Gerwalt

In seinem mörderischen Element


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auf dem gepflasterten Parkplatz. Als sie ausstieg, dachte sie besorgt über die Möglichkeit nach, dass der Motor Öl verlieren und dieses auf die rotbraunen, makellosen Pflastersteine tropfen könnte. Sie ging an dem Vorgarten voller Blumen und Ziersträuchern vorbei in das Haus hinein. Die Eingangstür war aus massivem Holz, in den Griff, welcher sich quer über die Türbreite erstreckte, war eine Weintraube geschnitzt. Drinnen herrschte derselbe Stil vor: massives, aber freundlich helles Holz, weißer Putz an den Wänden. Als Naomi etwas unschlüssig an der Rezeption stand, kam eine Frau auf sie zu. Sie war etwa in Naomis Alter, Anfang dreißig, und trug einen für Naomis Geschmack etwas abenteuerlichen Aufzug: eine rot karierte Bluse, enge und kurze Trachtenlederhosen, dazu rote Ballerinas. Ihre Beine waren schlank und ausgesprochen anziehend, doch auf ihrem linken Oberschenkel prangte ein großer blauer Fleck. Die Frau hatte kurze, etwas zerzaust wirkende blonde Haare, eine prägnante, gerade Nase und graue Augen. Trotz ihrer merkwürdigen Aufmachung fand Naomi sie recht hübsch.

      »Sie müssen Frau Gerber sein«, sagte die Frau, und ihr sächsischer Akzent traf Naomi völlig unerwartet. Sie reichte Naomi die Hand. »Ich bin die Ulli.«

      Immer noch perplex ob des unerwarteten Dialekts schüttelte Naomi Ulli die Hand. »Ich bin Naomi.«

      »Ein schöner Name. Komm, holen wir dein Gepäck rein.«

      Das Zimmer war nicht sehr groß und eher spartanisch eingerichtet, aber hell und freundlich. Naomi stellte ihren Koffer ab.

      Ulli sah sie von der Seite an.

      »Tasse Kaffee und ein Stück Schwarzwälder? Geht aufs Haus.«

      Naomi kämpfte kurz und vergeblich mit sich.

      »Gerne.«

      Sie folgte Ulli also wieder hinunter in den Schankraum.

      Die Sächsin in Lederhosen schnitt zwei große Stücke von der Schwarzwälder Kirschtorte ab, goss Kaffee in zwei Tassen und trug Kaffee und Kuchen zu einem der Tische.

      Naomi trank einen Schluck, dann grub sie ihre Gabel in das Tortenstück. Einen Augenblick lang gab sie sich ganz dem Genuss hin, kostete den Geschmack von Sahne, braunem Biskuit, Schokolade, Sauerkirschen und Schnaps aus. Möglicherweise hatte sie die Augen geschlossen, denn Ulli lächelte amüsiert.

      »Du stammst nicht aus der Gegend, nicht wahr?«, fragte Naomi.

      Ulli nahm einen Schluck Kaffee und lachte.

      »Ei verbibbsch, nee«, sagte sie mit übertriebenem Akzent. »Meine Eltern ham gleisch nach der Wende riebergemacht. Bloß mein Männe stammt aus der Gegend hier.«

      Sie kicherte, und auch Naomi stimmte in ihr Lachen ein.

      »Gefällt es dir hier?«

      Wieder lachte Ulli und klopfte auf ihre Lederhose.

      »Du siehst doch, ich versuche mich anzupassen …«

      Etwas ernster setze sie hinzu:

      »Doch, ich bin gerne hier. Wir haben die ›Traube‹ vor fünf Jahren gekauft und renoviert und zahlen jetzt kräftig ab. Aber es lebt sich hier sehr gut. Die Leute sind einerseits ziemlich geschäftig, aber auf der anderen Seite sehr entspannt. Das gefällt mir.«

      »Ist dein Mann nicht da?«

      Naomi wusste selbst nicht, warum sie fragte, war sie doch erst vor einer halben Stunde angekommen, und Ullis Mann konnte sich sowohl irgendwo im Haus aufhalten als auch zum Beispiel gerade auf eine Besorgung unterwegs sein. Dennoch wusste sie intuitiv, dass Ulli alleine lebte.

      »Mein Mann reist viel. Er ist auf Montage, jetzt gerade in Südafrika. Aber am Wochenende war er da.«

      Ulli lächelte halb sehnsüchtig, halb verloren, und Naomi sah unwillkürlich auf Ullis Oberschenkel mit dem verblassenden Hämatom.

      »Er kommt nur alle paar Wochen, und ich muss den Laden hier notgedrungen alleine schmeißen. Aber wir brauchen das Geld.« Sie brach ab und sah Naomi von der Seite an. »Ich will dich aber jetzt um Himmels Willen nicht mit meinen Problemen zutexten.«

      Sie nahm einen Bissen von der Torte.

      »Und was treibt dich hierher?«

      Naomi dachte kurz nach, dann entschloss sie sich, die Wahrheit zu sagen.

      »Ich mache hier Urlaub. Und gleichzeitig will ich eine Reportage schreiben.«

      »Über die Gegend hier?«

      »Über den Pamina-Mörder.«

      Ganz offensichtlich hatte sie gerade das Falsche gesagt, denn Ullis Miene verschloss sich augenblicklich.

      »Um den wird jetzt schon viel zu viel Aufhebens gemacht«, sagte sie abweisend.

      »Schlecht fürs Geschäft?«

      »Unter anderem auch, ja.«

      Naomi dachte über dieses »unter anderem« nach.

      »Ich weiß noch nicht, ob der Artikel je veröffentlicht wird. Ich schreibe ihn ohne konkreten Auftrag.«

      »Bist du nun Journalistin oder nicht?«

      »Ich bin schon eine Journalistin, aber normalerweise schreibe ich für das Feuilleton.«

      »Und warum dann diese Sensationsnummer mit dem Pamina-Mörder?«

      Naomi zuckte mit den Schultern.

      »Berufliche Krise? Selbstfindungsprozess? Ein letzter Versuch, doch noch Karriere zu machen? Ich habe keine Ahnung.«

      Ulli deutete auf die Tasse.

      »Nimmst du noch einen?«

      »Danke, nein.«

      Naomi aß ihren Kuchen auf. Sie seufzte genießerisch.

      »Es ist eine Sünde. Es ist echt eine Sünde. Aber er schmeckt einfach zu gut … – Um auf den Mordfall zurück zu kommen: Sagst du mir trotzdem, wo ich die Gertelsbacher Wasserfälle finden kann?«

      Ulli seufzte.

      »Fahr die Straße den Berg hinauf, bis du nach Bühlertal kommst. Dann weiter, links den Berg hoch. Beim Hotel Wiedenfelsen zweigt genau an der Serpentine ein Weg ab. Dort sind die Wasserfälle. Sie sind eigentlich nicht zu verfehlen.«

      »Danke.«

      »Kommst du zum Abendessen zurück?«

      »Ich denke schon.«

      »Dann bis später.«

      »Ja, bis später. Es war nett mit dir zu plaudern, Ulli.«

      Ulli lächelte und stand auf.

      Wieder musste Naomi auf ihre Beine sehen, auf den blauen Fleck auf Ullis schlankem Schenkel. Sie fragte sich, wie er wohl entstanden sein mochte.

      *****

      DER PARKPLATZ war wirklich leicht zu finden gewesen. Naomi hatte sich während der Durchfahrt durch Bühlertal in einem kleinen Lebensmittelladen noch eine Flasche Wasser und ein paar Äpfel gekauft.

      Jetzt stellte sie den Ka am Beginn des Wanderweges auf dem Parkplatz ab und folgte zu Fuß der Beschilderung. Nach einer Viertelstunde hatte sie den Beginn der mehrstufigen Wasserfälle erreicht. Der Wald war hier hoch und dicht, es herrschte ein feuchtes, kühles Halbdunkel. Naomi schloss die Augen und roch: Moos, Farn, Tannen und den Geruch des herabstürzenden Wassers.

      Kann man Wasser eigentlich wirklich riechen?, dachte Naomi und öffnete die Augen wieder. Sie folgte dem Wanderweg, der die Kaskaden entlang von unten nach oben führte, stieg über flache Steinplatten, ging an großen, mit Moos bewachsenen Felsen vorbei.

      Das ist wirklich eine wildromantische Zauberwelt aus Tannen, Felsen und plätscherndem Wasser, dachte Naomi. Es würde mich nicht wundern, wenn es hier Trolle oder Wichtel gäbe.

      Doch dann fielen ihr wieder der Polizeibericht und die Reportagen ihrer Kollegen ein, und sie fröstelte.

      Sie