Säcke genommen und abgegeben.
Von wegen Bruchbude, er solle sich mäßigen, sagt der Meister, das seien seine wertvollsten Privatstücke gewesen. Auf denen habe gestanden: »Das ist Papi«. Und nun seien sie weg, wegen einer falschen Sackrückgabe! Da lägen sie doch, die richtigen Retoursäcke, Sackzement!
Er solle sich verflixt noch mal am Riemen reißen, sagt der Knecht.
»Von meinen Kindern bemalt!« greint der Meister.
»Ja Gott!« schreit der Knecht.
»Es ist alles hin«, jammert der Meister.
»Nichts ist!« ruft der Knecht.
»Wie – nichts?«
»Ja! Nichts!«
»Von wegen!«
»Ja, von wegen. Die sind einwandfrei eingetragen worden, deine Säcke«, sagt der Knecht. »Die stehen eins a in der Leihsackkartei! Und da stehen sie noch heute!«
»Na dann is’ ja gut«, sagt der Meister.
»Eben«, sagt der Knecht.
»Genau«, sagt der Meister.
Der Poet des Bieres oder: Ode an Helmut Stier
Maigret verspürte das Verlangen nach Bier.
Georges Simenon
Er trank langsam und genießerisch zwei große Glas
Bier, während ihn ein Wohlgefühl durchdrang.
Georges Simenon
[…] und das tröstliche Bier fließt.
Harry Rowohlt
Preisen will ich – im Sinne des US-amerikanischen Dichters James Agee – einen großen Mann: Helmut Stier, den ehemaligen Prokuristen der Pirmasenser Parkbrauerei. 1976 erschien in der Pfälzischen Verlagsanstalt Neustadt/Landau ein ungeheuerliches, nur vierunddreißig Seiten umfassendes Buch von Helmut Stier, betitelt Faßliches und Un-Faßliches, und zitieren möcht’ ich hier und ehren dieses Werk, das einzigartig war und bleibt.
»Brüder, fliegt von euren Sitzen, / Wenn der volle Becher kreist. / Laßt den Schaum zum Himmel spritzen: / Unser Glas dem guten Geist!« Stier bezeichnet die (Teil-)Strophe aus Schillers Ode »An die Freude« als »die schönsten Zeilen, die je zum Lob des Bieres geschrieben wurden«. Läßlich, daß Stier da ein wenig nachgeholfen und das Bier an die Stelle des Weins gerückt hat, denn Stier verfaßte sie selber, die schönsten aller jemals dem Bier gewidmeten Zeilen.
Versöhnung, wahre, ungeschmälerte, ist das Motto des Helmut Stier. Der Johannes Rau des Bieres? Bewahre! Hätte der dem Bier nicht abgeneigte Kirchentagssozialdemokrat solche Sätze zustande gebracht? »Die Erlauchtheit des edlen Rebengewächses tut jedoch der Kameradschaft mit dem Krug schäumenden Gerstensaftes keinerlei Abbruch. Gibt es nicht Winzer, die sich nach des Tages harter Arbeit auf ein Glas frisches, würziges Bier freuen?« Ist es nicht so, o Bacchus, o Gus Backus, der ja immerhin 1967 die LP Ich bin kein stiller Zecher auf den Markt pfefferte? Gus Backus, der sich richtig »Gambrinus Bacchus« schreibt – als Realsymbolfigur der Stiftung des kantianisch ewigen Friedens zwischen Wein- und Biertrinkern?
Helmut Stier fährt fragend fort: »Rankt sich der Hopfen nicht ebenso dem alles verstehenden, alles verzeihenden Himmel entgegen wie seine empfindsame Schwester namens Rebe?« Versicherte nicht Schiller: »Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen«? Und erzählt Helmut Stier nicht eine wunderbare Geschichte von der Vermählung der germanischchristlichen und der polytheistisch-antiken Welt im Fluidum des Bieres?
Er erzählt sie, und sie heißt »Vor dem ersten Schluck«: »Der Gipfelhöhe solch freudigen Erschauerns begegneten wir auf der Insel Rhodos, zur Stunde des Pan. Auf dem durchglühten Felsensturz der Akropolis von Lindos fühlten wir uns vor Durst wie stranguliert. Kraftlos, schweißgebadet, mit zynischer Gleichgültigkeit stiegen wir zu den weißen Häuserkuben der Ortschaft hinab, überschüttet vom flammenden, erbarmungslosen Lichtregen. Seltsame Zerfaserung der Gehirnmasse, als löse sich ein Knäuel in flatternde Fäden auf. Abbröckeln des eigenen Leibes und der Welt. Da schleuderte uns das Schicksal die Taverne von ›Mama Lindos‹ auf den Weg. Welch eine Wirtin: Sie umarmte uns, holte Bier herbei, herrlich frisches deutsches Bier. Hei, teure Seele, feuchte deine Asche! Wie die schäumende Kühle unser Herz erwärmte! Wie die inwendige Dusche uns bis in die Fingerspitzen erquickte! Ganz sachte rutschten wir in den eigenen Urgrund zurück. […] Panagia, dieser göttlichen Schenke werden wir Kerzen entzünden!«
Da hat einer seinen Dr. Benn gelesen – und sehr viel mehr. »In weitem Bogen spannen sich sieben bierfrohe Jahrtausende«, erläutert Helmut Stier. »Beweis dafür, daß der schäumende Trinkstoff ein geduldiger Vermittler im Zusammenleben der Menschen ist. Als ein Geschenk der Schöpfung, das der Welt schmeichelt und mit dem sich in gewissen Zeiten ihre Bosheit und Torheit zu puren Schönheitsfehlern besänftigen lassen.«
Oh, welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!
Und was er alles zu berichten weiß! Von William Shakespeare beispielsweis’, dem, dem gleichfalls großen Klaus Reichert zufolge, Erfinder des modernen, des Renaissance-Menschen, der in Was ihr wollt dem Junker Tobias die Zeilen in den Munde legte: »Vermeintest du, weil du tugendhaft seiest, dürfe es in der Welt keinen Kuchen und kein Bier mehr geben?«, und der allzugern an Bierwettbewerben in Bidford, dem Nachbarort von Stratford-Upon-Avon, teilnahm. Helmut Stier führt aus: »Im benachbarten Bidford konnte man kaum Shakespeares Ankunft erwarten. Dieses Dorf beherbergte eine berühmte Rasse von Biertrinkern, die darauf brannten, ihn und seine Genossen zum Wettkampf mit nußbraunem Gerstensaft herauszufordern. Man maß sich gerne in der feuchtfröhlichen Kunst, gewaltige Humpen handhabend, gegen die unsere heutigen Gemäße nur Knirpse sind. Um keine Tugenden auf sein Haupt zu häufen: Shakespeare war ein Mann dieser Welt. Er hielt die Augen nicht niedergeschlagen oder gen Himmel gerichtet. Ein Mann, der Komödien verfaßte, wenn es sein Publikum so wollte, und der Dramen schrieb, wenn es nach ernsteren Stoffen rief. Niemand fand etwas Anstößiges an diesem kräftig zechenden Dichter. Ja, man war stolz auf ihn als einen Vertreter des ›merry old England‹.«
Etwas weniger stolz ist Helmut Stier auf die – ja von Tacitus und Cäsar erfundenen – Germanen, zum Beispiel auf »jenes kompromittierende Geschehen im Teutoburger Wald, wo die germanische Infanterie, hochaktiv, angereichert mit Wirkstoffen des Gerstentrunks – simserim sim sim –, die römischen Weinfreunde besiegt hatte«; oder auf das Treiben im nordischen Götterhimmel: »Der Riese Ögir, von trüber Durstqual beherrscht, raubte eines Tages in Walhall das Braufaß. Ein ebenso trauriger wie peinlicher Tatbestand. Hätte nicht der Donner Thor das kostbare Stück zurückgeholt und den Göttern ihren Dämmerschoppen gerettet.«
Rund ums Bierfaß ereignete sich allerlei ergötzlicher Grob- und Feinunfug. »Auch in der Edda«, legt Helmut Stier dar, »entschied sich ein König für diejenige von zwei Frauen, die das beste Bier zu sieden wußte. Göttervater Odin half der hübscheren, indem er ihr heimlich ins Braufaß spuckte. Dieses Gärmittel verbesserte die Qualität des Trinkstoffs so vorzüglich, daß die Widersacherin das Duell Maß für Maß verlor.«
Maß für Maß – o weiser, großer Mann! Preisen will ich Helmut Stier! In Shakespeares Maß für Maß sagt übrigens der Libertin Lucio: »Frater, so lang essen und trinken nicht abgeschafft werden kan, wird es unmöglich seyn, es ganz auszurotten.« (III, 6, Übersetzung: Christoph Martin Wieland)
Weiter im Buche Stier.
Die bekannte Saga vom hl. Columban trägt Helmut Stier wie folgt vor: »Der irische Mönch Columban sah eines Tages zu, wie am Bodensee heidnische Alemannen ein Faß Bier auf das Wohl des Gottes Wotan leermachten. In innerem Aufruhr flehte er zum Himmel. Dann hob er das schier zentnerschwere Behältnis in die Höhe, führte das Spundloch an den Mund und blies derart gewaltig hinein, daß die Tonne im Augenblick auseinanderbarst. Welch Hin- und Mitreißendes! Worauf die Versammelten zu Ehren des kräftigen Evangeliums sogleich ein zweites Faß zur Strecke brachten.«
Hin-