Irene Wondratsch

Lippenstift und Notfalltropfen


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der Fächer dieser uns in Text und Bild vorliegenden Tasche ans Licht kommt, ist das literarisch spannende Ergebnis ebenso präziser wie spielerischer Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Tasche selbst wird zur Hülle, zum Körper für jene nützlich-alltäglichen, aber auch überflüssigen – im Sinne von: notwendiger Überfluss – Dinge, die Frauen bei sich zu tragen pflegen. Das Buch beginnt mit einem Text über »Brausepulver mit Zitronengeschmack« (Irene Wondratsch) und endet mit einem »Schwangerschaftstest« (Gerda Sengstbratl). Dazwischen finden sich unter (und neben!) vielen anderen Dingen eine »Stoppuhr« (Gabriele Buch), »Blockmalzzuckerl« (Roswitha Schmit), »Ohropax« (Sonja Kohlbacher), eine »Vogelfeder« (Barbara Holpfer), ein »Schlüsselbund« (Brita-Kerbl-Aschermann), eine »Haarbürste« (Gabriele Folz-Friedl) oder »Gitanes« (Angelica Löwe). So wird der »Körper« Tasche einerseits zur Hülle, zur Behausung für die vielen darin enthaltenen Gegenstände; er wird aber auch zum Sprachkörper, zum Behältnis für eine vielschichtige Sammlung von literarischen Stimmen und Verfahrensweisen. Wir finden erzählende Prosa ebenso vor wie lyrische, sprachspielerische Gebilde oder auch Gedichte. So unterschiedlich die Gegenstände in ihrer Beschaffenheit sind, so different sind demgemäß die Literarisierungen. Die Dinge rufen sich während des Lesens noch einmal in ihrer Ursprünglichkeit ins Bewusstsein, jedoch lauter als sonst, als Töne, als Bilder, und kehren dann doch verwandelt wieder: Als Texte, die bisweilen das den Text veranlassende Ding selbst weit hinter sich lassen, es nur als zarten Impuls verstehen, um zu flanieren, fast wäre ich geneigt zu sagen, in der Sprache umherzufliegen. Dann wieder als Texte, die das Ausgangsobjekt in einem strengeren Sinn verstehen, wortwörtlicher, und es auch beim Namen nennen. Insgesamt ist mit diesem Projekt eine oszillierende (Kurz)prosa- und Lyriksammlung gelungen, die uns einen Anstoß geben mag, unser Augenmerk wieder deutlicher auf jene kleinen Dinge zu richten, die uns verlässlich durch unseren Alltag begleiten.

      Petra Ganglbauer

      BRAUSEPULVER MIT ZITRONENGESCHMACK

      Ich gehe auf das Oasis gegenüber der Windmühle zu. Seine sonnengelben Mauern leuchten. Der Rezeptionist gibt dem Liftboy Anweisung, mir den gelben Läufer auszurollen. Der Boy trägt meinen Koffer ins Zimmer.

      Ich öffne das Fenster, lasse das Sonnenlicht ein. Auf dem runden Tischchen auf der Terrasse steht eine große bauchige Vase mit Sonnenblumen. Die Volants am Saum der Markise knattern im Wind. Ich öffne den Koffer, hänge meine Kleider, bunte Farbtupfer im gelben Zimmer, in den Kasten.

      Es klopft. Der Zimmerservice. Ein Chinese mit langem schwarzem Zopf bringt einen großen Korb Bananen. Ein Gruß des Hauses. Ich bedanke mich. Davon könnte ich mich die nächsten beiden Tage ernähren.

      Mir fällt ein, dass ich nicht gegen Gelbfieber geimpft bin. Müdigkeit überkommt mich. Die Strapazen der Reise oder schon das Fieber? Ich setze mich auf das Bett, schnuppere an der Damastbettwäsche. Zitronenmelisse. Ich werde mich hinlegen und ein bisschen Musik hören. Ich drehe das Radio auf.

      Déshabille-moi!, singt Juliette Greco verführerisch. Ich singe mit: Déshabille-moi!

      Es klopft abermals. Ein freundlich lächelnder Mann tritt ein und lüftet seinen Strohhut. Er setzt sich zu mir aufs Bett und beginnt behutsam mein Kleid aufzuknöpfen. Er hängt es zu den anderen in den Kasten.

      »Sie sind Jungfrau«, sage ich.

      »Erraten.«

      Die Art, wie er seine Unterwäsche zusammenlegt, weist auf Aszendent Steinbock hin. Na, hoffentlich sorgt Venus im Löwen für ein bisschen Ungestüm. Jetzt knöpft er sein Hemd auf. Blonde Härchen auf seiner Brust. Weich, seidig. Bei meiner Berührung lässt er das Hemd zu Boden fallen. Der Hose entledigt er sich rasch. Jetzt hat er nur noch gelbe Socken an. Ich kichere. Er schaut verunsichert.

      »Verzeihung.« Ich lege meine Hand auf meinen Mund. Dann strecke ich mich auf dem Bett aus. Er legt sich zu mir. Die gelben Socken hat er unter dem Bett versteckt. Ein Zitronenfalter schwebt durchs Zimmer, umkreist uns und lässt sich auf meinem schwarzen Dreieck nieder.

      »Man müsste dich malen«, sagt der Mann neben mir. Dann winkt er mit den Armen in Richtung Fenster und macht herbeiholende Gesten wie jemand, der ein Auto in einen Parkplatz einweist und dem Lenker bedeutet, noch rückwärts zu fahren. Eine Wolke von Zitronenfaltern dringt durch das Fenster ein. Die Falter schlüpfen in meinen Bauch. Schnell lasse ich mir eine Teerose zwischen den Pobacken wachsen und reiche sie dem Herrn der Schmetterlinge.

      »Wollen wir blödeln oder wollen wir uns lieben?«, sagt er.

      Typisch Jungfrau, typisch Steinbock! Immer zielstrebig in medias res. Aber es ist ja keine schlechte Sache, in deren Mitte wir streben.

      Nachher essen wir den ganzen Korb Bananen.

      Irene Wondratsch

      STOPPUHR

      der alltag

      stößt die schwimmer morgens vom sockel,

      hart klatschen rümpfe

      flügeln, treten, gurgeln

      schieben das becken nach hinten

      die uhr läuft neben dem rand

      nie dürfen sich arme und beine verwechseln

      manchmal wird ein becken so lang,

      dass ein schwimmer nicht ankommt

      die zeit macht trotzdem schluss

      gewonnen hat immer eine minute.

      Gabriele Buch

      COMME DES GARÇONS NO. 2, PARFUM

      Über den Straßen zartweiße Wolken auf Himmelblau. In den Auslagen Pastell, so wie sich’s gehört nach Gold und Glitzer. Pastell die Gassen, die Menschen blass nach dem Winter. Am Naschmarkt in der Bude kindskopfgroße Tulpen auf den Plafond gemalt. Rosa Schleier quer über die Decke mit Narzissen, Hyazinthen und Schneeglöckchen aus Seide. Die Kellnerin mit dem Tuch fest um den Kopf gewunden, dem nackten Bauch, schöpft Rosinenkraut aus dem Dampfkessel. Da verzieht sich das Hellblau vom Himmel. Es nieselt.

      Zwischen den Ständen durchgehen, und es duftet nach Weite, nach Ferne, nach weit fort, nach anderem Leben. Da sind Erdbeeren, so als wäre es schon Zeit dafür. Es duftet nach feinen Safranfäden. Im Winter, wenn es so duftet und es hier nur vor sich hin regnet, ganz grau, dann will ich weg. Dann will ich in die Zimtländer, nach Samarkand, nach Buchara. Dann will ich dort Tagesgeschäften zuschauen, dem Korianderlärm, dem Gehämmer nach. Will Schafe blöken hören auf grünen Weiden und in Wüsten rasten, mit dem weißen Tuch auf dem Kopf.

      Ich rühr mich nicht mehr weg. Ich stehe im Regen, sauge den Geruch ein. Ich stehe im Grau, im Asphalt, im Safran. Gewürzdüfte wirbeln und ich falle in Ingwer. Die Krampusfigur damals war überzogen mit Zuckerguss, Lebkuchen in Schokolade getunkt, trug ein papierenes Lebkuchenbild, bunt. Ich biss hinein. Scharf und fremd breitete sich Unbekannt aus. Eins mit mir selbst, weggetragen in den Ingwer, so neu, so unendlich. Und noch immer ist es so: Wenn der Körper Ingwer erkennt, dann ist was los.

      Ich bleibe stehen im Regen. In den Gewürzdüften von der Weihrauchstraße, der Seidenstraße, aus den Wüsten. Eines Abends in Fes am Markt roch es alle zehn Meter frisch. Ein Mädchen trug ein dickes Büschel Petersilie in der Hand. Wenn man von diesem Frisch isst, fällt das Leben ins Lot. »Bitte einen Bund vom Feld. Bitte die Karotten, die Tomaten.« Ich fülle mich mit Frisch, mit Markt, mit Zimt, mit Zitrone. Wenn diese Zitrone in mir ist, diese im Meersalz eingelegte, gesalzene, dann ist es frisch. Ich fang mir einen Fisch, hacke Kerbelkraut und lege das Kraut auf die Meerwasserzitrone. Jetzt ins Rohr. Und wenn ich dann esse, dann ist es frisch, dann ist es gut.

      Ich stehe in den Gewürzdüften im Regen. Ich gehe nicht weg. Eine Frau schreibt stehend am Tresen. Wie ich an ihr vorübergehe, halte ich kurz. Sie duftet. Sie duftet nach Tautropfen und nach Schneeflocken. Nach Wunderbar, nach Weiß. Sie riecht nach Tag, nach Sonnenmorgen und nach Unschuld. Sie duftet nach