leser, liebe Leserin, hier noch einmal zusammengefasst: Seien Sie begeistert. Und zahlen sie begeistert. Dann kommen wir ins Geschäft.

      Es ist Zeit, sich mal wieder ablenken zu lassen. Ist die Waschmaschine eigentlich schon fertig?

      WARUM NICHT JEDER AUTOR AUCH EIN SCHRIFTSTELLER IST

      »Während der Einquartierung unterhielten sich einmal einige preußische Offiziere in einem Weinhaus Weimars über die Wohnungen, die sie gefunden hatten. Ein alter, dickbäuchiger Major sagte: ›Ich stehe da bei einem gewissen Gothe oder Goethe – weiß der Teufel, wie der Kerl heißt.‹ Man machte ihn aufmerksam, es sei der berühmte Dichter Goethe, wo er stehe, da antwortete er: ›Kann sein, jaja, nunu, das kann wohl sein, ich habe dem Kerl auf den Zahn gefühlt, und er scheint mir Mucken im Kopf zu haben.‹«

      Jakob Wassermann

      Ein Buch über den Literaturbetrieb haben Sie hier vor sich liegen. Der Erwerb dieses Buches ist eine gute Entscheidung gewesen bzw. wird eine gute Entscheidung sein, das kann ich Ihnen versichern. Ich muss es wissen, ich habe es nämlich geschrieben. Ich bin also der Autor desselben.

      Bin ich damit auch ein Schriftsteller? Das ist die erste Frage, die zu klären wir uns hier anschicken wollen. ›Wir‹ meint natürlich in Wirklichkeit ›ich‹, denn ich habe den Text ja geschrieben und bin somit federführend in dieser Sache. Aber dieses ›wir‹ hat so etwas hübsch heimeliges, gemeinschaftsstiftendes, es bezieht Sie, der Sie dieses Buch lesen, in den Text ein, macht Sie zu einem Teil davon. So ein »wir« benutzen sonst nur Krankenschwestern (»Nun müssen wir ganz kurz die Zähne zusammenbeißen, denn es wird ein bisschen wehtun.«) und Kindergärtner (»Nun wollen wir mal aufhören, uns zu streiten. Wolf-Friedrich, legst du bitte die Schaufel weg? Nein, nicht zuhauen damit. Lass das bitte! ... Verdammte Scheiße noch mal, bist du eigentlich total bescheuert!?«) Ist also jeder Mensch, der ein Buch schreibt, auch ein Schriftsteller? Oder müssen es bestimmte Bücher sein? Oder hat es etwas mit der Qualität zu tun? Was also ist eigentlich ein Schriftsteller?

      Fragen wir doch einfach mal die Betroffenen:

      Ja, bitte, Herr Feuerbach?

      »Die echten Schriftsteller sind Gewissensbisse der Menschheit.«

      Der Schriftsteller ein Gewissensbiss? Der Mensch also ein Biss? Und setzt das nicht voraus, dass jede Literatur (Verzeihung, jede »echte« Literatur) das Ziel hat, das Menschengeschlecht zu bessern? Gibt es nicht auch lesenswerte Schriftsteller, die sich mit der Schlechtigkeit des Homo Sapiens arrangiert haben oder denen diese Frage einfach mal kackegal ist? Oder sind das keine echten Schriftsteller, sondern nur unechte? Ja, bitte, Monsieur Gide? Was haben Sie zu sagen?

      »Aber Wilde vergaß niemals, dass er Künstler war, und konnte es Dickens nicht verzeihen, menschlich zu sein.« Hmm, der Schriftsteller als Außenstehender, der den Menschen bei deren Treiben zuschaut. Oder gar als Übermensch ...? Und auf Herrn Feuerbach rekurrierend: Ist dann der Übermensch ein Überbiss?

      »Wäre nun aber das einfache Volk imstande, die Romanciers, die wahren Romanciers zu lesen, so könnte es bei ihnen die nützlichste aller Lehren finden, die Wissenschaft vom Leben ...«

      Monsieur de Maupassant, dass Monsieur Gide bei Ihnen offenen Türen einrennt, habe ich nicht anders erwartet, aber der »wahre« Schriftsteller als unverständliches Vorbild scheint mir eine Sackgasse zu sein. Wenn denn ein Mensch überhaupt eine Gasse sein kann, aber er soll ja auch schon ein Biss sein, warum dann nicht auch eine Gasse?

      Ja, bitte, Sie möchten noch etwas sagen?

      »Von uns kann man nur eine einzige Sache einfordern: Talent. Haben wir das nicht, dann kann man uns gleich erschießen.«

      Ich muss doch sehr bitten! Man stelle sich nur einmal dieses Blutbad vor!

      Frau von Ebner-Eschenbach – Sie möchten auch etwas zu der Diskussion beitragen?

      »Es schreibt keiner wie ein Gott, der nicht gelitten hat wie ein Hund.«

      Hmmm, kann man das wirklich so kategorisch sagen? Oder nähern wir uns damit wieder dem Bild des Schriftstellers als Übermenschen? Nur quasi auf einem Umweg über ein noch zu entwickelndes Negativ? Und hat das damit nicht auch etwas Märtyrer-, um nicht zu sagen Messiashaftes?

      Vielleicht halten die Damen und Herren Schriftschaffende ganz einfach mal die Klappe. Ist das möglich?

      »Wir schreiben nicht für das Volk, wir sorgen uns wenig um das, was so im Großen und Ganzen das Volk angeht; zugegeben, wir gehören nicht zum Volk. Die Kunst, um welche Sparte auch immer es geht, wendet sich nur an die geistige Elite eines Landes. Wie man das eine mit dem andern verwechseln kann, verwundert mich schon ...« Das gilt auch für Sie, Monsieur de Maupassant! Gerade für Sie!

      Noch einmal: Wir sollten vielleicht nicht nur die Betroffenen fragen (die sich ja naturgemäß in einem ihnen genehmen Licht präsentieren möchten), sondern auch Außenstehende.

      Mit anderen Worten: Was hat die allwissende Mülltonne aka Wikipedia dazu zu sagen? Bitte sehr:

      »Der Begriff Schriftsteller wurde im 17. Jahrhundert aus ›(in) eine Schrift stellen‹ im Sinne von ›verfassen‹ gebildet und ersetzt seitdem als Berufsbezeichnung die Fremdwörter Skribent und Autor. […] Die Gebrüder Grimm zitieren u. a. auch noch Immanuel Kant, für den einer, der zum Publikum im eigenen Namen