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Was bildet ihr uns ein?


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Doktoranden zweiter Klasse

      Sebastian Kempkens

       Der stille Begleiter – wie der Habitus den Berufseinstieg behindert

      Susanne Julia Czaja

       Staffellauf statt Hürdenlauf

       Ungleiche Kämpfe – die öffentlichen Debatten um die richtige Bildung

      Susanne Brehm und Christopher Hempel

       Sehr geehrte Hoffnungstäter

      Bettina Malter

       Vorwort

      von Wolfgang Gründinger

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      „Betreten auf eigene Gefahr“ steht auf Schildern überall auf dem Campus der Uni Regensburg – schwarz auf weiß. Würden die Studierenden die Warnung ernst nehmen, dürften sie keinen Fuß mehr auf den Campus setzen. Die Philosophische Fakultät ist mit Bauzäunen umstellt, zum Schutz der Passanten vor herausbrechenden Gesteinsbrocken. Beinahe wäre selbst der Rektor von solch einem Brocken erschlagen worden, der sich aus der Betonfassade löste und neben ihm auf den Bauzaun krachte. „Das war ganz schön knapp“, erinnert sich der Rektor, der noch mit dem Leben davon kam. Jahre später ist das Gebäude immer noch marode: „Für eine Sanierung fehlt uns das Geld.“

      Einmal kam Papst Benedikt höchstpersönlich zu Besuch an diese Uni. Er amtierte dort als Honorarprofessor für Dogmengeschichte und darauf ist die Uni mächtig stolz. Deshalb wollte man in besonders gutem Glanz erstrahlen und plötzlich wurde doch investiert: Das Verwaltungsgebäude wurde grau gestrichen, und der Weg von der Eingangstür bis zum Audimax wurde schön gefliest. Der „Papstweg“ fällt ins Auge. Denn das Gros der Böden in der Uni besteht nicht aus glänzenden Fliesen, sondern aus unansehnlichen Pflastersteinen – wohlgemerkt: Pflastersteine zieren nicht etwa nur das Campusgelände, sondern auch die Gänge in den Hochschulgebäuden. Die grauen Betonwände haben noch nie einen Strich Farbe gesehen. Manche Flure können bei starkem Regen nicht mehr trockenen Fußes durchquert werden, weil die Bausubstanz löchrig ist und das Regenwasser durchtropft. Selbst einige Regale der Bibliotheken müssen zum Schutz vor Regenwasser mit Planen abgedeckt werden.

      Die deutschen Hochschulen sollen weltweit in der ersten Liga spielen, doch gleichzeitig sparen die Politiker die Bildung kaputt. Auch das unbeugsame Bayern lebt wortwörtlich von der Substanz. Von „Bayerns größter Bruchbude“ spricht die Süddeutsche Zeitung mit Blick auf die Uni Regensburg. Die Lehre ist sicherlich hochwertiger als der äußere Anschein der Gebäude, in denen sie stattfindet. Aber auch in den Lehr- und Studienbedingungen ließe sich vieles verbessern.

      Das Knausern bei den Bildungsinvestitionen verschiebt gewaltige Lasten in die Zukunft. In einem Land, dessen wichtigster Rohstoff bekanntlich seine Köpfe sind, leidet die junge Generation unter sich verschlechternden Studienbedingungen. Alle Exzellenz-Initiativen verkommen zum bloßen Ablenkungsmanöver, wenn sonst allerorten an der Zukunft gespart wird, anstatt für die Zukunft zu sparen. So mag vielleicht die schwarze Null im Staatshaushalt näher rücken, doch die wirkliche Belastung nachrückender Generationen wächst umso schneller.

      Über die Weihnachtszeit muss die Uni Regensburg – wie inzwischen auch andere Unis im ganzen Land – ihren Betrieb dichtmachen, um Heizkosten zu sparen. Würde man die Unis energetisch sanieren, könnten die Heizkosten hingegen dauerhaft um mindestens ein Drittel gesenkt werden. Doch selbst in Zeiten, in denen sich die Kanzlerin vor schmelzenden Eisbergen fotografieren lässt, sind für diese Investition in Nachhaltigkeit keine Mittel übrig.

      Die chronisch unterfinanzierten Hochschulen wurden seit den EU-Beschlüssen von Bologna 1999 von den Plänen der Bildungsreformer getrieben. Die Ideen waren gut, doch die Umsetzung im Bologna-Prozess missglückte gründlich: zu viele Kinderkrankheiten, die früh diagnostiziert waren, deren Behandlung aber immer wieder verschoben wurde – zum Schaden der Studierenden.

      Die Umstellung der alten Magister und Diplome auf das neue System aus Bachelor und Master klappte nur an wenigen Unis nicht nach dem Motto „Verdichten, verschulen, umbenennen“. Enge Stundenpläne und Prüfungswut produzierten immensen Zeit- und Leistungsdruck. Sie raubten Freiräume, über den Tellerrand des eigenen Studienfaches nachzudenken, sich Nachhilfe zu nehmen, sich erst einmal im Uni-Leben zurechtzufinden. Vor allem für Studierende aus sozial schwächeren Elternhäusern wurde das Uni-Leben noch schwieriger. Denn sie haben weniger Zeit, sich durch Nebenjobs über Wasser zu halten.

      Erst recht verhindert der Leistungsstress politisches Engagement. Seit Bologna brechen den NGOs und zivilgesellschaftlichen Initiativen die längerfristig engagierten Studenten weg, weil die ihre Zeit in der Bibliothek verbringen statt beim Planungstreffen der Nachhaltigkeitsgruppe. Selbst etablierte studentische Organisationen, die bislang fest im Sattel saßen, leiden unter Nachwuchsproblemen, z. B. AIESEC, ELSA oder die Amnesty-Hochschulgruppen. Die Zeitverdichtung im Bildungssystem ruiniert freiwilliges Engagement. Für Sich-Ausprobieren und Weltverbessern bleibt in einem effizienten Studium keine Zeit. Wo früher noch mühelos Streikwochen eingelegt werden konnten, ohne die Abschlussnote zu gefährden, zählt heute von Anfang an jede Note. Gnadenlos.

      Man muss sich fragen, ob die Ideologie des „immer schneller“ wirklich Sinn ergibt. Einfach mal in Vorlesungen reinschnuppern, die nicht für die Note zählen? Dazu ist kaum Luft. Weil viele Pflichtveranstaltungen nur unregelmäßig angeboten werden, ist die genormte Regelstudienzeit für Studierende, die nebenher arbeiten müssen, Kinder haben oder sich gesellschaftlich engagieren, nicht zu schaffen.

      Statt Reflexion zu üben, werden vorgefertigte Rezepte auswendig gelernt, für deren Infragestellen keine Zeit bleibt. Studenten werden mit Wissenshäppchen abgespeist und vollgestopft. Es gilt das Prinzip: Pauken statt Wissenschaft. Prüfungen sind schön und gut, aber wenn nicht mehr gedacht, sondern nur noch geschluckt wird, haben die Hochschulen ihren Auftrag verfehlt. Blindlings schraubten die Bologna-Reformer die Arbeitsbelastung hoch, und vergaßen Studienqualität und Studierbarkeit.

      Auch an den Schulen ging die Bologna-Denke des „immer schneller“ nicht vorbei. Kürzere Schulzeiten sind nicht des Teufels – aber wenn das Gymnasium von 13 auf zwölf Jahre verkürzt wird, muss damit eine grundlegende Entschlackung des Lehrplans einhergehen und nicht Konzeptlosigkeit herrschen. In Bayern schafft jeder dritte Schüler das Turbo-Abitur nur mit Nachhilfe. Die Arbeitszeit eines Schülers beträgt dort mehr als vierzig Stunden pro Woche – wohlgemerkt in einem Halbtagsschul-System. Die Nachhilfeindustrie wächst rasant. Wer das Schulversagen nicht durch privat bezahlte Paukstunden kompensieren kann, fliegt raus. Eine Kürzung der Schulzeit ohne bessere Curricula und bessere Betreuung verbaut nicht nur jede Chancengleichheit, sondern verändert auch das Bild von der Schule, die mehr und mehr zu einem (schlecht gemanagten) Produktionsstandort für den Arbeitsmarkt wird, statt ein Ort der Entfaltung und Entwicklung zu sein. Schule wird begriffen als Wettlauf um Prüfungsnoten und -scheine, nicht als Freiraum zum Ausprobieren und zur Selbstverwirklichung. Non scholae, sed vitae? Fehlanzeige! Kürzer ist nicht gleich besser.

      Nichts entscheidet hierzulande so stark über die Chancen eines jungen Menschen wie die Gnade oder Ungnade seiner Geburt. Formal ist der Bildungszugang für jeden gleich – doch Kindern aus sozial schwachen Elternhäusern fällt der Aufstieg dreimal schwärer. Sie werden zu Hause nicht genug gefördert, weil Geld fehlt und der Lebensstil der Eltern nicht immer die beste Unterstützung ist. Das Versagen der Eltern wird von der Politik noch verschärft: Bereits nach der 4. Klasse werden die Kinder nach Leistung auf die verschiedenen Schultypen aufgeteilt. Das ist viel zu früh, um Begabungen auch nur einigermaßen erkennen zu können. Regelmäßig belegen OECD-Studien außerdem, dass Kinder aus Akademikerfamilien