gefüllte Fässer in Empfang. Lohn für die glückliche Heimkehr zu Muttern. Heutzutage erhielten sie trockene Orden und Ehrenzeichen. Der barocke bayerische Kurfürst Ferdinand Maria, allergisch gegen alles, was ihn beim Trinken stören könnte, besaß sogar ein schwimmendes Bierfaß. Er hatte es wie ein Schiffchen herrichten lassen, das über Untiefen hinschwebte und, Stürmen wie Wettern preisgegeben, ihn stets im Kielwasser seiner Jacht auf dem Starnberger See begleiten mußte. Wollte man an Bord einen heben, wurde das Faß luvseits vertäut und seine Ladung gelöscht.«
»Ja, daß Fässer eine Öffnung haben, macht ihren besonderen Reiz aus«, und »daß der Menschen Sehnsucht zuweilen nach den Sternen langt, zwingt sie nicht, den Teil ihres Ichs zu verachten, der in ihren zwei Quadratmetern Haut beschlossen liegt«.
Oh, welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!
Große Sätze legt Helmut Stier gelassen nieder: »Der Genuß von Starkbier dient der Befriedigung berechtigter Lebensansprüche«, »Ihr Schluckauf war nicht moralischer Natur«, »Der Pilspokal war Mittler«, »Das Medium Bier hat viel Gutes unter den Menschen angerichtet und immer wieder Heilsames, sprich Verbindendes und Versöhnliches bewirkt. Wie sonst hätte es alle Völker, alle Kriege, alle Krisen so kellerfrisch überdauern können?«
Und wie verhält es sich mit dem Durst, dem Verlangen nach Bier? Helmut Stier: »Die Liebe und der Husten lassen sich nicht unterdrücken. Auch der Durst nicht. Er gleicht einer Naturgewalt. Kurz, wenn wir den Bierdurst stillen, ist das unseres Schöpfers Willen.«
Will man mehr hören?
Ja!
So denn: »Wo der Durst anfängt und wo er endet, dies zu ergründen haben sich Philosophen vergebens bemüht. […] Kaum sind wir auf der Welt, haben wir Durst. Einem Unwiderstehlichen gehorchend, das man die kategorische Schoppenstunde nennen könnte. Ohne Durst, wie trostlos wäre da die innere Einsamkeit so manches Geselligen. […] Die Wonne, den Durst zu löschen, ist trotz der Jahre nicht in unserer Achtung gesunken. Allem Erquicklichen, allem flüssigen Trost zugänglich, stehen wir wurzelfest und wipfelbereit auf der Erde.«
Wurzelfest und wipfelbereit – welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!
Helmut Stier erweist dem Pfälzer Mundartdichter Paul Münch die Reverenz. »Seine Verse lagen nie trocken da, Fässer jeglicher Form waren für ihn eine Art Resonanzboden«, zieht er den Hut und zitiert den himmelsnahen Zweizeiler: »Loßt de Kopp nie hänge’, / Parkbräu gebt’s in Menge’!« Doch am innigsten ist er dem ehemaligen Parkbräu-Biersieder Georg Wiesmath verbunden, wie das Kapitel »Ein Bierphilosoph« belegt.
»Münchner von Geblüt, sah er auf die Welt in ›durstigem Staunen‹, wie Joachim Ringelnatz derlei ausdrückte«, beginnt die herzergreifende Hommage, und nun will ich nur mehr zitieren, zu ehren das unfaßbare Buch Faßliches und Un-Faßliches, zu preisen den Braumeister Georg Wiesmath:
»Nach Feierabend verkroch er sich im hintersten Eck der Betriebskantine, den Maßkrug vor sich, daneben Tinte, Federhalter und Papier. Dort saß er wie unter einer Glocke aus Glas. Nach einigen Schlucken, die ihn labten, als erquicke Sommerregen dürstendes Erdreich, knipste er im Geflecht seiner Überlegungen und Empfindungen den Strom an.
Wo er hindachte, entstand ein Reim. Wer behaupten wollte, bei Hopfen und Malz würden die Musen schweigen, der irrt. ›Denn was ins Bier gebannt der Meister‹, sagte Georg Wiesmath, ›erweckt im Künstler erst die Geister!‹ […]
Sein Vorbild war Paul Münch. In Verbeugung vor diesem ›Bilding frisch vum Faß‹ schilderte er die Grenzen menschlichen Füllvermögens mit diesen Worten: ›Ich wollt’, ich wär ein Parkbräu-Faß, / Außen trocken, innen naß. / Dann bräucht’ ich keinen Maßkrug mehr / Und söffe mich stets selber leer!‹
[…] [E]r beschwor nicht das Beschlauchen, den simplen Massensuff, bei dem der Magen von Flüssigkeit schwappt und aus der Gemütlichkeit allmählich Angst wird vor würgendem Ekel. Er trank nicht, um zu fallen, sondern um sich zu erheben. ›Etwas Helles nach dunklen Stunden!‹ sagte er, leerte den Krug und holte sich einen neuen. ›Wer auf Gott vertraut, der sitze beim Bier, oder er braut!‹ schrieb der Glückliche, vom Himmel mit beneidenswerter Einfalt gesegnet.
Bier schmeckte für ihn wie gebrauter Friede. Stand sein Leben schief, trank er es gerade. Und weil er nie trocken saß, hatte er Humor. […] Georg Wiesmath nach brauchte auch die Seele ihren Stoffwechsel, um sich von den Schlacken der irdischen Unrast zu reinigen.
Die Verse, die der ›Hektoliterat‹ feinsäuberlich niederschrieb, boten freilich keine Höchstleistungen im kritischen Sinne. Aber muß es denn immer nur Höchstleistung sein, aus der die Welt Nutzen zieht? Immer nur dieses Alles oder Nichts?
Klopfte man den Bierstein von seinen Werken ab, kam ein Individuum zum Vorschein, das man ganz einfach lieben mußte. Schade, daß Georg Wiesmath sich längst endgültig fortmachte.«
Oh, welch weise Männer! Preisen will ich Georg Wiesmath! Preisen will ich Helmut Stier! Preisen möchte ich das Bier!
Dank an Klaus Motsch.
PS: Am 1. November 2009 schreibt mir Harry Rowohlt:
»Lieber Jürgen:
… wollen wir aber nicht vergessen, daß das Zitat ›Hei, teure Seele, feuchte deine Asche‹ von Carl Mikael Bellman (in der Nachdichtung von Carl Zuckmayer in seinem Stück ›Ulla Winblad‹) ist (und ›Knipst auf der Geige, und haltet die Humpen fest!‹ weitergeht).
Danke für das Zitat in dem ehrenvollen Umfeld!
Dein Harry«
Kafka in Pirmasens
Pirmasens – hier leistet man sich wieder minus zehn Grad, bei allerdings hellem Sonnenschein samt blauem Himmel, was den ganzen Saustall noch unübersichtlicher macht.
Dieter Steinmann, Mail vom 5. Januar 2010
Arglos fuhren wir zum Kaufland in Pirmasens, um einen ehrlichen Kasten Parkbräu-Pils zu erwerben. Das Pirmasenser Kaufland liegt exakt in der Mitte eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Eckpunkte das Polizeipräsidium, die sagenumwobene Zwickerstubb, an deren Tür ein Schild warnt: »Achtung! Hier wird geraucht!«, und der Imbiß Rundeck bilden, in dem die Stammkund- und die Belegschaft gelegentlich stark unter Fehlbelieferungen mit alkoholfreiem Bier zu leiden haben.
Wir gaben unser Leergut an einer Halle auf dem Parkdeck ab und glitten über kilometerlange Rolltreppen hinunter in den Einkaufsbereich, der ungefähr so groß ist wie der Flughafen von Dallas. Wer all das Zeug, das hier feilgeboten wird, erstehen soll, vermag niemand zu sagen. Der Pirmasenser ist seelisch und anderweitig derart depraviert, daß er weder in der Lage noch gewillt sein dürfte, pro Monat mehr und Sinnvolleres denn zwei Hartwürste, einen Sauerkohl, vier Tüten Muscle-Gain-Food, fünf Landser- und zwanzig Frickelhefte in seinen Besitz zu bringen.
Wir schritten die Regalreihen auf der Suche nach ehrlichem Parkbräu-Pilsener ab. Es war still, fast totenstill, gespenstisch still wie in einem Text von Kafka – bis wir eine Durchsage hörten: »Die 9738 für die 4265!« Und noch mal, diesmal etwas lauter und auch schärfer: »Die 9738 für die 4265!«
»Hehe, der Fleischereioberchef schickt eine Nachricht an seine neue Wurstauszubildende«, meinte mein Kumpel. »Die hat sich jetzt zum Aufbocken ins Kühlhaus zu verfügen! Da wäre man ungern dabei. Sehr häßlich, das, wahrscheinlich, hehe. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, gell!«
Ich schenkte den Worten meines Kumpels keine nähere Aufmerksamkeit und konzentrierte mich auf die Suche nach ehrlichem Parkbräu-Pilsener. Plötzlich eine weitere Durchsage: »Herr Steinmann, die 078379 hier, Herr Steinmann, bitte umgehend in die Rhetorik!«
Ich blieb stehen und zog meinen Kumpel am Arm. »Dieter, hast du das gehört? Die meinen dich!« – »Wer?« – »Keine Ahnung. Aber hast du’s nicht gehört? Du sollst in die Rhetorik kommen!«
Bevor Dieter antworten konnte, tönte es erneut aus den versteckten Lautsprechern: »Und wenn wir schon dabei