»nicht den Mut verlieren«, »beten und tugendhaft sein« und Bücher von Horatio Alger lesen. Es gefällt mir, arbeitslos zu sein. Ich bin faul. Es gibt haufenweise Jobs, aber ich habe verdammt noch mal keine Lust darauf. Es ist ganz einfach: Du arbeitest in Fort Walton, weil du ein guter Sportjournalist bist … und du hängst in New York herum, weil du kein so guter Sportjournalist bist. Alles ist relativ … und hier kommt meine Ode:
»Ah, lebt dort ein Mann, seine Seele geplagt, der niemals zu sich selbst gesagt, als er wohlig in seinem Kuschelbett lag:
Zur Hölle die Miete … ich trink jeden Tag!«
Lass uns die Gläser erheben auf die animalischen Freuden, auf Eskapismus, Regen auf dem Dach und Instantkaffee, auf die Arbeitslosenversicherung und auf Bibliotheksausweise, auf Absinth und großherzige Vermieter, auf Musik und warme Körper und Verhütungsmittel … und auf das »gute Leben«, was immer es sei und wo immer es sich zufällig findet.
Lass uns bis auf die Knöchel ausziehen und alle Sinnenfreuden auskosten: Lass uns über die Welt lachen, wie sie sich durch Atompilzwolkenbrillen spiegelt … und ich gehe davon aus, dass auch wir lieber die Miete zahlen: Zwangsräumung ist, gleich nach Hunger, der schlimmste Begriff des Wörterbuchs.
Hier hast Du es also: das Bekenntnis eines Slackers zu den Vergnügungen des Daseins. Ich sollte es vierzig Mal abtippen und es an alle schicken, die mir ihr Beileid aussprechen, beiliegend das Motto des Monats: »Jeder zehnte Cent zur Rettung von Hunter.«
Ich werde Dich wissen lassen, wenn ich im letzten Stadium der Erniedrigung angelangt bin … Arbeit: dürfte in naher Zukunft unausweichlich sein, aber ich werde mein Bestes tun, einen Job zu finden, der leicht von der Hand geht. Dann wär’s auch an der Zeit für Dich, mich besuchen zu kommen. Bis zum Sommer dürfte ich hier sein. Und auch Dir würde ein bisschen Erholung gut tun.
Lass von Dir hören und schreib mir, wann Du kommst. Bis dahin …
… auf ein Neues:
Hunter
AN VIRGINIA THOMPSON:
Es ist womöglich Thompsons entscheidende Erfahrung auf seinem Weg in den Journalismus, als ihn Time als Büroboten anheuert. Auch wenn er nur fünfzig Dollar pro Woche verdient, macht er die unbezahlbare Erfahrung, für das größte amerikanische Wochenmagazin arbeiten zu dürfen.
23. Januar 1958
110 Morningside Drive, Apt. 53
New York, New York
Liebe Mom,
nachdem Du in Deinem letzten Brief geschimpft hast, dass ich nichts von mir hören lassen würde, kann ich nur mutmaßen, dass meine letzte Sendung auf dem Postweg verloren gegangen ist oder dass ich vergessen haben muss, eine Briefmarke draufzukleben. Genau heute vor einer Woche habe ich Dir einen ausführlichen Brief geschrieben und Dich auf den neuesten Stand gebracht, Dir in allen Einzelheiten mein Alltagsleben geschildert und sämtliche offenen Fragen beantwortet, die mir eingefallen sind.
Zu dem Zeitpunkt lagen die Dinge noch in der Schwebe: Die finanzielle Lage war absolut düster, und es sah so aus, als hätte sich jeder Hoffnungsschimmer über den Winter Richtung Süden verzogen. Es war nicht gerade lustig, Hunger zu haben und irgendwie durchkommen zu müssen.
Ah, aber heute ist es anders: Sogar die Sonne ist rausgekommen, die Luft ist warm, und das Pendel hat doch noch in meine Richtung ausgeschlagen. Du solltest wissen, dass ich jetzt einen Job habe: mit Vertrag und allem, was dazugehört. Am 1. Februar fange ich an, was völlig in Ordnung ist. Ich will’s Dir gerne erklären.
Damit Du verstehst, welchen Triumph ich da errungen habe, musst Du Dir klarmachen, wie es hier zugeht:
Nach New Yorker Standards bin ich komplett unerfahren: Nach den Vorgaben des Zeitschriftenverbands zählt alles mit einer Auflage von unter Fünfzigtausend wie eine Schülerzeitung. Mir steht also das Wort »Anfänger« auf die Stirn geschrieben.
Und für »Anfänger« gibt es im Journalismus genau zwei Glücksfälle: die Stelle eines Büroboten bei der New York Times sowie die Stelle eines Büroboten beim Time Magazin. Das Gehalt ist in beiden Fällen lächerlich gering, und die Konkurrenz nahezu unglaublich. Stell Dir vor, ich musste drei einstündige Bewerbungsgespräche durchstehen; musste meine Lebensgeschichte in allen Einzelheiten erzählen und mich einer umfangreichen ärztlichen Untersuchung unterziehen, um die Stelle zu bekommen – was der Fall ist … Bürobote bei der Time Inc. Doch alles wäre vergeblich gewesen, wenn nicht genau im richtigen Moment einer der bisherigen Boten seine Kündigung bekanntgegeben hätte. Jedenfalls habe ich den Job jetzt: 51 Dollar die Woche. Mittwoch und Donnerstag halbtags. Freitag und Samstag Vollzeit (8 Std.), am Sonntag zwölf Stunden. Montag und Dienstag frei.
Das Büro, in dem ich arbeiten werde, befindet sich im Rockefeller Center, eine der ersten Adressen überhaupt. So habe ich den sprichwörtlichen Fuß in der Tür, und es ist eine der besten Türen in dieser Branche. Ob ich oder ob ich nicht aufsteige, bleibt natürlich abzuwarten. Die Konkurrenz, wie ich schon sagte, ist hart. Drei Büroboten bin ich bislang begegnet: Einer hat in Harvard graduiert, der zweite in Yale, der dritte spricht neun Sprachen. Einer von den Ehemaligen hat neben der Arbeit bei Time vierzehn Theaterstücke geschrieben, und er ist nur gegangen, weil er mit einer seiner Produktionen am Broadway gelandet ist. […] Ich kenne die offizielle Liste der Büroboten hier, die später Karriere gemacht haben, kenne aber nicht die Liste derer, aus denen Suffköpfe geworden sind, und ich stelle mir vor, dass auch sie ziemlich lang sein muss.
Time bezahlt auch die Hälfte der Gebühren (bis zu dreihundert Dollar im Jahr) für die Hochschulen vor Ort – wahrscheinlich ein Zugeständnis aus Schuldgefühlen. Fünfzig Dollar die Woche, das ist natürlich nicht viel, noch dazu in New York.
Wenn es noch nicht zu spät ist, werde ich unbedingt versuchen, zum nächsten Semester auf die Columbia zu kommen. Noch weiß ich nicht, ob Time die Hälfte der Gebühr am Anfang oder am Ende des Semesters bezahlt. Allerdings könnte es so oder so gut sein, dass mir das Geld ausgeht. Und hier wieder die berühmte Frage: Wie flüssig ist Memo3 in dieser Hinsicht? Wenn Time nach dem Prinzip der Rückerstattung verfährt, werde ich nicht genug haben, um mich in der Columbia einschreiben zu können, ganz gleich in welchem Fach. Es wäre dann höchstens noch möglich, dass ich in einem Schreibkurs in einem der anderen Studierpaläste hier in der Stadt unterkomme. Mehr dazu beim nächsten Mal.
Letzte Woche war die Armut geradezu erdrückend. Seit ungefähr zehn Tagen habe ich überhaupt kein Geld mehr, wirklich harte Zeiten. Ich werde es schon irgendwie schaffen – mit einigen schmerzhaften Wunden, die meine jugendlich optimistische Seele davonträgt. Wenigstens weiß ich jetzt, warum es Leute gibt, die bei A&P einkaufen.
Allein schon über meine Armut zu sprechen deprimiert mich immer ein wenig. Sollte es noch irgendwelche weiteren Gelddinge zu regeln geben, werde ich mich bei Dir zu einem späteren Zeitpunkt melden. Bis dahin lassen wir es damit bewenden.
Richte Davison Glückwünsche von mir zu seiner Nominierung für die nationale Auswahl aus. Schön zu wissen, dass er und sein Kumpel John bis zum Schluss mit dabei sind. Hat sich Dave schon endgültig für ein College entschieden? Wie hat ihm der Besuch bei Vandy gefallen? Und gibt es Neuigkeiten zum Geschäft mit Grantland Rice? […]
Jetzt, wo ich eine einträgliche Beschäftigung gefunden habe, muss ich mich auch darum kümmern, eine passende Bleibe zu finden. Ich werde heute oder morgen nach Greenwich Village fahren und mich über die Angebote informieren: vermutlich ist die Auswahl bei meinem Gehalt nicht allzu groß … Wohnungen mit fließend kaltem Wasser und so etwas. Aber das lässt sich alles hintanstellen, bis etwas Besseres auftaucht: Bis dahin werde ich entweder bleiben, wo ich bin und mir in Ruhe etwas im Village suchen, das mir gefällt, oder ich komme hier in der Umgebung unter.
Übrigens war es kein bisschen mein Plan, mich »zur Ruhe zu setzen«, als ich von Jersey Shore weggezogen bin. Ich hatte beschlossen, nach St. Louis zu fahren und wollte in Louisville bloß einen Zwischenstopp einlegen, um Urlaub zu machen – nicht mehr. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es, zumindest