Aber nein, es steht stur vor mir, eine selbstgefällige Mauer. Lässt sich herab und spielt dann lieber im Wasser, mit dem Himmelblau, dem Steinweiß – überhaupt, im Wasser sind sie alle so mühelos, legen sich ineinander, verschwimmen, mischen sich.
Ich bin von zarterer Natur. Ein wenig Sonne, und schon bleiche ich aus und im Wasser werde ich überhaupt zu einem Fetzen.
Ich kann das nicht. Ich möchte nach Hause. Ich möchte in ein verrauchtes Café, auch wenn ich danach tagelang stinke. Ich brauche belebte Straßen, ich brauche bewundernde Blicke, Augen, die mich hinter dunklen Sonnenbrillen verzückt anstarren, ich brauche ein wenig Neid und Eifersucht und einen kleinen Hauch Missgunst. Hier? Diese klare Luft, diese strengen Schatten und diese Selbstverständlichkeit, mit der ich übersehen werde. Oder belächelt. Man darf ein verwöhntes Stück wie mich nicht so einfach irgendwo hängen lassen. Das ist herzlos.
Außerdem ist mir fad. Ich brauche Kultur. Mit einem samtäugigen Cello, mit einem zierlichen Plüschsesselchen, mit kühl geäderten Marmorsäulen, mit einer großzügig geschwungenen Freitreppe zum Beispiel, mit so was kann ich mich leicht unterhalten. Die sehen mich und wissen sofort. Qualität. Fein gesponnen. Raffiniert gewickelt. Eine von uns, sozusagen.
Diese Bäume aber stehen da und schweigen und es fällt ihnen nicht einmal auf. Würde sich einer, ein einziger nur ganz leicht verneigen, dann könnte ich ja zugeben, dass sein spitz genadeltes Grün sich gar nicht so schlecht macht. Rotbraun und schwarz schillernde Rinde dazu, das macht ja durchaus auch was her.
Ich hänge sowieso im Schrank. Dort werde ich noch eine Woche hängen bleiben, so weit als möglich Contenance bewahren und auf bessere Zeiten hoffen. Ist ja nicht das erste Mal.
Stimmen. Besser als nichts. Ein wenig Unterhaltung, auch wenn hier nicht gerade Interessantes zu erwarten ist. Die Kastentür! Das gilt sicher dieser windelärschigen Radlerhose – peinlicher geht’s überhaupt nicht mehr, aber sie tut immer, als wäre sie was Besonderes.
Und jetzt ein Geschiebe und Gedränge, als gäbe es etwas zu gewinnen. Wird schon jeder drankommen, irgendwann.
Ich? Bin wirklich ich gemeint? Wenn sie nur nicht ...
Nein. Nein, es bleibt dabei. Ah, tut das gut. Hat sie zugelegt? Mir scheint, mein Zipp ... egal. Was noch? Nein, nicht telefonieren. Das kann ja Stunden dauern. Schwitzen tut sie auch, wenn sie ihre Hand nicht bald wegnimmt, habe ich ein feuchtes Muster ... obwohl, in der letzten »Fashionweek« war ja Ähnliches ... na endlich. Nein, die anderen. Die anderen! Heute ein wenig Absatz. Bitte!
So. Tasche, Schlüssel, können wir? Wir können!
Barbara Holpfer
SCHLÜSSELBUND
Die Erste liegt in Graz. Von einer Freundin meiner Mutter vermittelt. Ebenerdig, ein Zimmer, Küche mit Kohlenofen. Kein Bad, Waschbecken, Klo am Gang. Blick in einen Garten. Die Vormieterin hat die Möbel farbig gestrichen, sie will weiterhin noch fallweise kommen. Ich habe keinen Mietvertrag. Das Einheizen ist schwierig, ich bin mit Zentralheizung aufgewachsen. Bis Mittag bleibe ich im Bett und beobachte meinen warmen Atem, der durch den kalten Raum zieht. Wenn ich hungrig bin, hole ich Wurstsemmeln oder gehe ins Kaffeehaus. Ab der Monatsmitte muss ich sparen und die eingepackte Erbsensuppe meiner Oma verkochen. Das schmutzige Geschirr verschwindet so lange hinter dem blassgrünen Vorhang, bis ich keines mehr habe. Nachts treibe ich durch die Stadt. Suche. Trinke.
Der Schreibtisch steht vor dem Fenster. Ich versuche für die erste Staatsprüfung zu lernen. Die Scheiben haben einen Sprung. Er führt durch mein Gesicht, das sich darin spiegelt.
In Griechenland lerne ich Paulo kennen. Seine Eltern haben eine Eigentumswohnung in Wien. Ich ziehe zu ihm. Zimmer, Küche, Kabinett mit Sitzbadewanne, Klo am Gang. Einbauschrank, blauer Spannteppich, orange Polstermöbel. Das Schlafzimmer, weißer Schleiflack. Ich besorge ein Kochbuch, er bemalt die Kastentüren mit dem Bild einer nackten Frau und baut mir einen Schreibtisch aus Drahtkörben. Ich gehe nachts ohne ihn aus. Er schläft mit anderen Frauen, wenn ich nicht da bin.
Seine Eltern beschließen die Wohnung zu verkaufen.
Wir ziehen zu einem befreundeten Paar. Sie sind 15 Jahre älter. Die Wohnung hat 140 Quadratmeter, an der Decke ist Stuck, die Möbel sind Jugendstil. Das Badezimmer braun verfliest. Wir wohnen im Kabinett. Abends kochen wir gemeinsam. Der Mann verunglückt tödlich beim Segeln. Die Frau ist außer sich. Wir flüchten, ziehen ins Hotel von Paulos Eltern.
Vom Bett aus kann ich durch riesige Fensterscheiben die fallenden Blätter des Wienerwalds betrachten. Ich bin versorgt. Das Zimmer wird geputzt, die Wäsche gewaschen, das Essen serviert. Das Hotel liegt außerhalb von Wien. Ich will weiter studieren und muss arbeiten gehen.
Wir mieten die Wohnung von Alexandra. Sie liegt in der Nähe der U-Bahnstation Meidling. Die Tapeten sind lindgrün.
Die Doppelcouch ist beige gepolstert. Zimmer, Küche. An der Wand neben dem Bett hängen die Selbstporträts von Alexandras Freund. Er porträtiert sich täglich. Sie richtet mit ihm gemeinsam eine neue Wohnung ein. Manchmal fällt mir beim Schlafen eine seiner Zeichnungen ins Gesicht.
Paulo und ich trennen uns. Ich übersiedle erneut. Durch eine Luke steige ich auf den Dachboden, klettere über mehrere Holzbalken um in den 30 Quadratmeter großen Raum zu gelangen, in dem es alles gibt. Tisch, Küche, Bett, Klo, Dusche. Keine Isolierung, im Sommer heiß, im Winter kalt. Im Bett unter der Schräge empfange ich Besuch. An der Wand fixiere ich Fotos, die mich zeigen. Ich bleibe hier, bis ich Agnes kennenlerne.
Sie wohnt in der Wohnung eines alten Professors, der sie fördert. Auf 100 Quadratmetern, alleine. Mit Balkon. Sie will, dass ich zu ihr ziehe. Sie verlangt wenig Miete. Irrtümlich stellen wir einen Blumentopf auf den Seidenteppich des Professors. Der Teppich bekommt einen Riss.
Wir müssen bald darauf ausziehen. Gemeinsam suchen wir eine neue Wohnung. Sie liegt im 3. Bezirk und ist stark renovierungsbedürftig. Eine 85-jährige Frau hat zuletzt darin gewohnt. Bei der ersten Besichtigung wehen verblichene gelbe Vorhänge. Die Räume gefallen mir, der Parkettboden und die großen Flügeltüren. Die Miete ist niedrig. Ich werde sie renovieren, ein Kredit wird mir helfen.
»Was mache ich, wenn du vor Abzahlung des Kredites stirbst?», fragt mein Vater, der als Bürge unterschreiben muss. Die Renovierung dauert ein Jahr. Mein neuer Freund verweigert mir jede Unterstützung, obwohl er Architekt ist. Ich rechne, verputze, bin verwirrt. Kenne mich nicht aus. Meine Schulden steigen. Ich arbeite als Kellnerin, studiere, ein wenig. Agnes schließt ihr Studium ab. Ihre Eltern geben ihr Geld, mit dem wir die elektrischen Installationen bezahlen. Wir teilen die Zimmer auf. Wenn ich nach Hause komme, hat sie mein Zimmer zu ihrem Wohnzimmer umfunktioniert. Nach drei Jahren hasse ich sie. Ich ziehe aus.
Lande in einem winzigen Zimmer im 14. Bezirk. Hier versammle ich alle meine Gegenstände. Der Raum platzt. Ich platze.
In endlosen Gesprächen zwinge ich den Architektenfreund mich aufzunehmen. Seine Räume sind ästhetisch gestaltet. Überlegt. Ich darf nur zwei Taschen mitbringen, um seine Ordnung nicht zu stören. Abends wenn er heimkommt, tut er so, als wäre ich nicht da. » Habe ich wieder irrtümlich das Licht brennen lassen?«, sagt er. Ich schweige und weiß, dass ich bald gehe.
Mit einem neuen Mann. Ich wohne bei ihm in der Schleifmühlgasse. Die Sitzgarnitur ist lachsfarben. Der Blick aus dem Fenster geht in einen dunklen Innenhof. Als Agnes auszieht, will er zu mir ziehen und in den Mietvertrag. Nein, sage ich. Er schüttet mir Wasser ins Gesicht. Ich werfe ihn hinaus.
Agnes zieht aus, ich kehre zurück in den 3. Bezirk, breite mich aus. Die Wohnung gehört jetzt mir. Ich entmiste, zahle die noch ausständigen Kreditraten. Ich sterbe nicht. Dem Vater erwachsen keine Kosten.
12 Jahre später renoviere ich gemeinsam mit einem neuen Mann die Wohnung. Die Türen und Wände werden weiß gestrichen. Der Parkettboden frisch geschliffen. Er fertigt Holzmöbel und besorgt glänzende Küchengeräte. Matratze und Lattenrost werden neu gekauft.
Brita Kerbl - Aschermann
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