sah auf die Uhr. Die Christen bimmelten später als gewöhnlich. Hatten sie endlich ein bisschen Einsehen? Nein, das verspätete Läuten verdankte sich einzig dem Umstand der Umstellung öffentlicher Uhren auf die Winterzeit. Die Christen missverstanden Religionsfreiheit weiterhin als Einladung zur Belästigung anderer; das ist ja auch die tragende Säule ihres Glaubens seit dessen Anbeginn.
Ich aber hatte eine Stunde Zeit gewonnen, die ich nicht erbeten hatte. Es gibt kein größeres Übel als ein Übermaß von Zeit zur persönlichen Verfügung; dabei ist noch niemals etwas Gutes herausgekommen. »Ich hatte leider Zeit«, heißt es bei Joachim Ringelnatz. Mir wurde unwohl; eine Stunde Zeit pro Tag extra, was war das denn wieder für ein Unfug?
Wenn ich diese Zeit, spann ich den Faden weiter, ein Jahr lang ansparte, ergäben sich daraus bei 365 Tagen mehr als 15 Tage. Das warf bedrückende Fragen auf: Was würde ich mit dieser Zeit anfangen müssen? Und vor allem: Wie war das Wort »ansparen« in meinen Kopf gekommen?
Mir fiel wieder ein, wie ich tags zuvor einen Freund gefragt hatte: »Wenn morgen die Uhren auf Winterzeit umgeschaltet werden, dreht man die Zeiger dann eine Stunde vor oder eine zurück?« Er hatte mich angesehen, als sei ich ein Dreikäsehoch: »Natürlich stellt man sie vor! Es muss ja morgens früher hell sein. Also ist im Winter acht, was im Sommer sieben ist.«
Ich hing, nach guter Auskunft dürstend, an seinen Lippen, doch wurde ich gewahr, wie sein Geist ins Schlingern und Taumeln geriet auf strunkeligem Terrain. »Nein, Quatsch«, korrigierte er sich, »es ist ja ganz anders. Also man stellt die Uhr nicht vor, sondern zurück, damit es abends länger dunkel ist. Damit sieben quasi acht ist oder vier fünf...« Er brach den Satz ab und begann, mit Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand die Finger seiner rechten abzuzählen, während ich ihm zusah und stumm mitzählte. Ich war sehr froh, dass seine beiden Kinder uns nicht so sehen konnten.
Auch am folgenden Tag stellte die Umstellung der Uhren mein Leben auf eine harte Probe. Es war eine Probe mit der Band, angesetzt für 9 Uhr 30 am Montagmorgen. Hätte sie in der Sommerzeit erst ab 10 Uhr 30 stattgefunden oder schon ab 8 Uhr 30? Wieso wollte ich das wissen? Und warum probten Musiker überhaupt am Morgen? Wurde man nicht Musiker, um ein Leben im Lotterbett und in Saus und Braus zu führen? Oder war das eine geradezu verspießert antiquierte Vorstellung?
Ich schaltete das Radio ein; das Kulturradio gibt Antworten auf Fragen, die ausschließlich sogenannte und selbstempfindende »Kulturmenschen« plagen. Ein Sprecher sagte, die Umstellung der Uhrzeit würde durch eine »Atomuhr« gesteuert; er sagte tatsächlich »Atomuhr«. Was ist eine »Atomuhr«? So etwas wie ein »Atombusen«, nur eben als Uhr? Eine Uhr mit Leuchtzifferblatt? Eine radioaktive Armbanduhr? Meine Armbanduhr leuchtet nicht, sie hat nur einen Minuten- und einen Stundenzeiger und kann sonst nichts, kein Datum anzeigen oder die Wassertiefe messen oder was die dicken Zwiebeln sonst noch so auf der Pfanne haben.
Meine Armbanduhr ist analog und flach und unauffällig; sie hat ein Lederarmband, das manchmal, vor allem im Sommer, wenn man etwas mehr schwitzt, ziemlich stinkt. Wenn man mit der Uhrhand in Nasennähe kommt, riecht das etwas eklig, aber man schnuffelt trotzdem am Armband herum, um den Uhrarmbandgeruch einzusaugen und abzuspeichern. Der Uhrarmbandgeruch ist bei jedem Menschen anders, er ist quasi sein ihm wesenseigener olfaktorischer Fußabdruck; manche sagen auch, er mache einsam. Wenn man starken Uhrarmbandgeruch hat, weiß man, dass die Uhren auf Sommerzeit gestellt sind, bei schwachem oder ganz verschwundenem Uhrarmbandgeruch herrscht Winterzeit; dies nur zur groben Orientierung.
Erhellende Kulturradioantworten hin oder her: Ich würde nie eine Atomuhr tragen, das käme mir affig vor und protzig. Es gibt aber Staatenlenker, Wirtschaftskapitäne, Fußballvereinsvorstandsvorsitzende Klammer auf Rummenigge Klammer zu und Dickdenker, die eine möglichst teure Atomuhr am linken Handgelenk tragen, mit einem Armband aus Platin oder Titan, damit es nicht stinkt und sie keinen Uhrarmbandgeruch haben, denn dann wäre es schnell Essig und aus und vorbei mit dem Top- und Spitzenleben als Staatenlenker, Wirtschaftskapitän, Fußballvereinsvorstandsvorsitzender Klammer auf Rummenigge Klammer zu oder Dickdenker. Bei schlicht strukturierten Konkurrenten löst die Atomuhr am Handgelenk Neid aus und lautstark vierjähriges »Haben will, auch haben will!« Der Präsident des Iran, ein Simpel vor dem Herrn wie zuletzt vor ihm nur George Bush, möchte auch eine Atomuhr spazieren tragen wie die anderen wichtigen Kinder, die ihn aber nicht dabeihaben wollen. Der iranische Präsident darf nicht mitspielen, nicht mal als Torwart, und von sowas hat man am Ende noch einen Weltkrieg an der Backe.
Wenn diese Fittis eine einfache Uhr ohne Atom, aber dafür mit Uhrarmbandgeruch trügen, an der sie versonnen herumzuschnobern wüssten, dann sähe diese Welt anders aus. Aber sowas von.
Der Teufel steckt im Paket
Wer Deutschen etwas unterjubeln will, der verkauft es ihnen »im Paket«. Paket, das klingt doch wie Weihnachten, nach einem Geschenk oder zumindest nach einer schon sehnlich erwarteten Sendung.
Auch von der Bank und der Versicherung bekommt der Deutsche alles »im Paket«, denn »im Paket« ist »kompakt«, was immer mit »kompakt« gemeint sei; doch nicht etwa der Kompakt mit dem Teufel? Aber nein, »kompakt« hört sich »griffig« und »robust« zugleich an und hat auch die Anmutung von Rabatt beziehungsweise sogar von »Extras«. Im kompakten Paket, scheint es, hat man alles beisammen, »im Paket« ist auch praktischer und günstiger als in einzelnen Teilen; kurz: »im Paket« ist »die perfekte Lösung«, die »kompakte Paketlösung« eben.
Tatsächlich bekommt man »im Paket« mehr angedreht als einem lieb sein kann; »im Paket« ist wie »All you can eat«, alles was reingeht, auch wenn es wehtut. Im Paket ist wie »all inclusive« und schließt eben auch all das ein, was man auf gar keinen Fall haben oder erleben möchte. Wer etwas »im Paket« bekommt, kann sich des Unerwünschten, Unerbetenen gewiss sein; ob das, was er eigentlich bestellte, »im Paket« dann überhaupt noch vorhanden ist, fällt eher in den Bereich des Fakultativen. »Im Paket« bedeutet »Friss oder stirb« und ist also, mit einem anderen Haudraufundschlusswort gesagt, ganz und gar »alternativlos«.
Die Steigerung von »im Paket« heißt »im Doppelpack«; Doppelpack bedeutet zwei Pakete in einem, man bekommt also doppelt soviel bei gleichzeitiger doppelter Ersparnis, aber Ersparnis von was? Wer darüber einmal nachdenkt, und zwar kompakt, dem schwirrt schon bald der Kapet-, nein: der Paketkopf: Doppelpack schlägt sich, Doppelpack verträgt sich.
Paket ist ein anderes Wort für Mogelpackung: »im Paket« bekommt man zehn Dinge angedreht, von denen man mindestens neun gar nicht will oder braucht. Das gilt im – gepriesen sei das Wort »online Bestell-Shop« – ebenso wie im Bankwesen oder in der Politik. Pakethändler sind Trickbetrüger, und ein Anlageberater oder Finanzminister, der Ihnen etwas »im Paket« serviert, hat eine große Karriere als Hütchenspieler entweder schon hinter oder noch vor sich.
Pakete sind ein gutes Geschäft für den, der nichts zu bieten hat, aber jede Menge Schruuz und Schrapel loswerden muss. Sie haben kleine Kinder, die hin und wieder anderswo gern etwas zerdeppern oder Sie sind selbst ungeschickt und klumsig und möchten deshalb eine Haftpflichtversicherung abschließen? Im Paket geht das doch viel besser, und ehe Sie sich’s versehen, sind Sie gegen alles versichert, das Ihnen außerhalb eines Versicherungsbüros niemals zustoßen kann. Auch der Kindermund weiß ein Lied davon zu singen und schuf eine Parodie auf die Reklameparole eines großen Versicherungskonzerns: »Hoffentlich am Schwanz versichert«. Aber im Paket, bitte.
Wer die Welt »im Paket« anbietet, betrachtet auch ihre Bewohner paketweise, als Herde und Abmelkmasse, die nicht en detail, sondern en gros Gewinn abwirft, eben »im Paket«. Denn die Geschäftsordnung besteht: Wer nicht allein zugrunde geht, der geht zusammen, im Paket.
Super sagen
Alle sagen »super«, und das schon lange. Mindestens seit Beginn der Neunzehnhundertneunziger Jahre ist alles »super«, auf Österreichisch »ßuupá!«, auf Schweizerdeutsch »ßuuprr!«. Auch die beinahe schon verzweifelt deutliche Parodierung durch »Supi! Supi! Supi!«, die ich dem »Super«-Geschrei im Jahr 1993 entgegenwarf, richtete selbstverständlich nichts aus gegen die Inflation des »super« beziehungsweise sogar »das ist ja suuper!«
»Super« passt perfekt zur allgemein