von »super«. Die McKinseyisierung der Welt schafft eine eigene, mckinseyisierte Sprache, in der jeder Kosteneinsatz »minimiert«, jeder Gewinn »maximiert« und somit alles »optimiert« wird, zumindest theoretisch, und der einzige Laden, der garantiert immer verdient, heißt McKinsey. In Brechts Gedicht »Ein Fisch mit Namen Fasch« sind Funktion und Nutzen der McKinsey-Sorte Existenz treffend beschrieben. Niemals ist oder wäre die McKinseysprache das, was manche Leute als »rassistisch« oder »sexistisch« bezeichnen, wenn Geschlecht und Hautfarbe eines Menschen genannt werden; die McKinseysprache ist ganz neutral menschenfeindlich, sie kennt nur noch »Personen«, die man entlassen beziehungsweise »freisetzen« oder »freistellen« kann, und das ist unbedingt ein Fortschritt.
Ungemein tröstlich aber ist, dass es einen Ort gibt, an dem man ohne Bedenken »Super« sagen kann. Es handelt sich dabei um eine Tankstelle.
Entspannte Kommunikation
Der Mann am Nebentisch sieht aus wie Til Schweiger mit diesen Gesichtsflusen, über die man in ein paar Jahren sagen wird, sie seien in besonders peinlichen Zeiten Mode gewesen. Er trägt halblange schwarze Hosen und spricht mit ausladenden Handbewegungen. Ohne neugierig zu sein, erfährt man, dass sein »Projekt« gut läuft und »Perspektive hat« und alles »ganz entspannt« ist. Auch seine Freizeitgestaltung ist »der Hammer« und »total entspannt«, sagt er, ruckelt mit dem Kopf und rudert mit den Armen herum.
Seine Zuhörerin ist deutlich jünger als er, sie hat langes, dunkles Haar, leuchtend dunkle Augen und sagt nichts. Das wäre auch schwierig, denn er spricht ohne Unterlass über sein eines Thema: Wie er doch so großartig und alles so entspannt ist. Dabei starrt er sie aus engen Spermaaugen an, schenkt Wein nach, den er »echt super« findet und das auch mitteilt, sonst wüsste man es ja nicht, und dann wäre das Leben an den Nebentischen des großen Mannes inhaltslos und leer.
Sein Telefon klingelt, er spricht kurz hinein, »ja, alles klar, machen wir so, ganz entspannt«, und dann berichtet er der Dunkelhaarigen, dass auch »das nächste Ding total easy« sein wird. Irgendwann schweigt er tatsächlich mehrere Nanosekunden am Stück; ob er sich eine Zungenzerrung zugezogen hat? Die Dunkelhaarige nutzt die Gelegenheit und spricht. »Mein Freund«, hebt sie an, das ist deutlich, er unterbricht sie und fragt: »Wie läuft es denn so mit euch beiden, alles ganz entspannt?«
Sie spricht weiter, er verlegt sich aufs Interesseheucheln, sagt »Aaah ja«, nickt beständig und lässt seinen ejakulatfarbenen Blick auf ihr liegen, sie klammert sich an die Schutzworte »mein Freund«, und dann passiert das Malheur: Der Samen tritt ihm zwischen den Lidern aus, und sie reicht ihm ein Papiertaschentuch.
Männer, die »...und meine Wenigkeit« sagen
»Weniger wäre mehr gewesen«, lautet ein nicht selten zutreffendes Urteil. Manchmal will weniger aber auch nur mehr sein: Wenn jemand sich selbst »meine Wenigkeit« nennt, dann ist dieses Wenige weit mehr an Eitelkeit, als man sonst geboten bekommt.
»Meine Wenigkeit« klingt verdruckst und protzig zugleich und platzt schier vor geheuchelter Bescheidenheit. Wer »meine Wenigkeit« sagt, spricht von sich selbst in der dritten Person und ist schon gut fortgeschritten auf dem Weg in den Cäsarenwahn. Der hört sich im Endstadium dann so an: »Das hat ein Lothar Matthäus nicht nötig«, oder: »Der Papa geht jetzt mal in den Laden und dann kommt der Papa aber auch gleich wieder raus.« Es sind die Würstchen, die den Napoleon-Komplex kultivieren. Würstchen erkennt man daran, dass sie zu allem ihren Senf dazugeben müssen. Oder daran, dass sie »meine Wenigkeit« sagen.
Niemals hörte ich eine Frau sich selbst »Meine Wenigkeit« nennen. Keine Frau, und mag sie noch so mit sich hadern, bringt das über sich. »Meine Wenigkeit« ist männlich, eine Mischung aus Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung. Man bläst sich auf, man macht sich runter, und dazwischen ist nichts. Beziehungsweise eben »Meine Wenigkeit«.
Welches Kind hätte »Mein Urgroßvater und ich« von James Krüss gelesen, wenn das Buch »Mein Urgroßvater und meine Wenigkeit« hieße? Robert Gernhardts Roman »Ich Ich Ich« dürfte unter dem Titel »Meine Wenigkeit Meine Wenigkeit Meine Wenigkeit« kaum einen Leser gefunden haben, und Arthur Rimbaud wäre mit dem Satz »Meine Wenigkeit ist ein anderer« allenfalls als prätentiöser Selbstspreizer aufgefallen.
Vieles schon ist gegen den nicht sehr originellen und genau deshalb aber auch so gern genommenen und gehörten Satz »Ich liebe dich« vorgebracht worden. Verglichen mit »Meine Wenigkeit liebt dich« aber leuchtet er geradezu arsch- und sternenhimmelklar.
Blasenexperten
»China, also die ganze chinesische Wirtschaft, das ist doch nur eine einzige gigantische Blase. Und wenn die platzt ...«
Der ältere Herr am Nebentisch spricht in dramatischem Ton auf ein vergleichsweise etwas jüngeres Gegenüber ein, einen Mann Mitte 50, der die Bedeutsamkeitsbeschallung offensichtlich nicht als übermäßig beglückend empfindet, aber in einer Art Höflichkeitsstarre verharrt. Bevor er erfahren muss, was passieren wird, wenn die riesige chinesische Blase platzt, klingelt sein Telefon, das er, erleichterten Antlitzes, aus seiner Tasche zerrt. Sehend, wer ihn anruft, maskiert er sich mit einem Lächeln und flüstert über den Tisch: »Pardon, das ist meine Frau, ich muss da rangehn.«
Das fahle, gleichsam käsfußene Gesicht des Experten für das chinesische Blasenplatzen zeigt den unfrohen Ausdruck eines Mannes beim Interruptus. Die Worte des Welterklärers stehen im Gefühlsstau und hupen. Sie wollen ans Ziel und dürfen nicht; das sorgt für sichtlichen Unmut.
Kaum hat der Beschwallempfänger das eheliche Telefonat beendet, da schießt der Blasenmann schon wieder vor. Redundanz ist für ihn kein Kriterium, also auch kein Hinderungsgrund. »Also wenn diese ganze gigantische chinesische Wirtschaftsblase platzt«, hebt er erneut an, als das Telefon seines Zwangszuhörers abermals klingelt. »Nochmal meine Frau«, flüstert er wieder, hebt das Telefon ans Ohr und dreht sich seitlich weg.
Dem Blasenspezialisten hängt ein halber Satz aus dem Mund, auf der anderen Hälfte kaut er herum, sie quillt ihm geradezu aus den Augen. Er wendet sich mir zu; an wen er seine Expertise loswird, scheint ihm mittlerweile egal zu sein, Hauptsache, er bringt sie an den Mann.
Eine Zeitung kann Leben retten und Frieden spenden. Ich hebe sie vom Tisch hoch, schlage sie auf und bringe sie ins Gesichtsfeld zwischen den Blasenkopf und mich. Wenn Blasen platzen, wird es für gewöhnlich sehr nass, und es riecht dann auch nicht gut. Mich aber wird keine platzende chinesische Blase bespluddern und benetzen, und kein urinaler Dunst wird meine Nase schänden.
Eine ältere Dame tritt an den Nebentisch, an dem der Ehemann sich offenbar entschlossen hat, das Telefonat mit seiner Frau noch ein wenig auszudehnen. »Komm, Manfred«, sagt die Dame zu dem Mann mit der halben Blase im Mund, »wir müssen jetzt wirklich zum Geburtstag.«
Endlich verstehe ich: Blase ist ein anderes Wort für Familie. Wenn man sagt, dass die ganze Blase zu Besuch kommt, ist damit die Verwandtschaft gemeint. Hat der Mann chinesische Verwandte, und fürchtet er, auf der Familienfeier, die in einer Wirtschaft stattfindet, könne irgendjemandem aus der ganzen Blase der Kragen platzen, wie das bei Familienfeiern ja vorkommt? So wird es sein; und ist es nicht schön, wie die Sprache als solche uns immer wieder auf die Sprünge hilft?
Ich luge über den Zeitungsrand; der Blasentheoretiker ist rhetorisch nicht zu Potte gekommen und sieht entsprechend unbefriedigt aus. Seiner Frau muss er nicht mehr sagen, was auf die Welt zukommt, wenn die ganze chinesische Blase erst geplatzt ist, denn seine Frau kann das garantiert auswendig aufsagen, was sie aber, gepriesen sei sie, nicht tut.
Sie ziehen von dannen, ich winke dem Kellner, denn mir ist die geheimnisvolle Botschaft wieder eingefallen, die an Tankstellen zu lesen ist: Blasenfrei zapfen.
Rahmen skizzieren
Einmal, als Gott noch auf der Erde wandelte, machte er sich selbstständig und verkleidete sich als Fotograf. Er verstand sich auf seine Sache gut und erwarb sich bald Rang und Namen. Durch seine Bilder von den »schwarzen Löchern« wurde er weltberühmt, aber das bedeutete ihm nicht viel.
Lieber fotografierte er Geschöpfe wie Gänse und Seehunde und Menschen, und weil Gott nicht altmodisch war, stellte er seine Arbeit ins Internet,